Unter der Überschrift "Grenzen hoch und Schotten Dicht” hetzt in letzter Zeit die neurechte “Identitäre Bewegung” in Rostock gegen Geflüchtete und andere Menschen, die nicht in ihr ethnopluralistisches Weltbild passen. Ihre menschenverachtende Ideologie versucht sie dabei mit modernen Aktionsformen unter die Leute zu bringen.
Selbsternannte Kreuzritter in Aktion
Auch
das noch… Hatte sich der gemeine Deutsche gerade erst daran gewöhnt,
dass Neonazis nicht mehr in Bomberjacken und Springerstiefeln auf
Menschen Jagd machen, da geht es mit den Veränderungen gleich weiter.
Rechte, die mit schick gelayouteten Flyern und Websites aufwarten und
kreative Aktionsformen wie Flashmobs mit einer gewissen Form von
Öffentlichkeitsarbeit verbinden.
Der Deutsche Michel wacht auf
In
der Vergangenheit häuften sich die Propagandastreifzüge der
Identitären. Die Mensa wurde ein wenig bestickert und in Unigebäuden
tauchten Flyer auf, die allerdings durch engagierte Menschen schnell
wieder verschwanden.
Bisher waren die Identitären eher unscheinbar in
Rostock. Es wurde sich mehr darauf verlegt, auf weit entfernte Demos zu
fahren und dort Gegendemonstrant*innen zusammenzuschlagen oder bei MVgida ein Schild hochzuhalten.
Es
ist jedoch kein Zufall, dass sie ausgerechnet jetzt verstärkt
öffentlich auftreten. Nicht nur deshalb lohnt sich der Blick nach
rechts.
Die Halluzination vom “Großen Austausch”
Der
tatsächliche Inhalt des aktuellen Flyers ist schnell zusammengefasst
und klingt entweder nach einer rassistisch motivierten Science Fiction
Story oder aber nach einer nicht weniger menschenverachtenden
Verschwörungstheorie.
Angebliche Experten hätten festgestellt, dass
in den nächsten Jahrzehnten eine Millarde Menschen nach Europa migrieren
würden. Diese würden nicht vor Verfolgung fliehen, sondern durch
falsche Anreize angelockt. Dahinter steht die krude Idee von einem
angeblichen Bevölkerungsaustausch.
Die da oben…
Diese sieht in etwa so aus (identitaere-generation.info/der-grosse-austausch-defintion/):
Poltiker*innen, die Globalisierung und nicht zuletzt die
Wirtschaftspolitik der USA hätten einen Bevölkerungsaustausch ausgelöst
bzw. beschlossen. Dadurch würden nun Menschen aus anderen
“Kulturkreisen” nach Europa kommen und die Identität der dort lebenden
Menschen zerstören. Dekadent gewordene Europäer*innen wären blind für
die Gefahr. Die einzigen, die dies verhindern können, so phantasieren
sie weiter, wären – wer hätte es gedacht – sie selbst.
Die Kontinuität des Extremismus der Mitte
So
absurd das alles klingt, werden dabei nur pseudointellektuelle
Strömungen konsequent zu Ende gedacht, die ohnehin schon einen Kampf der
Kulturen predigen. Wir erinnern uns hier nicht zufällig an Prof. Flaig,
der in seinen Univorlesungen nicht müde wurde, vom vermeintlichen Überlebenskampf der europäischen Hochkulur gegen die östlichen Barbaren zu faseln.
Auch bei ihm zwang sich der Gedanke auf, dass er den Film 300 ein mal zu oft gesehen hatte.
Tatsächlich
haben sich die Identitären als Logo das griechische Lambda ausgesucht,
um sich in den Kampf der Spartaner gegen die Perser einzureihen. Ja ja –
ein geschichtsbewusstes Völkchen.
Von Nazis lernen heißt Siegen lernen
Neben aktuellen neurechten ExtremistInnen der Mitte und deren Publikationsorganen, wie der Junge Freiheit, dem Antaios Verlag und der Blaue Narzisse,
wird ihre Ideologie jedoch auch von anderen legitimiert. So beziehen
sie sich konsequent auf Ernst Jünger und selbstverständlich auch auf den
Steigbügelhalter des Nationalsozialismus Carl Schmitt.
Dieser kann
nicht nur als Grundlage der US-amerikanischen Konservativen betrachtet
werden, sondern wird mit seiner populären Gut-Böse-Einteilung zum
Grundstein der meisten anti-emanzipatorischen Richtungen der
postmodernen Welt. So verwundert es dann auch nicht, dass ihn Professor Herfried Münkler
der Humboldt Uni in Berlin als “Klassiker des politischen Denkens”
bezeichnet. Spätestens hier fällt auf, wie gefährlich mehrheitsfähig
rechte Ideologieproduktion ist.
Ein bisschen Glitzer und n YouTube-Channel
Die
muss aber unter die Leute gebracht werden. Traditonelle Latschdemos in
der Peripherie erfüllen diesen Zweck jedoch nicht und so wird versucht,
mit kreativen Aktionsformen auf die Bewegung aufmerksam zu machen. Wo
die Identitären sind, da ist eine “spektakuläre” Banneraktion und ein
Rauchtopf, natürlich in den Lieblingsfarben schwarz und gelb nicht weit.
Ganz
so spektakulär war die Kundgebung der Identitären am 7.10. vor dem
Rostocker Rathaus zwar nicht, aber wenigstens kletterten sie aufgrund
von einer zu kurzen Leiter nicht aufs falsche Dach, um eine geplante
Asylunterkunft zu “besetzen”, so wie die Kameraden aus Thüringen.
(Hier der Bericht von thüringen-rechtsaussen)
Im
Nachhinein werden diese Aktionen dann möglichst groß ausgeschlachtet.
Blogs verlinken auf YouTube, Pressemitteilungen werden geschrieben.
Mittels Pod Casts und pseudowissenschaftlichen Artikeln wird so versucht
auf bestehende Diskurse einzuwirken und an das völkische Herz der
Menschen zu agitieren.
Alter Wein in neuen Schläuchen ?
Zumindest
das ist aktuell nicht besonders schwierig. Stellen sich die Identitären
auf den ersten Blick als die Inkarnation der besorgt bürgerlichen
Phrase des: “Ich bin ja kein Rassit, aber…” heraus. Nachdem die
Unterteilung der Menschen in unterschiedlich wertige Rassen gänzlich
wiederlegt werden konnte, warteten VordenkerInnen und PropagandistInnen
von Rechts mit einem neuen Konzept auf, um die weißen
Privilegien weiter zu sichern. Der Ethnopluralismus kam in Mode. Dabei
werden konstruierte rassifizierende Merkmale und Eigenschaften nicht
mehr der biologischen Abstammung zugeordnet, sondern als kulturell
bedingt dargestellt. Das Ergebnis fällt selbstverständlich ähnlich
exkludierend und tödlich aus.
Ein Hort wahrer Männlichkeit
Neben
dem Wunsch nach einem kulturreinen Volk treiben den Männerbund aber
noch andere gesellschaftliche Widersprüche um. So ist ihre Meinung über
Geschlechter in der Gesellschaft eher so 1950. Männer sind aktiv und
kämpfen, kämpfen, kämpfen, Frauen vielleicht auch ein bisschen, aber
wichtig ist, dass sie sich um die Kinder und das Essen kümmern.
So
heisst der erklärte Totfeind, den sie sich mit religiösen
FundamentalistInnen und Neonazis teilen: Gender Mainstreaming. Wovor sie
solche Angst haben ist fraglich, angesichts ihrer Überzeugung, dass
Geschlecht biologisch veranlagt ist. Auch lässt sich grundsätzlich
sagen, dass die vermeintliche Dekadenz Europas mit angeblicher
Verweiblichung einhergeht und sie dieser ein Konstrukt entgegenstellen,
dass zutiefst chauvinistisch und sexistisch ist. Damit befinden sie sich
nicht zu unrecht in ideologischer Nähe zu Schwulenhassern, wie etwa Akif Perinçci, der die Quintessenz seines Geistes erst kürzlich bei Pegida bewerben durfte.
Die paar dunklen Jahre Deutscher Geschichte
Um
die Wahnvorstellung einer identitären Gesellschaft abschließend zu
beschreiben, muss noch einen Schritt weiter gegangen werden. Wenn die
eigene Kultur so richtig gefeiert werden soll, stört natürlich das Ganze
mit dem Nationalsozialismus… Dass Auschwitz nicht schön zu reden ist,
haben auch die meisten ewig Gestrigen begriffen. Deshalb einfach nicht
drüber reden und ein bisschen Geschichtsrevisionismus betreiben (facebook.com/identitaere/posts/945938325424227?_fb_noscript=1).
Doch auch dieser Schuldabwehr-Antisemitismus, der nicht trotz, sondern
gerade wegen Auschwitz existiert, ist noch nicht der Gipfel der
Fahnenstange.
Die rechtspopulistische Grundannahme, dass dekadente
Eliten gemeinsam mit Hilfe vom fiesen “US- Finanzkapital” den armen
“kleinen deutschen Mann” einfach seiner Kultur berauben, ist ein
Musterstück antisemitischen Denkens. So erscheinen Migrant*innen und
Feminist*innen eher als Objekte, die von “denen da oben” ausgesandt
wurden, das Volk zu zersetzen. Folglich richtig besuchten Identitären natürlich auch die Anti – TTIP Demo.
Die üblichen Verdächtigen
Doch
wer ist Akteur dieser ganzen Batterie an Vernichtungsphantasie?
Anschlussfähig ist das Gedankengut nicht nur für die deutsche Kartoffel,
sondern auch für Burschenschafter und ähnliche. Protagonisten sind aber
meist die üblichen Verdächtigen. Im Rostocker Fall ist es Daniel Fiß.
Sein Good Governance Studium an der Juristischen Fakultät erklärt an
dieser Stelle auch das Auslegen der Flyer an der hiesigen Uni.
Dabei war Fiß eigentlich Hoffnungsträger und braver Jungkader der NPD in MV.
Im Umfeld der “Nationalen Sozialisten Rostock” terrorisierten er und
seine Kameraden so ziemlich alle Menschen, die nicht in ihr
Streichholzschachtel großes Weltbild passten.
Die NSR
experimentierten früh mit klassich identitären Aktionsformen und machten
mit Flashmobs und Hardbass Rostocks Einkaufsstraße unsicher.
Vielleicht
ist hier die Verbindung zu ziehen, warum sich Fiß seit geraumer Zeit
von der NPD abgewandt hat. Möglich ist auch, dass er jetzt eher seinen
pseudointellektuellen Gestus verbreiten kann. So sinniert er auf dem
Blog der Indentitären lang und breit über Demokratie und was Mark Aurel
dazu sagen würde. Dort gibt er natürlich an Jura und Politik zu
studieren – Good Governance klingt ja auch nicht halb so cool.
Du kannst schon identitär sein, aber dann bist du halt Kacke!
Es
ist zwingend notwendig, diesen Umtrieben möglichst entschlossen
entgegenzutreten. Wenn Flyer und Sticker schnell verschwinden, ist das
ein klares Zeichen, kann aber nicht alles sein. Neben dem Unterbinden
von Aktionen heißt es auch, sich mit dem ideologischen Unterbau der
Neuen Rechten auseinanderzusetzen. Ihre Gedankenwelt auf Kontinuitäten
und Brüche zu untersuchen und auch dem mitte -extremistischen
Brandstifter*innen innerhalb und außerhalb der Universitäten in die
Quere zu kommen.
Kontakt:
Leon*a Schmidt - Pressesprecher*in Kritische Uni Rostock