Rechtsextreme provozieren, Linksautonome randalieren - und zwischen den Fronten steht die Polizei

Erstveröffentlicht: 
28.09.2015

Gewalt-Eskalation bei Demos: So schlimm traf es Leipzig lange nicht

 

Von Frank Döring


Als am Augustusplatz die ersten Böller detonieren, hat die Kundgebung der "Offensive für Deutschland" (OfD) noch nicht einmal begonnen. Weniger als 100 Rechtsextremisten haben sich an diesem Sonnabend gegen 14.45 Uhr vor dem Gewandhaus um Ex-Legida-Chef Silvio Rösler versammelt, später werden es nach Angaben der Polizei bis zu 350 sein. Es dominieren junge Männer im Hooligan-Outfit und mit aggressiver Pose. Ein komplett Vermummter wird von der Polizei zur Identitätsfeststellung abgeführt.


Der Kundgebungsort ist hermetisch abgeriegelt. An den Absperrgittern drängen sich hunderte Gegendemonstranten. Sie waren in fünf Aufzügen ins Stadtzentrum geströmt - allein 1000 aus Connewitz und rund 500 vom Rabet. Es kommt zu ersten Rangeleien zwischen Protestierern und der Polizei. Antifa-Anhänger greifen noch vor Beginn der OfD-Demo an. Sie werden in Gewahrsam genommen, ein Beamter erleidet Verletzungen. In Absprache mit OfD-Anmelder Rösler wird die Aufzugsstrecke verkürzt bis zum Wilhelm-Leuschner-Platz.


Entlang der Route versuchen Gegendemonstranten durchzubrechen und Barrikaden zu errichten. Einige tragen Quarzsandhandschuhe. Sie rütteln an den Absperrgittern, provozieren die Polizisten. Auch aus den Reihen der Neonazis fliegen Böller. 800 Beamte von Bundespolizei, sächsischer Bereitschaftspolizei und Polizeidirektion Leipzig sind bei dieser dritten Demo innerhalb von sechs Tagen im Einsatz.


Am Leuschnerplatz kommt es gegen 16.15 Uhr zu einer solch massiven Eskalation, die selbst das Demo erprobte Leipzig lange nicht erlebt hat. Ein vermummter Chaot schleudert einen Pflasterstein in Richtung der OfD-Demo, trifft einen Polizisten am Kopf. Das Geschoss kracht gegen den Helm des Beamten, der daraufhin zu Boden geht. Dann prasselt ein Hagel von Flaschen und Steinen nieder. Auch Teilnehmer der Anti-Nazi-Kundgebung "Leipzig nimmt Platz" werden von Linksautonomen beworfen, einer wird nach Angaben des Netzwerks No Legida später in die Notaufnahme gebracht. "Kurzzeitig mussten auch ein paar Bullen einige Steine fressen", heißt es in einem Statement, das später auf dem linken Internetportal Indymedia veröffentlicht wird. "Das war jedoch alles halbgare Kost und ein kurzer Spaß." Die Randalierer reißen Baustellen-Absperrungen um, greifen die Polizeidirektion in der Dimitroffstraße an. Unbeteiligte schlagen schockiert die Hände vors Gesicht, eine Frau steht zitternd da und weint. Es kommt zu regelrechten Jagdszenen. Beamte greifen außerordentlich robust durch. "Haut ab!", werden zwei Mädchen angeschrien und zu Boden gestoßen.


Erst allmählich normalisiert sich die Lage. Während der OfD-Aufzug wieder in Richtung Augustusplatz führt, fahren dort Wasserwerfer und ein Räumpanzer vor. Auch die Gegendemonstranten machen sich auf den Weg zum Gewandhaus. Noch einmal kommt es zu tumultartigen Szenen. Ein Demonstrant spült sich mit Mineralwasser die Augen aus, nachdem er Reizgas abbekommen hat. Die OfD-Abschlusskundgebung wird von lautstarken Protesten begleitet, schwere Zwischenfälle bleiben aus. Gegen 17.45 Uhr geleiten Polizeitrupps die OfD-Anhänger zum Hauptbahnhof. Einige Neonazis provozieren, suchen die gewaltsame Ausein-andersetzung. Doch dazu kommt es nicht mehr.


Die Bilanz des Nachmittags: 13 verletzte Polizeibeamte, 17 beschädigte Einsatzfahrzeuge. Die Zahl der verletzten Zivilisten ist noch unklar. Zwölf Randalierer kommen in Gewahrsam, Ermittlungen wegen Körperverletzung und Landfriedensbruchs laufen. Wie die Polizei bestätigt, hat Ex-Legida-Chef Rösler für nächsten Monat eine weitere Demo der "Offensive für Deutschland" angemeldet.

 


 

Kommentar Von André Böhmer 

 

Diese Bilder will niemand haben


Hubschrauber über der City, Wasserwerfer am Augustusplatz, die Reiterstaffel am Gewandhaus, Angriffe und Provokationen von Neonazis und ein entfesselter linksautonomer Mob, der mit Pflastersteinen gegen die Polizei seine kriminellen Intentionen nachwies: Kurz vor dem Jahrestag der Friedlichen Revolution gehen von Leipzig gewalttätige Bilder aus, die niemand sehen will. Der Schock sitzt tief, bei Augenzeugen, bei Touristen, bei Händlern, bei den Verantwortlichen der Stadt. Denn die gespenstischen Jagdszenen in der Innenstadt verbreiteten eine Atmosphäre der Angst. Die zwischen allen Fronten stehende Polizei, die in der ganz speziellen Leipziger Demo-Woche - Montag Legida, Mittwoch Legida, Sonnabend "Offensive für Deutschland", heute wieder Legida - längst oberhalb ihrer Belastungsgrenze angekommen ist, steht dabei als Prügelknabe da. Dass in der aufgeheizten Gemengelage nicht jede polizeiliche Maßnahme mit dem feinen Florett ausgefochten werden kann, ist sicher kritikwürdig, andererseits aber auch nachvollziehbar.


Die Gewaltspirale, das bleibt festzuhalten, haben die Chaoten aller Coleur, vor allem aber aus dem linksradikalen Spektrum in Gang gesetzt. Dass dabei sogar in Kauf genommen wurde, friedliche Demonstranten, die gegen den Aufmarsch der Rechtsextremen protestierten, zu verletzen, spricht Bände über die kriminelle Energie des schwarzen Blocks. Höchste Zeit, dass sich darüber alle im Klaren sind. Wer jetzt noch verniedlicht oder verharmlost, ist mitverantwortlich dafür, dass auf die Stadt der Friedlichen Revolution ein Schatten der Gewalt fällt, der am Ende zur Belastung für alle wird.
a.boehmer@lvz.de

 


 

Autonome klagen über "Entsolidarisierung"


Schon Mitte August, mehr als fünf Wochen vor der rechtsextremen Demo vom Sonnabend, mobilisierten Teile der linken Szene unter der Überschrift "Handreichung für einen schönen 26. September". Mit Plakaten und auf dem Internetportal Indymedia warb eine "AG Eventmanagement" für "wohlweislich vollführtes Chaos", um "Bullenstrategien durchkreuzen" zu können. Gestern meldeten sich die Verfasser erneut via Indymedia zu Wort, diesmal unter der Überschrift "Anmerkungen zu einem halbschönen 26.09.". Darin bezeichnen sie "die massive Entsolidarisierung aus dem vermeintlich eigenen Lager" als eigentlichen Skandal. Gemeint ist die Kritik von Pfarrer Christian Wolff und des Netzwerks No Legida an den gewaltsamen Ausschreitungen (Lesen Sie dazu auch die "Stimmen"). F. D.



 

Markttage-Start mit Hubschrauber-Lärm


Von Lucas Grothe


Bunte Stände in der Innenstadt, doch weniger Besucher als sonst: Die 39. Auflage der traditionellen Leipziger Markttage wurden zur Eröffnung am Sonnabend vom Demo-Geschehen in der City überschattet. Zwar beschränkten sich die Versammlungen auf den Bereich um den Augustus- und den Wilhelm-Leuschner-Platz, die Markthändler registrierten aber dennoch ein Kunden-Minus.


"Die Stimmung ist zwar gut, aber wir haben leider noch wenig Zulauf", beschrieb Händlerin Margitta Kolbe am Samstagnachmittag ihre ersten Eindrücke. Die Verkäuferin von Kinderbekleidung ist noch bis zum 4. Oktober mit ihrem Stand auf dem Markt vertreten, kommt auch im Advent immer nach Leipzig. Die ständigen Demonstrationen in der Innenstadt seien unter den Händlern in diesem Jahr durchaus ein Thema, sagte sie. Alle seien dadurch in ihren Erwartungen "etwas verhalten". Denn: "Einige Besucher schrecken die Demos sicherlich ab." Auch würden Straßenbahnen teilweise nicht fahren, was den Markttage-Start ebenfalls beeinträchtige.


Langos-Händler Fred Schmöhl registrierte am Eröffnungstag ebenfalls deutlich weniger Besucher als in vorangegangenen Jahren. Das beeinflusse natürlich das Geschäft, sagte er. Da er extra aus Mecklenburg angereist sei, wisse er nicht viel über die Demos in der Messestadt, die negative Stimmung unter den Händlern sei allerdings spürbar. Einmal rannten am Samstag einige Polizisten kurz an seinem Stand vorbei. Schmöhl zuckte da nur mit den Schultern.


Passant Herbert Seemann, der zur Markttage-Eröffnung mit dem Auto gekommen war, hatte sich die Kurz-Reise nach Leipzig vorab "gut überlegt, denn das ist alles schon sehr bedenklich, was hier seit Wochen läuft". Letztendlich war der Lützener dann doch froh, da zu sein. "Die Händler sind immer unheimlich nett, ich mag die Stimmung auf dem Markt", sagte er und fügte hinzu: "Dadurch, dass heute nicht so viel los ist, haben wir wenigstens genug Platz."


Händlerin Karin Lamya bekam von den Demonstrationen selber gar nichts mit. Nervig aber sei der Polizei-Hubschrauber gewesen. "Den hattest du die ganze Zeit im Ohr", klagte sie.

 


 

"Einige Störer haben ständig provoziert"


Auch bei dem Großeinsatz am Sonnabend war Leipzigs Polizeichef Bernd Merbitz selbst vor Ort, erlebte verbale Anfeindungen und tätliche Angriffe auf seine Beamten.

Die Gewaltbereitschaft bei Demonstrationen nimmt offenbar immer weiter zu. Stellt das, was sich am Sonnabend ereignete, auch für Sie eine neue Qualität dar?

 

Es ist schockierend und grenzwertig, mit welcher Brutalität da agiert wurde. Das waren die schwersten Auseinandersetzungen, die wir bei Demonstrationen in jüngster Zeit erleben mussten.


Wie geht es den 13 verletzten Beamten?

 
Nach meiner Kenntnis ist zum Glück keiner von ihnen schwer verletzt, obwohl einige durch Pflastersteine getroffen wurden. Einer erlitt durch Böller ein Knalltrauma. Zur Zahl der übrigen Verletzten liegen uns noch keine konkreten Zahlen vor.


Es war zu beobachten, dass einige Einsatzkräfte auch massiv gegen friedliche Gegendemonstranten durchgegriffen haben. Liegen bei den Beamten nach drei Demos in einer Woche die Nerven blank?

 
Natürlich ist die Belastung außerordentlich hoch. Einige Störer haben es auch deshalb darauf angelegt und ständig provoziert. Wer aber einer Aufforderung zur Räumung nicht nachkommt, muss damit rechnen, dass Polizisten dies durchsetzen. Ich stehe hundertprozentig hinter unseren Beamten.


Welche Konsequenzen muss es für die nächsten Demos geben?

 
Die Frage, ob wir mehr Polizeikräfte bekommen, ist sicher zu diskutieren. Andernfalls müssen wir prüfen, ob wir noch in der Lage sind, das Versammlungsgeschehen abzusichern oder ob es auf stationäre Kundgebungen beschränkt werden muss. Alle Versammlungen zu verbieten, wäre aber der falsche Weg.


Interview: Frank Döring



 

Stimmen


Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD): Hunderte haben am Samstag wieder friedlich gegen Rassismus und nationalistische Hetze in Leipzig demonstriert und einmal mehr klar gemacht, dass rechtsextremes Gedankengut in dieser Stadt keinen Platz hat. Mein Dank gilt auch der Polizei, die in den vergangenen Tagen gleich drei Mal gefordert war, um Demonstrationen abzusichern. Am Samstag aber gab es 13 Verletzte unter den Polizisten, weil Kriminelle aus dem augenscheinlich linken Spektrum Steine gezielt warfen. Dies ist aufs Schärfste zu verurteilen, und zwar von allen demokratischen Parteien. Ich bin sprachlos, wenn eine im Landtag vertretene Partei solche Gewalt als "uncool" zu verniedlichen versucht. Wir müssen hier ganz klar sagen: Weder ein brauner Mob ist in Leipzig willkommen noch ein schwarzer Block.


Christian Wolff, emeritierter Pfarrer, Organisator von Anti-Legida-Demos und am Sonnabend Zeuge eines Angriffs auf ein Polizeifahrzeug: Einen Stein in die Windschutzscheibe eines PKW zu werfen, ist ein mutwilliger, vorsätzlicher Angriff auch auf Menschen, die im Auto sitzen. Diejenigen, die dafür verantwortlich sind, gehören gefasst und in einem ordentlichen Verfahren bestraft. Leider aber hat die Polizei überhaupt nicht reagiert, was ich absolut nicht nachvollziehen kann. Aber das ist angesichts der Schwere der Straftat nebensächlich. Diejenigen, die die Pflastersteine geworfen haben, sollen wissen: Das hat mit Politik, auch mit dem Kampf gegen den Rechtsradikalismus und mit "Links" nichts, aber auch gar nichts zu tun. Das ist nur feige, dreist und - eine widerliche Straftat.


Aktionsbündnis No Legida (via Facebook): Steine werfen, Scheiben der Polizeistation einschmeißen? Seriously? Da haben wir keinen Bock drauf. Weder auf Polizisten, noch auf Schlechtmenschen und auch nicht auf eigene Leute. Selbst die Kundgebung von "Leipzig nimmt Platz" wurde beworfen. Einer unserer Freunde liegt jetzt in der Notaufnahme. Viele andere sind durch die folgenden Polizeiaktionen verletzt worden, einfach nur weil sie dastanden. Das ist, neben allem anderen, vor allem unsolidarisch und zum jetzigen Zeitpunkt ein völlig falsches Signal.