Flüchtlingskrise: Sachsen zieht mit Grenzkontrollen nach

Erstveröffentlicht: 
15.09.2015

Ulbig: Ausweispapiere mitführen / Gabriel rechnet mit einer Million Asylbewerber

 

Von Andreas Debski, Matthias Roth und Julia Vollmer


Leipzig. Jetzt macht auch Sachsen die Grenze dicht: Seit gestern Abend wird wieder intensiv kontrolliert. An der Autobahn 17 soll ein neuer Kontrollposten eingerichtet werden, um aus Tschechien einreisende Flüchtlinge und Schleuser zu stoppen. Die Bundespolizei hat ihre Überwachungen entlang der Autobahn schon verstärkt. Außerdem werden noch vorhandene Grenzstellen wie in Schmilka oder bei Zinnwald reaktiviert. Bereits am Sonntag war für die Grenze zu Österreich das Schengen-Abkommen, das ein ungehindertes Reisen garantiert, nach zehn Jahren außer Kraft gesetzt worden. Aufgrund der neuen Kontrollen kam es gestern zu kilometerlangen Staus bei der Einreise nach Deutschland.


"Die Vorgaben sind, dass der illegale Grenzübertritt vermieden werden soll", erklärte Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU). Flüchtlinge könnten weiterhin - wenn sie Asyl begehren - "in ein geordnetes Verfahren gebracht werden". Das heißt: Sie sollen sofort an der Grenze registriert und in eine Erstaufnahmeeinrichtung vermittelt werden. Für die Bürger bedeutet das, so Ulbig: "Grenzkontrollen können im Schengen-Raum jederzeit wieder anstehen." Er empfahl deshalb, Ausweispapiere immer mitzuführen. Auch für Kinder ist ein Ausweis notwendig. Zugleich stellte der Innenminister klar: Weder an der Grenze zu Tschechien noch an der zu Polen werde derzeit ein erhöhtes Aufkommen an Flüchtlingen festgestellt.


Sachsen-Anhalt und auch das rot-rot-grün regierte Thüringen begrüßten die Verschärfungen. Holger Stahlknecht (CDU), der Innenminister von Sachsen-Anhalt, sagte, dies sei "die einzig richtige Entscheidung". Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) forderte in diesem Zusammenhang, ein Drehkreuz für Flüchtlinge am Flughafen Leipzig-Halle einzurichten. Die mitteldeutschen Länder bräuchten dringend eine zentrale Verteilstelle, erklärte Ramelow. So könnte München entlastet werden. Die Entscheidung liegt letztlich beim Bundesinnenministerium.


Die sächsische Opposition von Linken und Grünen kritisierte die Wiedereinführung der Grenzkontrollen heftig. "Auf Dauer lassen sich Menschen, die zu uns wollen und deren Fluchtursachen fortbestehen, nicht durch ein verschärftes Grenzregime abhalten", sagte Sachsens Linke-Vorsitzender Rico Gebhardt. Der Grünen-Fraktionschef Volkmar Zschocke sagte: "Grenzkontrollen lösen die Probleme bei der Unterbringung und Versorgung nicht".


Seit gestern steht außerdem fest: Die Bundesregierung wird ihre Prognosen zu Flüchtlingszahlen wohl abermals deutlich nach oben korrigieren müssen. SPD-Chef Sigmar Gabriel geht in einem Brief an Parteimitglieder von einer Million neuer Asylbewerber für dieses Jahr aus. "Vieles deutet darauf hin, dass wir nicht 800000 Flüchtende aufnehmen, wie das Bundesinnenministerium prognostiziert hat, sondern eine Million", sagte er.


Leipzig und Dresden richten sich unterdessen auf Tausende weitere Flüchtlinge ein. Allein 450 Asylbewerber wurden in der Nacht zu gestern mit einem Sonderzug von München nach Leipzig auf die Neue Messe gebracht. In Dresden wird das ehemalige Technische Rathaus in dieser Woche zur Flüchtlingsunterkunft umgebaut. In dem seit 2010 leerstehenden Gebäude sollen mehr als 1000 Asylbewerber versorgt werden.


Pro Tag kommen derzeit in Sachsen zwischen 200 und 300 Asylbewerber an. In der vergangenen Woche entstanden rund 1000 neue Erstaufnahmeplätze - trotzdem sei Sachsen jetzt an seine Belastungsgrenze gestoßen, stellte Ulbig klar.