Ulbig: Ausweispapiere mitführen / Gabriel rechnet mit einer Million Asylbewerber
Von Andreas Debski, Matthias Roth und Julia Vollmer
Leipzig. Jetzt macht auch Sachsen die Grenze dicht: Seit gestern Abend
wird wieder intensiv kontrolliert. An der Autobahn 17 soll ein neuer
Kontrollposten eingerichtet werden, um aus Tschechien einreisende
Flüchtlinge und Schleuser zu stoppen. Die Bundespolizei hat ihre
Überwachungen entlang der Autobahn schon verstärkt. Außerdem werden noch
vorhandene Grenzstellen wie in Schmilka oder bei Zinnwald reaktiviert.
Bereits am Sonntag war für die Grenze zu Österreich das
Schengen-Abkommen, das ein ungehindertes Reisen garantiert, nach zehn
Jahren außer Kraft gesetzt worden. Aufgrund der neuen Kontrollen kam es
gestern zu kilometerlangen Staus bei der Einreise nach Deutschland.
"Die Vorgaben sind, dass der illegale Grenzübertritt vermieden werden
soll", erklärte Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU). Flüchtlinge
könnten weiterhin - wenn sie Asyl begehren - "in ein geordnetes
Verfahren gebracht werden". Das heißt: Sie sollen sofort an der Grenze
registriert und in eine Erstaufnahmeeinrichtung vermittelt werden. Für
die Bürger bedeutet das, so Ulbig: "Grenzkontrollen können im
Schengen-Raum jederzeit wieder anstehen." Er empfahl deshalb,
Ausweispapiere immer mitzuführen. Auch für Kinder ist ein Ausweis
notwendig. Zugleich stellte der Innenminister klar: Weder an der Grenze
zu Tschechien noch an der zu Polen werde derzeit ein erhöhtes Aufkommen
an Flüchtlingen festgestellt.
Sachsen-Anhalt und auch das rot-rot-grün regierte Thüringen begrüßten
die Verschärfungen. Holger Stahlknecht (CDU), der Innenminister von
Sachsen-Anhalt, sagte, dies sei "die einzig richtige Entscheidung".
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) forderte in diesem
Zusammenhang, ein Drehkreuz für Flüchtlinge am Flughafen Leipzig-Halle
einzurichten. Die mitteldeutschen Länder bräuchten dringend eine
zentrale Verteilstelle, erklärte Ramelow. So könnte München entlastet
werden. Die Entscheidung liegt letztlich beim Bundesinnenministerium.
Die sächsische Opposition von Linken und Grünen kritisierte die
Wiedereinführung der Grenzkontrollen heftig. "Auf Dauer lassen sich
Menschen, die zu uns wollen und deren Fluchtursachen fortbestehen, nicht
durch ein verschärftes Grenzregime abhalten", sagte Sachsens
Linke-Vorsitzender Rico Gebhardt. Der Grünen-Fraktionschef Volkmar
Zschocke sagte: "Grenzkontrollen lösen die Probleme bei der
Unterbringung und Versorgung nicht".
Seit gestern steht außerdem fest: Die Bundesregierung wird ihre
Prognosen zu Flüchtlingszahlen wohl abermals deutlich nach oben
korrigieren müssen. SPD-Chef Sigmar Gabriel geht in einem Brief an
Parteimitglieder von einer Million neuer Asylbewerber für dieses Jahr
aus. "Vieles deutet darauf hin, dass wir nicht 800000 Flüchtende
aufnehmen, wie das Bundesinnenministerium prognostiziert hat, sondern
eine Million", sagte er.
Leipzig und Dresden richten sich unterdessen auf Tausende weitere
Flüchtlinge ein. Allein 450 Asylbewerber wurden in der Nacht zu gestern
mit einem Sonderzug von München nach Leipzig auf die Neue Messe
gebracht. In Dresden wird das ehemalige Technische Rathaus in dieser
Woche zur Flüchtlingsunterkunft umgebaut. In dem seit 2010 leerstehenden
Gebäude sollen mehr als 1000 Asylbewerber versorgt werden.
Pro Tag kommen derzeit in Sachsen zwischen 200 und 300 Asylbewerber an.
In der vergangenen Woche entstanden rund 1000 neue Erstaufnahmeplätze -
trotzdem sei Sachsen jetzt an seine Belastungsgrenze gestoßen, stellte
Ulbig klar.