Bürokratie wie in Absurdistan - Asylbewerber in der Warteschleife

Erstveröffentlicht: 
24.08.2015

Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien und Libyen warten in Ostsachsen auf ihre Anerkennung

 

Von J[rgen Kochinke


Bautzen/Dresden. Seit Monaten kommt beim Thema Asyl von Politiker-Seite stets ein und derselbe Satz: Die Bearbeitungsfristen sollten verkürzt werden. Damit könnten Asylbewerber aus dem Balkan schnell abgeschoben und solche aus Bürgerkriegsgebieten noch schneller anerkannt werden - Syrer vor allem. Denn diese haben eine Anerkennungsquote von nahezu 100 Prozent. Eigentlich eine einfache Übung, sollte man meinen. Doch die Realität in Sachsen sieht anders aus. Flüchtlinge aus Syrien, selbst die mit vorhandenen Papieren, hängen viele Monate in einer Art Warteschleife, dürfen keine Integrationskurse besuchen und zum Teil noch nicht einmal einen Deutsch-Kurs. Gleichzeitig belegen diese völlig unnötig die Heime im Land, während ständig weitere Asylbewerber ankommen. Wir haben mehrere Betroffene gesprochen, die es in die Region Bautzen verschlagen hat. Was sie von dort zu berichten haben, sind trübe Geschichten - wie aus Absurdistan.


Flucht vor dem Krieg


Eine ist die von Salman Selim, einem 22-jährigen syrischen Kurden, den es heftig erwischt hat. Selim musste seine Heimat verlassen, weil er nicht als Soldat im Mehr-Fronten-Krieg zwischen Terror-Regime und verschiedenen islamistischen Terror-Gruppen verheizt werden wollte. Flucht oder wahrscheinlicher Tod - das war die Alternative. Er wählte die erste Variante. Doch vor der Flucht wurden 10000 Euro für Schlepper fällig. Dann war er monatelang unterwegs - eine Extremsituation, die mit der Ankunft im bayrischen Passau endete. Es folgten Stationen in München, Chemnitz und Schneeberg sowie schließlich ein Dorf in Ostsachsen. All das ist zehn Monate her, anerkannt aber ist Selim bis heute nicht.


Doch das ist noch nicht die ganze bittere Geschichte über den Bürgerkrieg in Syrien und das Bürokratie-Versagen hier. Beispiel Nummer 1: Bis das formale Verfahren für Selim überhaupt eröffnet wurde, verging rund ein halbes Jahr. In der Regel soll das innerhalb von wenigen Wochen geschehen. So aber wurde es eine lange Zeit, in der Selim, der Integrationswillige mit der nahezu 100-prozentigen Bleibeperspektive, nichts tun konnte außer warten. Und in der 10000 neue Asylbewerber nach Sachsen kamen mit all den bekannten Folgen - von überfüllten Heimen bis zu Versorgungsengpässen. Das gesamte System platzt aus den Nähten, doch Selim hängt wider alle Vernunft in ihm fest.


Beim Thema Bürokratie-Versagen aber kommt noch eine weitere Facette hinzu. Bis heute wird Selim vom zuständigen Amt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit Sitz in Chemnitz unter falschem Vornamen geführt - Salam statt Salman, wie er richtig heißt. Das verkompliziert die Sache zusätzlich, und es macht ihn mürbe. "Mein halbes Leben ist weg mit Stress in Syrien", meint er, in gebrochenem Deutsch zwar, aber immerhin. "In Syrien hatte ich keinen Pass, den bekam ich erst für den Krieg. Und nun habe ich wieder keinen."


Was er damit meint, liegt angesichts seiner Lage auf der Hand. Es ist die Perspektivlosigkeit, die ihn wurmt, das ungute Gefühl, sein Leben nicht selbst in die Hände nehmen zu dürfen. Arbeiten will er, der in Syrien jahrelang Autolackierer war, sein syrischer Pass liegt seit Januar bei den Behörden im Schreibtisch. In seinem Fall müsste die Anerkennung eine Frage von wenigen Tagen sein, ohne persönliche Anhörung, reine Formsache. Doch das BAMF gibt sich zäh, seit Monaten tut sich nichts.


Das Schicksal von Selim ist kein Einzelfall, es geht noch absurder. Khaled Dhamen ist das beste Beispiel dafür. Der ist Syrer wie Selim, zudem aber auch ein heiß begehrter Spezialist. Arzt ist Dhamen, ein Chirurg mit dem Schwerpunkt Orthopädie. Die Kliniken in Sachsen dürften sich - Stichwort Ärztemangel - um ihn reißen. Letztlich scheint das alles aber kaum eine Rolle zu spielen. Geschlagene neun Monate musste der 27-Jährige auf seine Anerkennung warten, durfte in dieser Zeit noch nicht einmal einen Sprach-Kurs belegen, weil studierte Asylbewerber zu diesen Kursen keinen Zugang haben - Absurdistan eben. Dhamen aber hat Deutsch trotzdem gelernt, auf eigene Rechnung und dank eines kulanten Bildungsträgers.


Das ist bei Samira und Djaser Alsafouri nicht der Fall. Die beiden, ein Ehepaar aus Libyen, sind ebenfalls in einem Dorf im Ostsächsischen gestrandet. Seit neun Monaten leben sie nun in Deutschland, Pässe sind vorhanden, eine Anerkennung gibt es bis heute trotzdem nicht. Dabei tobt auch in Libyen ein Bürgerkrieg, es gibt eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes, die Terrororganisation IS treibt ihr Unwesen so wie in Syrien. Die Anerkennung als Asylberechtigte, die sogenannte Bleibeperspektive, dürfte auch hier kein Problem sein. Ist sie aber, sagen Samira und Djaser Alsafouri mit Hilfe eines Dolmetschers. Begründung vom Amt: keine.


Zum Nichtstun verdammt


Für die beiden ist das eine enorme Belastung. "Deutschland ist sehr schön", sagt Samira Alsafouri. "Wir wollen arbeiten, sind aber enttäuscht." Grund dafür ist, dass sie zum Nichtstun verdammt sind. Er ist ein 64-jähriger Automechaniker, sie ist 57 und Kuchenbäcker. Doch beides geht derzeit nicht. "Wir sind wie weggesperrt", meint die Frau, und er sagt: "Früher habe ich den ganzen Tag gearbeitet, jetzt aber sitze ich nur drin." Und wohin sollten sie auch gehen, wo selbst der nächste Einkaufsladen schon zwei Kilometer entfernt liegt. Erschwert wird das Ganze, weil ihnen Deutsch-Kurse aus Altersgründen verwehrt sind, Integrationskurse gibt es vor der Anerkennung sowieso nicht.


Dieses Schicksal teilen Samira und Djaser Alsafouri mit Selim aus Syrien, auch er hat keine Chance auf Integration. Aber immerhin durfte er schon mal die Vorbereitungsklasse "Deutsch als Zweitsprache" in einer Berufsschule in Bautzen besuchen. Täglich zwölf Kilometer hin mit dem Fahrrad und wieder zwölf Kilometer zurück - ein langer Weg, aber nicht das Problem, sagt er. Das bestehe eher in der Sinnlosigkeit. Was bleibt, ist ein doppeltes Gefühl: Frust über das (Nicht-) Handeln der Behörden, und die Hoffnung, dass es am Ende doch irgendwann klappt.