Über 40000 Asylbewerber - Tillich macht das Thema zur Chefsache

Erstveröffentlicht: 
21.08.2015

Von Andreas Debski und Jürgen kochinke Dresden. Schon seit vielen Monaten zeichnet sich ab, dass Asyl das Thema des Jahres sein wird. Steigende Flüchtlings-Zahlen, übervolle Asylbewerberheime sowie Demos und Proteste halten die CDU/SPD-Staatsregierung in Atem. So werden nach neuesten Prognosen in diesem Jahr 40700 Asylbewerber nach Sachsen kommen, rund 10000 mehr als noch vor einem Monat prognostiziert. Verschärft wird die Problemlage durch hoffnungslos überforderte Behörden - von der Landesdirektion bis hin zum Innenressort. Jetzt hat Regierungschef Stanislaw Tillich (CDU) reagiert und gemeinsam mit seinem Stellvertreter Martin Dulig (SPD) das längst überholte bisherige Konzept runderneuert.

 

Was ist neu am Plan?

 
Um es kurz zu sagen: Nicht viel. Das Konzept, die Erstaufnahmeeinrich- tungen in den drei Großstädten Leipzig, Dresden und Chemnitz zu konzentrieren, liegt seit mehr als einem Jahr vor. Aus insgesamt geplanten 5000 dauerhaften Plätzen werden nun 10000, zudem sollen weitere 3500 als Reserve vorgehalten werden. Richtig neu ist, dass neben der Außenstelle Schneeberg (280 Plätze) nun eine weitere in Zwickau (700 Plätze) hinzukommen soll. Ansonsten wurden die Zahlen aufgrund der rasant steigenden Flüchtlingszahlen nach oben korrigiert: In Leipzig und Dresden sollen künftig jeweils 3600 Asylbewerber in Erstaufnahmen untergebracht werden, in Chemnitz 1800. Um Asylanträge künftig schneller bearbeiten zu können, sollen unter anderem pensionierte Beamte reaktiviert werden.


Wird sich an der derzeitigen Situation schnell etwas ändern?

 
Wohl kaum. Regierungschef Stanislaw Tillich (CDU) wollte sich gestern wegen der komplizierten Baugesetzgebung und der schwierigen Flächenbeschaffung nicht festlegen, wann die neuen Unterkünfte zur Verfügung stehen werden - deshalb werden wohl für zwei bis drei Jahre weiterhin Interimsquartiere die neu ankommenden Flüchtlinge beherbergen müssen. Das heißt: Der Freistaat wird in dieser Zeit eigene Immobilien - wie Turnhallen - zur Unterbringung nutzen oder Gebäude - wie Wohnheime, Hotels oder ähnliches - anmieten. Und das heißt auch: Bis die dauerhaften Unterkünfte existieren, werden Flüchtlinge weiterhin über ganz Sachsen in Interims-Erstaufnahmen verteilt. Dabei dürfe es "keine Denkverbote" geben, machte Vize-Regierungschef Martin Dulig (SPD) klar. Deshalb kommt es jetzt vor allem auf ein deutlich besseres Krisenmanagement als zuletzt an.


Was sagen Tillich und Dulig?

 
Beiden geht es um zwei Dinge: Erstens sollen die Flüchtlinge menschenwürdig untergebracht werden, zweitens erwarten sie, dass jeder Sachse die Situation zur Kenntnis nimmt und die Flüchtlinge "in sein Herz einschließt", wie es Tillich formulierte, "Nächstenliebe ist nicht nur ein Wort". Deshalb müssten alle dafür sorgen, dass "die Flüchtlinge ordentlich behandelt werden, denn daran wird Deutschland, daran wird Sachsen gemessen". Dulig stellte fest: "Wir sind von den Zahlen überrollt worden und befinden uns in einer sehr ernsten Situation. Was heute beschlossen wird, kann nur eine Momentaufnahme sein, weil es keine Sicherheit gibt." Beiden ist wichtig: Bis Ende Oktober sollen die Zeltstädte der Vergangenheit angehören und alle Erstaufnahmen in Sachsen unter Dächern sein.


Was ist die heimliche Botschaft?


Tillich plant eine Art konzertierte Aktion, wobei alle mitziehen sollen: CDU- sowie SPD-Ministerien, die beiden Koalitionsfraktionen und - bedingt - auch Kommunen und Landkreise. Dahinter steht ganz offenbar die reichlich späte Einsicht, dass die Herausforderung beim Thema so groß ist, dass die Regierung das Feld nicht dem Innenministerium überlassen kann. Eine Folge davon ist, dass Tillich damit den überforderten Ressortchef Markus Ulbig (CDU) ein Stück weit entmachtet. Eine zweite besteht darin, dass das Thema von nun an Chefsache ist - mit der Konsequenz, dass Tillich für Erfolg oder Misserfolg geradestehen muss. Ab jetzt ist er gewissermaßen zum Erfolg verdammt.


Was erhalten Städte und Landkreise?


Weil Asylbewerber nur maximal drei Monate in den Erstaufnahmeunterkünften des Freistaats bleiben dürfen und dann auf Städte und Landkreise verteilt werden müssen, werden die Gelder für die Kommunen noch einmal aufgestockt. In diesem und im nächsten Jahr werden pauschal jeweils 30 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt. "Wir werden Mehreinnahmen und nicht verbrauchte Mittel dafür verwenden", erklärte Tillich. Andere Aufgaben sollen nicht darunter leiden. Mit dem Geld sollen in den Kommunen die Unterbringung und die Betreuung unterstützt werden. Fraglich ist schon jetzt, ob diese insgesamt 60 Millionen Euro ausreichen werden - sie sind wohl eher als Beruhigung für die aufgebrachten Bürgermeister und Landräte gedacht.


Handelt es sich um ein tragfähiges Konzept?


Nicht wirklich. Das liegt an zwei objektiven Gründen: Erstens können die Prognosen zu Flüchtlingszahlen alsbald wieder überholt sein, zweitens verdeutlichen die Beispiele in Dresden und Leipzig, wie lange es dauert, neue Erstaufnahmeunterkünfte zu errichten. Beide werden wohl frühestens Ende 2016 fertig sein. Die gerade eröffnete Einrichtung in der Leipziger Friederikenstraße (450 Plätze) erscheint unter diesen Vorzeichen wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Zusätzlich verschärft wird die Lage dadurch, dass die rund 2100 Plätze in den Zeltstädten in wenigen Monaten verschwinden sollen.


Was sagen die Koalitionsfraktionen?


Die stehen hinter dem Plan der Regierung. Zwar gibt es laut CDU-Frak- tionschef Frank Kupfer auch kritische Stimmen zum Thema in eigenen Reihen. Wie sein SPD-Pendant Dirk Panter, geht Kupfer aber davon aus, dass die Koali- tion den Ansatz generell mitträgt.


Was meint die Opposition?


Die gibt sich ausgesprochen moderat. "Wir begrüßen die angekündigte deut- liche Aufstockung der Erstaufnahmekapazitäten", sagte Linken-Fraktionschef Rico Gebhardt. Und der Grüne Valentin Lippmann meinte: "Die angekündigten Schritte der Staatsregierung gehen im Grundsatz in die richtige Richtung. Endlich ist eine mögliche Planung zu erkennen." Das ist wesentlich freundlicher als alles, was man sonst von Oppositions-Vertretern gehört hat. Gleichzeitig fordern Linke und Grüne eine Sonder- sitzung des Landtags zum Thema - und diese Initiative wird von CDU und SPD sogar begrüßt.