»Wir wollen ihnen die Kaltschnäuzigkeit vermasseln«

Erstveröffentlicht: 
18.08.2015

»Wir wollen ihnen die Kaltschnäuzigkeit vermasseln« Sieben Opfer polizeilicher Bespitzelung in Heidelberg setzen sich jetzt vor Gericht zur Wehr. Ein Gespräch mit Michael Dandl

 

Interview: Markus Bernhardt

Michael Dandl war Zielperson eines Spitzeleinsatzes in Heidelberg und ist Sprecher des »Arbeitskreises Spitzelklage« (AKS)

 

Im Dezember 2010 wurde der Polizeispitzel Simon Bromma enttarnt, der zuvor im Raum Heidelberg linke Gruppen ausgeforscht hatte. Gemeinsam mit sechs weiteren Betroffenen klagen Sie vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe. Mit welchem Ziel?


Wir wollen die Unrechtmäßigkeit des Einsatzes feststellen lassen und somit derartige Repressionsmaßnahmen in Zukunft erschweren. Jetzt endlich – nach vier Jahren! – findet am 26. August vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe die erstinstanzliche Hauptverhandlung statt. Wir sieben Kläger sind sehr unterschiedlich von dieser Aktion betroffen; gemeinsam ist uns, dass bei uns allen zentrale Grundrechte verletzt und ausgehebelt wurden – vom Recht auf informationelle Selbstbestimmung über die Unverletzlichkeit der Wohnung bis hin zur Pressefreiheit.

 

In welchem Ausmaß sind Sie persönlich von Bromma ausspioniert worden?


Obwohl er direkt auf mich angesetzt war, hatte ich nicht allzuviel mit ihm zu tun. Er hat sich Zeit gelassen, um an den sogenannten harten Kern der Heidelberger Antifaszene heranzukommen. Aber viele andere Menschen hatten sehr engen Kontakt mit ihm; er hat sich in seiner eigentlich recht kurzen Einsatzzeit im Jahr 2010 einen großen Freundeskreis im linken Spektrum Heidelbergs aufgebaut. Von allen Menschen, mit denen er zu tun hatte, also auch von den Eltern betroffener Politaktivisten, hat er Datensätze angelegt, die er in seine Einsatzberichte einspeiste. Wir wissen zum Beispiel, dass er bei seinem Einsatz auf dem No-Border-Camp in Brüssel 35 SMS an das LKA Stuttgart gesendet hat – mit »heißen« Daten.

 

Wie wurde Bromma enttarnt?


Das war reiner Zufall. Er wurde auf einem Campingplatz in Frankreich von dem Bekannten einer Urlauberin, die vor längerer Zeit in Heidelberg studiert hatte, als »Simon von der Polizei« vorgestellt. Diese Frau hat ihn im Dezember 2010 zufällig wiedergetroffen – auf einer Party in Heidelberg! Sie hat die politisch aktiven Menschen, mit denen Simon auf diese Party gegangen war und die sie noch von früher kannte, später darauf hingewiesen, dass sie es äußerst komisch finde, sie zusammen mit einem Polizeibeamten anzutreffen. Am Abend des nächsten Tages, am 12. Dezember 2010, fand die eigentliche Enttarnung statt – im Rahmen eines Konfrontationsgesprächs, bei dem Bromma viele Details über seinen Einsatz preisgab.

 

Wissen Sie, wo er aktuell aktiv ist?


Wir hatten von diesem Enttarnungsabend an nie wieder etwas von ihm gehört, bis ein Journalist der Frankfurter Rundschau im Februar 2012 auf die Homepage eines alternativen Reiseveranstalters stieß, für den ein gewisser Simon Bromma Mountainbike-Gruppen über die Alpen führt. Für den jungen Mann sei Radfahren »Spannung, Spiel und Schokolade«. Die FR hat eine Anfrage an das Innenministerium geschickt und sich verwundert darüber gezeigt, dass ein ehemaliger »Verdeckter Ermittler«, der Hunderte von Menschen ausspioniert hat, nun wieder so selbstbewusst an die Öffentlichkeit tritt. Wenige Stunden später war das Foto des radelnden Polizisten verschwunden. Irgendwann haben wir dann gehört, er sei an der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg in Villingen-Schwenningen eingeschrieben.

 

Gehen Sie davon aus, dass auch unter der »grün-roten« Landesregierung in Stuttgart derlei Verdeckte Ermittler in linken Strukturen schnüffeln?


Das muss ich mittlerweile mit einem eindeutigen Ja beantworten. Vielleicht haben sie damals tatsächlich viele in linken Strukturen eingesetzte Spitzel abgezogen, um sich erst einmal aus der Schusslinie zu bringen. Aber die im März 2011 an die Macht gespülten »grün-roten« Verwalter des bürgerlichen Regierungsgeschäftes haben relativ schnell zu erkennen gegeben, dass sie an der bisherigen antidemokratischen Überwachungspraxis festhalten wollen. Aber vielleicht vermasseln wir ihnen mit unserer Klage ein bisschen die Kaltschnäuzigkeit, mit der sie solche Einsätze durchzuziehen gewohnt sind. Und geben anderen Betroffenen den Mut, dagegen vorzugehen – wenn denn mal einer dieser Verdeckten Ermittler enttarnt werden sollte.

 

* http://spitzelklage.blogsport.de

* Demonstration gegen staatliche Überwachung: Samstag, 22. August 2015, Stadtbücherei Heidelberg, 15.00 Uhr