Es gab noch nie so viele Friedensaktivist*innen

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Mit Rimma Velikanova und Simrat Swani, zwei Friedensaktivistinnen und Mitarbeiterinnen beim Basel Peace Office, sprach Martin über Frieden, Aktivismus und die Internationale Studierendenwoche in Ilmenau (ISWI) 2015, bei der sie als Referentinnen auftraten. Vielen Dank an Tobi vom hsf für die technische Unterstützung am 31.Mai 2015.

 

Das Motto der ISWI 2015 ist „Don't be lazy, get active“. Seid ihr Aktivistinnen?

Simrat Swani: das stimmt

Wie seid ihr Aktivistinnen geworden?

Simrat: Als ich noch eine Schülerin war, habe ich an einer Konferenz in Hiroshima teilgenommen und dort habe ich das Leben der Kindern kennengelernt, viele Jahre nach der unvorstellbaren Zerstörung. Die Konferenz wurde von Überlebenden organisiert und ich konnte sehen wie sehr die Stadt von dem historischen Ereignis noch heute geprägt ist. Das hat mich damals sehr berührt. Das Ereignis von vor so vielen Jahren beeinflusst die Menschen und ihre Liebe noch heute.

Rimma Velikanova: Ich habe eine komplett andere Geschichte. Ich glaubte nie an etwas und hatte auch kein Bewusstsein für Tiere, Umwelt oder anderes. Weil meine Gedanken ganz andere Wege gehen. Irgendwie kam ich auf die Facebook-Seite des Basel Peace Office und fand heraus, dass der Direktor Alyn Ware eine berühmte Persönlichkeit ist. Seine Biographie ist beeindruckend. Er hat sich sein ganzes Leben für die nukleare Abrüstung eingesetzt. Dann begann ich mich für seine Arbeit zu interessieren, schrieb ihm eine Mail und mittlerweile arbeite ich für ihn.

Würdest du dich als Friedensaktivistin bezeichnen?

Rimma: Jetzt würde ich mich als Friedensaktivistin bezeichnen, weil, genauso wie Simrat, ich in Konferenzen die Generationen Hiroshimas und Nagasakis und deren Kinder kennengelernt habe, als auch Betroffene der sowjetischen Nukleartests in Kasachstan. Ich war ziemlich traurig, dass niemand sich für verantwortlich hält. Ich versuche mein bestes sie einzubeziehen, deren Informationen zu teilen und ein Bewusstsein bei anderen Menschen zu schaffen.

Glaubt ihr, dass durch eure Arbeit die Welt friedlicher wird?

Simrat: Durch Kampagnen sprechen wir mit vielen Menschen über unsere Themen und dadurch verbreitet sich unser Wissen. Viele Leute wissen, dass Nuklearwaffen schlechte Auswirkungen haben. Wir versuchen den Leuten das Ausmaß der Bedeutung und ihnen deren Mitverantwortung klar zu machen. Wenn du etwas weißt und dem bewusst bist, sind die Chancen höher, dass du eine NGO unterstützt. Ich glaube, dass dies hilft und dadurch eventuell Frieden erreicht wird.

Rimma: Unsere Arbeit und unsere Kampagnen erzeugen Veränderungen. Mehr und mehr Leute beteiligen sich an unserer Organisation. Es gab auch noch nie so viele Aktivist*innen in der Welt wie zur Zeit. Die Leute übernehmen Verantwortung und das ist wunderbar.

Laut der Universität Hamburg steigt die Kriegsbelastung seit 1945 stetig an. Was machen Friedensaktivist*innen nicht richtig? Was sollten sie besser machen um die Tendenz zu stoppen?

Rimma: Friedensaktivist*innen sind nicht die Menschen die entscheiden ob es einen Konflikt gibt oder nicht. Friedensaktivist*innen können dafür sorgen, dass Konflikte sich ruhiger entwickeln. Wenn es beispielsweise keine Aktivist*innen für nukleare Abrüstung gäbe, würde es einen dritten Weltkrieg geben, weil an manchen Punkten der Geschichte Russland oder die USA einfach Raketen auf das jeweils andere Land gesandt hätten.

Simrat: Das ist was Aktivist*innen tun können. Am Ende des Tages bringen sie die Veränderungen die wir brauchen durch die Unterstützung von vielen weiteren Menschen. Dies zeigen auch Mahatma Gandhi, Martin Luther King oder andere. Sie änderten nicht das System. Sie handelten alleine und ließen es so. Erst durch die massenhafte Unterstützung veränderte sich etwas. Deswegen zu denken, dass wir komplette Konflikte verhindern können, ist Utopie. Es ist auch eine menschliche Eigenschaft nach Gründen zu suchen um zu kämpfen. Wenn ein Konflikt mit Dialogen gelöst wird, dann ist die Gewalt noch nicht überwunden. Du brauchst die strategische Unterstützung der ganzen Gesellschaft.

Ist das Ziel eurer Arbeit nun Frieden zu schaffen oder nur für weniger Krieg zu werben?

Simrat: Das Ziel sollte schon sein eine friedliche Welt herzustellen. Das Basel Peace Office im speziellem möchte Nuklearwaffen abrüsten. Wie wollen wir nukleare Waffen verhindern? Das ist nicht deine Aufgabe. Nein, es ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Du glaubst ja auch nicht die Religion verändern zu können, wohl aber die Gesellschaft.

Religionen ändern nicht die Gesellschaft, aber mit Aktivismus möchtest du die Gesellschaft und die Religion verändern?

Simrat: Religionen können genutzt werden um die Gesellschaft zu verändern, aber die Änderungen können positiv wie negativ sein. In der Geschichte haben im Namen der Religionen Menschen Menschen getötet. Unsere Kampagnen können lediglich falsch verlaufen. Sie sind risikobehaftet.

Was kann die/der einfache Student/in für Frieden tun? Was kann sie/er in ihrem/seinem Alltag tun?

Rimma: Erstmal haben wir alle Internet. Er/Sie kann eine Suchmaschine nutzen und herausfinden was abgeht in Deutschland. Beispielsweise der Vortrag gestern vom Zentrum für politische Schönheit. Die machen Kampagnen mit Kunstaktionen in Deutschland. Das kannst du auch machen. Kannst du dir vorstellen wie viele Aktivist*innen und Kampagnen in Deutschland unterwegs sind? oder in Frankreich? oder generell in Europa und in der Welt? Es ist sicherlich einfach etwas zu finden, dem man folgen kann, wenn du möchtest. Sie/Er kann auch uns kontaktieren oder das Basel Peace Office. Wenn die Person sehr interessiert ist an einer spezifischen Fragestellung wie Tierschutz, Umwelt oder was auch immer, kann er/sie sich auch an ihre/seine Freunde und Freundinnen halten und etwas selbst organisieren. Es gibt so viele Möglichkeiten zur Zeit. Du musst nur wissen was du magst. Was in der Welt macht dir zur Zeit Sorgen?

Simrat: Das eine ist, dass du dir Sorgen machst über etwas. Wenn dazu nix passiert in deiner Stadt oder deinem Teil der Welt, dann solltest du überlegen wie es dich betrifft und die Generationen deiner Familie. Wir müssen uns um diese Sachen sorgen. Wenn wir wollen, gehen wir voran oder arbeiten im Hintergrund. Du kannst es tun. Du kannst die Veränderungen herstellen. Beispielsweise durch Teilnahme an Online-Kampagnen oder du sprichst internationale und Nichtregierungsorganisationen an und fragst wie du helfen kannst. Es muss nicht im riesigen Umfang sein. Du kannst auch im Kleinen was bewirken.

Viele Aktivist*innen haben das Problem, dass sie für Betriebe arbeiten oder an Universitäten studieren, die Krieg unterstützen. Auf der einen Seite möchte er/sie Aktivist*in sein und auf der anderen Seite unterstützt er/sie acht Stunden am Tag Kriege. Wie kann ich Vollzeitaktivist*in werden?

Rimma: Warum willst du Vollzeitaktivist*in sein? Was bringt dir das? Das Gefühl ein guter Mensch zu sein? Ich denke in unserem Leben gibt es so viele Widersprüche. Wir haben beispielsweise alle Bankkonten und die meisten Banken, wo unser Geld liegt, unterstützen den Bau und die Industrie von Nuklearwaffen. Wie können wir darauf hinwirken, wo unser Geld liegt? Was kann ich tun, wenn alle Banken in den Niederlanden Nuklearwaffen unterstützen? Muss ich deswegen in ein anderes Land umziehen? Lebe ich in einem Land wegen einer Bank die Nuklearwaffen unterstützt? Es gibt viele Hindernisse in unserem Leben, die wir nicht ändern können, aber wir sollten es versuchen. Ich würde meine Universität wechseln, wenn sie Programme durchführt, die ich nicht unterstützen möchte.

Simrat: Es gibt viele Hindernisse die uns herausfordern. Ideal wäre es mit den Herausforderungen zu arbeiten und zu sehen wie du am besten damit umgehst. Du kannst aber auch blind demgegenüber werden, was nicht das Beste ist was du tun kann. Das Ideal ist einen Weg zu finden, der die Herausforderung aufnimmt und auch deine Ziele erreicht.

Ich habe einfach begonnen den Weg zu gehen. Wenn du dich wirklich um etwas kümmerst, dann kannst du es ändern. Bei mir sind es die Nuklearwaffen. Wichtig ist, dass du dafür brennst. Wenn du für etwas brennst, dann hast du auch Ideen wie du etwas verhindern oder erreichen kannst. Dann kommst du automatisch dahin. Wenn du wirklich etwas willst, dann gibst du hundert Prozent und viele Menschen merken das. Sie merken, dass du den Job im Rüstungsunternehmen nicht willst. Du riskierst etwas, weil es nicht so einfach ist Jobs zu bekommen. Auch das Unternehmen wird dich gar nicht wollen, aber die Leute werden deine Situation verstehen.

Einige Friedensaktivist*innen beklagen, dass es bei den Entscheidungsträger*innen kein Mitgefühl mehr gäbe. Die Aktivist*innen versuchten sie von Kooperationen mit Rüstungskonzerne abzubringen, doch diese erzählen oft, wenn sie moralische oder ethische Überlegungen nutzen würden, dann könnten sie mit niemanden mehr kooperieren. Wie können wir bei ihnen Mitgefühl für von Kriegen betroffene Menschen erhöhen?

Simrat: In Indien haben viele noch Eindrücke vom Krieg 1947 zwischen Pakistan und Indien. Er hat viele Menschen berührt. Meine Eltern überlebten, aber meine Großeltern starben, sodass es auch mich beeinflusst. Wenn du rausgehst um Bewusstsein für Krieg zu verbreiten, musst du die Erinnerungen an die Vergangenheit wecken. Das ist ein langer Weg, aber die Zerstörung wird immer mehr und viele Menschen werden sterben. Wenn Menschen das realisieren, werden sie dich unterstützen. Wenn viele Leute dich unterstützen, kann eine demokratische Regierung kaum etwas gegen dein Anliegen machen. Wenn die Leute die Veränderung wollen, dann muss die Regierung diese ermöglichen.

Wir haben über Frieden, Krieg und Aktivismus gesprochen und viele Aktivist*innen sind auch zur ISWI 2015 gekommen. Was ist euer erster Eindruck von der ISWI 2015?

Rimma: Als mein Buddy mich abholte und erzählte was alles passiert und geplant ist, war ich ziemlich beeindruckt von dem Programm und den Möglichkeiten, die diese Woche den Studierenden aus der ganzen Welt gibt. Ich denke es ist ein großartiger Ort um anzufangen die Welt zu verändern. Es ist am besten, wenn sich etwas bei der Jugend ändert, weil das in ein paar Jahren die ganze Welt verändert. Bei der ISWI geht es um Veränderung und Frieden. Es ist zudem ein aufregender Ort um neue Leute und Kulturen kennen zu lernen.

Die ISWI ist sehr stolz darauf, dass sie international ist. Was heißt das für dich?

Rimma: Ich bin in Russland geboren, bin in jungen Jahren nach Lettland gezogen und beendete die Schule in Russland und Lettland. Dann ging ich zum Studieren in die Niederlande und war über ein Austauschprogramm zeitweise in Schweden. Durch das Praktikum kam ich in die Schweiz, aber ich wohne in Frankreich, weil es günstiger ist. Ich bin also wirklich international, im Sinne Europas. Für mich bedeutet international sein, eine Weltbürgerin zu sein. Keine falschen Erwartungen über andere Kulturen und Religionen zu haben und offen zu sein für alles. Jeden Tag.

Simrat: International zu sein bedeutet, nicht die nationale Identität zu glorifizieren. Ich habe an so vielen Orten schon gelebt, dass ich das Gefühl habe, international zu sein, weil sich auch verschiedene Kulturen in mir vermischen.

Am Ende möchte ich euch die Chance geben, unseren Leser*innen noch etwas mitzuteilen.

Rimma: Ich finde es aufregend wie glücklich die Studierenden sind, dass sie hier sein dürfen. Wir sollten die Zeit nutzen und müssen daraus das beste machen. Werdet aktiv und versucht, was auch immer ihr könnt, um Veränderungen herzustellen. Nicht nur in der Welt, sondern auch in euch selbst. Weil, wenn du dich selbst änderst, änderst du die ganze Welt. Just be activ and don't be lazy!

 

Martin / CC by nc sa

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von Kaptial & Nation nicht sprechen will soll auch vom Kriege schweigen.