Erdogan setzt auf Krieg- Nationaler Sicherheitsrat fordert militärischen Einmarsch in Syrien

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Nach der vor zwei Wochen erfolgten Befreiung der Grenzstadt Tal Abjad, über die die wichtigste Versorgungsroute des IS aus der Türkei verlief, kontrollieren die YPG jetzt ein durchgängiges Gebiet entlang der türkischen Grenze vom Euphrat westlich von Kobani bis zum Tigris an der irakischen Grenze. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte am Freitag, niemals die Gründung eines Staates im Norden Syriens zu erlauben – ungeachtet dessen, dass die syrischen Kurden gar keine derartige Absicht geäußert hatten, sondern ihre Selbstverwaltungskantone ausdrücklich als Teil Syriens betrachten. »Bei diesem Thema werden wir unseren Kampf um jeden Preis fortsetzen«, erklärte Erdogan, der die YPG beschuldigte, mit der syrischen Regierung zu kooperieren und Turkmenen zu vertreiben.

 

Nach türkischen Medieninformationen hatten Erdogan und der nach der Parlamentswahl vom 7. Juni nur noch kommissarisch regierende Ministerpräsident Ahmet Davutoglu auf einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates in der vergangenen Woche einen Militäreinmarsch in Syrien gefordert. Auf einer Länge von 90 Kilometern solle eine zehn Kilometer breite Pufferzone als Aufmarschgebiet für die von Ankara unterstützten sogenannten »gemäßigten Rebellen«sowohl gegen die syrische Armee als auch gegen den IS und die kurdischen Milizen geschaffen werden, heißt es in der Tageszeitung Hürriyet Daily News unter Berufung auf anonyme Quellen im Staat. 12.000 Soldaten seien in Bereitschaft versetzt worden. Der Einmarsch solle über die unter Kontrolle des IS stehende Grenzstadt Jarablus verlaufen. Ziel sei es, die YPG davon abzuhalten, die Kontrolle über das ganze türkische Grenzgebiet zu erlangen.

Gegenwind gegen die Einmarschpläne kommt vom Generalstabschef Necdet Özel. Dieser wies auf unkalkulierbare Risiken bezüglich der Reaktionen der syrischen Regierung, der mit ihr verbündeten Staaten Russland und Iran, aber auch der USA sowie auf ein drohendes Ende des Waffenstillstandes mit der PKK-Guerilla in der Türkei im Falle von Gefechten der türkischen Armee mit den YPG hin. So heißt es nach Informationen der rechtsnationalistischen Ta­geszeitung Yenicag, die Armeeführung verlange einen schriftlichen Befehl des Ministerpräsidenten, wofür aber die vorherige Bildung einer Regierungskoalition die Voraussetzung sei. Angesichts des traditionell starken Einflusses der USA auf die türkische Armee dürfte Özel, dessen Amtszeit im August endet, hier auf Druck Washingtons auf Zeit spielen, um sein Land nicht tiefer in das syrische Chaos zu verwickeln. Dagegen scheint Erdogan gerade auf innen- und außenpolitische Spannungen zu setzen, um sich dann als starker Mann und seine AK-Partei im Falle vorgezogener Neuwahlen als Garantin für Ordnung zu präsentieren.

 

PYD: Die Türkei muss von ihren Drohungen abrücken

Der Kovorsitz der Partei der Demokratischen Einheit (PYD) hat angesichts der Interventionsdrohungen des türkischen Staates in Rojava und Syrien eine schriftliche Erklärung an die internationale Öffentlichkeit veröffentlicht. Im Folgenden auszugsweise die Erklärung:

„Nach den Drohungen von Vertretern der türkischen Regierung hat sich die türkische Armee in der Nähe der syrischen Grenze stationiert. Zu diesen Punkten wollen wir unsere Gesellschaft und die internationale Öffentlichkeit informieren.

 

1. Als politischer Teil der demokratisch-autonomen Verwaltung verhalten wir uns immer dem internationalen Recht entsprechend. Wir nähern uns an die zwischenstaatliche Grenzen und die Nachbarn mit Respekt und den internationalen Vereinbarungen entsprechend.

2. Wir haben nicht die Absicht einen unabhängigen Staat zu gründen. Die Behauptungen des Staatspräsidenten der Türkei haben weder Hand noch Fuß. Mit der Entwicklung der demokratisch-autonomen Verwaltung versuchen wir im syrischen Chaos mit an einer Lösung zu arbeiten.

Die demokratisch-autonome Verwaltung ist ein System, welches alle Nationen, Konfessionen und Glaubensrichtungen trägt. Die angesprochene Thematik ist zudem eine interne Angelegenheit, eine Angelegenheit der Völker Syriens. Die Nachbarstaaten verfügen nicht über das Recht zu intervenieren.

3. Im Namen der PYD und aller Mitglieder der demokratisch-autonomen Verwaltung wollen wir nochmals betonen: Wir verfügen nicht über Absichten die innere Ordnung unsere Nachbarn zu zerstören oder zu untergraben. Wir hoffen, dass eine Intervention in Syrien nicht mit der UN-Konvention zu vereinbaren ist und keine Herangehensweise verfolgt werden wird, die an den nachbarschaftlichen Werten rüttelt.

4. Den internationalen Vereinbarungen zufolge kämpfen wir gegen den Terrorismus. Wir verhalten uns dem internationalen Recht entsprechend. Einige unserer Kriegspartner sind gleichzeitig auch die Partner der Türkei. Aus diesem Grund wird ein Angriff auf die YPG-Kräfte und deren Partner in Rojava den terroristischen Gruppen in die Hände spielen.

5. Eine militärische Intervention in Rojava wird sowohl für die Region als auch für die Beziehungen zwischen den Staaten große Auswirkungen haben. Zudem wird es den politischen Zustand von Syrien und dem Mittleren Osten in ein noch größeres Chaos stürzen. Die internationale Sicherheit würde gefährdet werden.

Wir erhoffen von den [westlichen] Staaten, insbesondere von Amerika und Frankreich, die mit der Türkei Teil der NATO sind, dass sie einer wahrscheinlichen Intervention der Türkei in einen bestimmten Teil von Rojava und Syrien keine Erlaubnis geben werden.

6. Die Kräfte der YPG und deren Verbündete haben die Region Rojava vor dem diktatorischen Regime und den bandenhaften Gruppen verteidigt. Sie haben viele Opfer für die Verteidigung von Rojava gegeben. Gegenwärtig sind wir auf jegliche Angriffe vorbereitet, egal aus welcher Richtung sie auch kommen sollten.

Wir wollen ein System, welches in einem demokratischen Rahmen die Einheit Syriens und alle Rechte und Vorkommen schützt. Wir wollen auf der Grundlage von guten Beziehungen zu den Nachbarländern in Kontakt zu den Gesellschaften treten. Wir sind ein Teil der Koalition gegen den Terror. Auf dieser Grundlage rufen wir die türkischen Vertreter dazu auf von ihrer provokativen Politik abzurücken.“ (jW, 29.6., ANHA/CA, 1.7., ISKU)


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