Flüchtlinge als Bauern in Mecklenburg ansiedeln

Gemeinhin flüchten Flüchtlinge, weil sie auf der Suche nach einem besseren Leben sind. Ob sie in Mecklenburg-Vorpommern nach Ideen von Heribert Prantl glücklicher werden?
Erstveröffentlicht: 
31.05.2015

Der Jurist und Journalist Heribert Prantl hat eine Streitschrift veröffentlicht: "Im Namen der Menschlichkeit". Es geht um die Flüchtlingsfrage und Europas Versagen. Seine Forderungen sind zynisch. Von Dirk Schümer Europakorrespondent

 

Die erfreuliche Nachricht zuerst: Es war höchste Zeit, dass sich eine namhafte Medienfigur für eine europäische Flüchtlingspolitik einsetzt – nicht für eine bessere, sondern überhaupt. Heribert Prantl aus der Chefredaktion der "Süddeutschen Zeitung" übernimmt diese Aufgabe "Im Namen der Menschlichkeit", so der Titel eines gerade erschienenen Kurzpamphlets (Ullstein Verlag, 32 Seiten).


Völlig zu Recht beklagt der Autor eine menschenfeindliche Taktik, den Strom von Kriegs- und Armutsflüchtlingen aus Europa fernzuhalten. Die zynische Fiktion einer Gesellschaft ohne Asylanten – 2006 akzeptierte das System in Deutschland gerade einmal 251 Anträge – ist längst vom Zustrom Hunderttausender ad absurdum geführt geworden.


Dass dabei bereits Tausende Verzweifelte im Mittelmeer ertrunken sind, dass eine Schleusermafia mit dem Elend und Sterben der Menschen einen Milliardengewinn erwirtschaftet, ist offensichtlich.

Nirgendwo ist das Versagen der politischen Klasse schreiender, ist der Mangel an europäischer Kooperation augenfälliger. Der jetzt vorgelegte Asylkompromiss der EU, der erstmals eine Verteilung der Menschen auf die Nationen des Kontinents vorsieht, lässt sich mit Prantls Argumenten füglich als ein Tropfen auf den heißen Stein abtun.

 

Abschaffung aller Grenzen und Kontrollen

 

Doch nicht einmal dieser Minimalkonsens wird tragen, denn Länder wie Ungarn oder Großbritannien wollen die Verantwortung für Verfolgte und Verzweifelte nicht mittragen.

 

Wie also umgehen mit dem, was Hans Magnus Enzensberger "Die große Wanderung" genannt hat? Prantl möchte den gordischen Knoten durchschlagen, indem er die Abschaffung aller Grenzanlagen und -kontrollen fordert. Hier beginnen dann die unerfreulichen, um nicht zu sagen: unmenschlichen Aspekte dieser Kampfschrift.

 

Schon die Ankündigung, Europa halte für jeden Gast freien Antransport, freie Ortswahl, ärztliche Versorgung, Schule, Wohnung und Grundeinkommen parat, würde sofort einen gigantischen Ansturm auf die viel geschmähte "Festung Europa" auslösen.

 

Wie würden die Bürger reagieren, zumal an den Grenzen in Griechenland, Italien oder Bulgarien, wo schon die Einheimischen kaum über die Runden kommen? Bräche jedes Sozialsystem nicht sofort zusammen?

 

Es gibt viel mehr Flüchtlinge als gedacht

 

Hier zeigen sich in der Argumentation gröbste Unstimmigkeiten. Ginge es um die von Prantl beiläufig erwähnten drei- bis vierhunderttausend Hilfesuchenden, würde vielleicht sogar der deutsche Staat allein mit großer Mühe die Herausforderung bewältigen.

 

Prantl erwähnt aber selbst, dass allein im Libanon über eine Million Syrer notdürftig in Lagern untergebracht sind. Flüchtlingsorganisationen schätzen etwa die schlimmen humanen Folgen eines kleineren Kriegsschauplatzes wie des Jemen auf gut zweihunderttausend Migranten ohne Wiederkehr.

 

Was ist beim Wegfall aller Zäune und Kontrollen mit der Ukraine, dem Kosovo? Was mit China, dem subsaharischen Afrika, Südamerika? Was mit den islamischen Gotteskriegern?

Den erwartbaren Ansturm von Millionen und das Anwachsen xenophober Parteien würde Europa als Wertegemeinschaft nicht überstehen. Wie sein krudes Programm in der EU politisch überhaupt durchzusetzen wäre, darüber verliert der Autor lieber keinen Gedanken.

 

Alles riecht nach moralischer Diktatur

 

Er müsste wissen, dass seine Maximalforderungen illusorisch sind und sich nur in Form einer moralischen Diktatur umsetzen ließen. Welchen humanitären Vorteil böte zudem die Entvölkerung gescheiterter Staaten und die Umsiedlung ihrer dynamischen und jungen Eliten nach Europa denn für die Zurückgebliebenen, für Arme, Kranke, Kinder in Afrika?

 

Richtig peinlich wird Prantls Pamphlet, wenn er die Verpflichtungen Europas gegenüber allen Armen dieser Welt nach Maßgabe eines bayerischen Sozialamts erklärt: Alle Flüchtlingskinder bekommen sofort einen Platz in der Kita, und "man braucht Klein- und Willkommens- und Übergangsklassen für Flüchtlingskinder; man braucht mehr Sozialarbeiter und mehr Dolmetscher".

 

Prantls Strategie verläuft nach diesem Muster: "Hast du ein Problem, gründe eine Behörde." Diese eskapistische Fantasie wird vollends absurd, blickt man auf den Flüchtlingsalltag in europäischen Partnerländern.

 

In Griechenland und Italien, wo die meisten Zuwanderer gestrandet sind und es nicht einmal für Einheimische einen Sozialstaat nach deutschem Muster gibt, vegetieren die Migranten oft genug auf der Straße oder in Slums, haben keine ärztliche Versorgung. Afrikanische Frauen landen in Italien oft in der Straßenprostitution.

 

Dicke Hornhaut auf dem Gewissen

 

Die Camorra lässt ihren Giftmüll, wie von Roberto Saviano beschrieben, vorzugsweise von denselben Verzweifelten beiseiteschaffen, die in Lampedusa angelandet sind; im verlotterten Athen tobt auf den Straßen bereits der Kampf zwischen Migranten und faschistoiden Banden.

 

Diese Folgen anarchischer Zuwanderung sind ein Skandal. Nach Prantls Vorstellungen würde er zur Regel. Und auch das grauenvolle Ertrinken Tausender ginge weiter, denn Prantl fordert explizit, nicht weiter gegen die Schleuser vorzugehen.

 

Auch die wirklich praktikable Lösung, nämlich schon an den Außengrenzen in Nordafrika die Asylanträge zu bearbeiten und die Todesboote zu stoppen, wischt der Autor mit dem Hinweis auf rechtsstaatliches Prozedere elegant vom Tisch.

 

Man muss schon eine dicke Hornhaut auf dem Gewissen haben, um dergleichen Unterstützung der brutalen Schleusermafia als "neue Schutzkultur" zu verkaufen. Dass es Prantl mit seinen Zahlen und seinem Prozedere selber nicht geheuer ist, zeigt seine nonchalante Vision zur Entsorgung der erwartbaren Massen. Sie sollen in Landschaften, "die weitgehend entvölkert sind", als Bauern um ihr Leben ackern.

 

Wahnwitzige Idee einer neuen Ostkolonisation

 

In Mecklenburg-Vorpommern – also an Deutschlands entferntestem Fleck zur Redaktion der "Süddeutschen Zeitung" – sollen sich die Migranten "mit den Erfahrungen ihrer uralten Subsistenzwirtschaft, also der Selbstversorgung, eine bescheidene Existenz aufbauen".

 

Diese wahnwitzige Idee einer neuen Ostkolonisation klingt fast schon nach Satire. Man wüsste gerne, wie Prantl den Mecklenburgern und den jungen Männern aus Lampedusa den Anbau von Kartoffeln oder Maniok in Reservaten an der Peene schmackhaft machen will.

 

Spätestens da wird klar, dass dieses völlig unausgegorene Manifest gar nicht im Namen der Menschlichkeit verfasst wurde, sondern im Namen wohlfeiler Moral. Angesichts der Dramatik des Problems ist das sehr schade.

 

Aber seit Nietzsche wissen wir, dass Moralpredigten nicht zur Verbesserung der Zustände eingesetzt werden, sondern zur Einteilung der Welt in Gut und Böse. So ist denn Prantls selbstgerechte Predigt nichts anderes als ein Appell aus Wolkenkuckucksheim: Lasst uns bitte weiterträumen!