Zur Person 1979 starben zwei Kubaner in Merseburg nach einer Schlägerei - Historiker Harry Waibel über Attacken auf Ausländer in der DDR
Leipzig. Der Historiker Harry Waibel (68) hat in Stasi-Unterlagen
und SED-Archiven herausgefunden, dass es in der DDR einen weit
verbreiteten Rassismus gegen Vertragsarbeiter gab. Schwerpunkt der
Übergriffe: der Bezirk Halle.
Wann begannen die ersten rassistischen Übergriffe in der DDR auf Ausländer?
Mit dem Erscheinen der Vertragsarbeiter, als Mitte der siebziger Jahre
zuerst Algerier, dann Mosambikaner, Angolaner und Kubaner kamen. Bis
1989 waren es etwa 90000, darunter etwa 60000 Vietnamesen, die jedoch in
der späten DDR meist in Ruhe gelassen wurden.
Mit welchen Folgen?
Es gab sofort massive Probleme zwischen der Bevölkerung und den
Algeriern, die zuerst da waren und in Wohnheimen untergebracht wurden.
Zu Pogromen kam es 1975 in Erfurt; nur mit Glück hat es da keine Toten
gegeben.
Woher rührten die Ressentiments in der DDR-Bevölkerung? Lag es
vielleicht auch daran, dass etwa Algerier D-Mark besaßen und damit
materiell im Vorteil waren?
Mit Sozialneid lässt sich das nur zum Teil erklären. Besonders die
Geheimhaltungspolitik der SED trug ihren Anteil daran. Die DDR-Einwohner
wussten doch überhaupt nichts über die Ausländer, die in ihren
Betrieben arbeiteten.
Und als es die ersten Übergriffe und Ausschreitungen gab, hat die SED-Führung alles unter der Decke gehalten?
Bis 1989 war die zentrale Doktrin, dass jegliche Konflikte mit
Ausländern der Geheimhaltung unterstanden. Es gab offiziell keine
Probleme und schon gar keine rassistischen Attacken von DDR-Bürgern auf
Vertragsarbeiter.
Die es aber nach Ihren Recherchen in großer Zahl gegeben hat. War da
eher unterschwellige Wut der Auslöser oder gab es konkrete Anlässe?
Die Aggressionen richteten sich zunächst eher allgemein gegen die, die
schon von ihrer Hautfarbe her anders waren. Dazu kam die Empörung
darüber, dass etwa bei Vergewaltigungen durch Vertragsarbeiter, der oder
die Täter nicht vor Gericht gestellt wurden. Diese Fakten in Verbindung
mit der Schweigepolitik der SED ergaben eine explosive Stimmung der
Unzufriedenheit und der Selbstjustiz, die sich dann hochschaukelte und
gewaltsam gegen Ausländer insgesamt entlud.
Haben Sie auch Todesfälle dokumentiert? Im August 1979 kam es vor der
Disco Saaletal in Merseburg zu einer wüsten Schlägerei zwischen
Einheimischen und Kubanern, die von Algeriern unterstützt wurden. Dabei
wurden zwei Kubaner getötet, ihre Leichen in der Saale gefunden. Mehrere
Kubaner, die schwimmend das Ufer erreichen wollten, wurden von einer
Brücke aus mit Flaschen beworfen und getroffen.
Zwei tote Kubaner, wurde da nicht akribisch ermittelt?
Am Anfang hat das die Volkspolizei tatsächlich getan und zwei
Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Stasi hat dann aber triumphierend
vermerkt, dass das noch zurückgepfiffen werden konnte.
Warum wollte man die Täter schützen?
Die SED-Führung wollte einen möglichen Schaden für die internationalen
Beziehungen der DDR verhindern, das stand über allem. Der Fall wurde
also nie aufgeklärt; es wäre juristisch noch möglich, denn Mord verjährt
nicht.
Der DDR-Bezirk Halle mit der Chemie- und Schwerindustrie: War diese Region Zentrum der Angriffe auf Ausländer?
Das war sicher so, weil in den großen Kombinaten viele Arbeitskräfte
gebraucht wurden. Aber auch an Standorten wie Prora, Kamenz, Löbau und
Naumburg, wo ausländische Militärkader in der NVA ausgebildet wurden,
kam es oft zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen diesen
Offiziersschülern und der DDR-Bevölkerung.
Tröglitz steht jetzt im Fokus, die Spur der Ausländerfeindlichkeit in diesem Ort führt nach Ihren Erkenntnissen weit zurück...
Im Januar 1980 lieferten sich in Tröglitz nach einer Disco im Klubhaus
der VEB Hydrierwerke 60 DDR-Bürger mit zehn Kubanern gewalttätige
Auseinandersetzungen, es gab Verletzte. Tröglitz ist also vorbelastet,
die Dimension damals war keine Kleinigkeit. Aber der Ort stand nicht
allein, in der Region um Zeitz, Merseburg und Naumburg gab es immer
wieder Vorkommnisse dieser Art.
Mit Ihren Forschungen widerlegen Sie das gern beschworene Bild von
der heilen Welt zwischen DDR-Bürgern und Vertragsarbeitern. Wie sind die
Reaktionen?
Viele meiner Zuhörer sind zuerst verwundert und dann sprachlos, das
kann ich nachvollziehen. Gerade im Osten stehen immer wieder Leute auf,
die mit SED-Unterton versuchen, das Problem wegzuschieben. So was hätte
es ja nie gegeben, heißt es dann. Das bin ich mittlerweile gewohnt. Aber
oft komme ich danach mit Kritikern und Zuhörern ins Gespräch und wir
tauschen uns aus. Da habe ich als Wissenschaftler ein Nachdenken
angeregt, das ist doch schon was.
Interview: André Böhmer