Flüchtlingsunterkunft: 80 Aktivisten verhindern Abschiebung in Müllheim

Erstveröffentlicht: 
13.04.2015

von Julia Jacob

 

Ziviler Ungehorsam: Rund 80 Menschen haben die Müllheimer Flüchtlingsunterkunft blockiert, um die Abschiebung von drei Afrikanern zu verhindern. Die Polizei brach die Aktion daraufhin ab.

 

Mitglieder des Flüchtlingskreises, des Vereins Zuflucht Müllheim sowie des Friedensrates haben in der Nacht auf Montag die Abschiebung von drei Flüchtlingen verhindert. Rund 80 Männer und Frauen hatten sich zu der Aktion des zivilen Ungehorsams eingefunden und die Zugänge zur Gemeinschaftsunterkunft am Müllheimer Bahnhof besetzt. Die Polizei zog unverrichteter Dinge wieder ab.

 

In der Nacht zum Montag sollten drei junge Afrikaner aus der Müllheimer Flüchtlingsunterkunft, dem ehemaligen Gästehaus Bauer, abgeholt, nach Frankfurt gefahren und dort in den Flieger nach Mailand gesetzt werden. Um dies zu verhindern, hat der Friedensrat Markgräflerland seine jüngst initiierte "Telefonkette gegen Abschiebung" aktiviert: 80 Frauen und Männer versammelten sich ab 3 Uhr in der Nacht vor den Eingängen der Flüchtlingsunterkunft am Müllheimer Bahnhof.

 

Gegen 4.30 Uhr traf am Gästehaus ein Polizeifahrzeug ein. Die Versammelten gruppierten sich vor den Eingängen, ein Transparent mit der Forderung: "Bleiberecht statt Abschiebung! Unseren Flüchtlingen ein sicheres Zuhause" wurde aufgestellt. Unverrichteter Dinge fuhren die Beamten wenige Minuten später wieder davon. Die Streifenbeamten hatten sich offenbar ausgerechnet, dass sie keine Chance gehabt hätten, gegen 80 Frauen und Männer, schildern "Zuflucht Müllheim" und Friedensrat die Geschehnisse der Nacht.

Helfer wollen nicht tatenlos zusehen


Man habe sich mit friedlichen Mitteln gewehrt, durch bloße Anwesenheit, betont "Zuflucht". Eingefunden hatten sich die Menschen vor der Unterkunft, um gegen die Abschiebungen der drei jungen Afrikaner nach Italien zu protestieren, da die Flüchtlinge dort nach Einschätzung und Erfahrung von Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl keine Integrationschance haben und fast zwangsläufig auf der Straße enden, argumentieren die Helfer.

Samuel Gebert, Vorsitzender des Vereins Zuflucht Müllheim und in maßgebender Verantwortung beim Flüchtlingskreis Müllheim tätig, kann dies nur bestätigen. Er ist vor kurzem einem jungen Mann aus Gambia, dem ersten Flüchtling, der aus Müllheim abgeschobenen wurde, hinterhergereist und hat seine Situation dokumentiert.

Bei der nächtlichen Zusammenkunft vor der Flüchtlingsunterkunft wird deutlich, dass die vielen Helfer, die sich in Müllheim um die Integration der Flüchtlinge bemühen, Mühe haben, die Beweggründe für die Abschiebung nachzuvollziehen. Als Ehrenamtliche sind sie aufgefordert, den Flüchtlingen beim Spracherwerb, bei der Suche nach Ausbildung und Arbeit, aber auch von Wohnungen behilflich zu sein – Anstrengungen, die in Müllheim zum Teil sehr erfolgreich umgesetzt werden. Gleichzeitig sollen sie tatenlos zusehen, wie die in vielen Fällen bereits gelungene Integration der Flüchtlinge zunichte gemacht wird, wenn Abschiebung droht – und umgesetzt wird.

 

Die jungen Männer waren gut integriert


Auch die drei jungen Männer aus Afrika, deren Abschiebung nun zunächst nicht erfolgte, gehen in Müllheim zur Schule, lernen fleißig Deutsch in der Integrationsklasse. Einer von ihnen habe sogar bereits Arbeit gefunden, der Arbeitsvertrag sollte dieser Tage unterschrieben werden, berichtet Samuel Gebert. Solche Bemühungen würden mit einem Streich per Abschiebungsverfügung zunichte gemacht. "Ich verstehe nicht, warum man Menschen abschiebt, die bereits voll integriert sind", sagt Samuel Gebert. Den Helfern sei sehr wohl bewusst, dass die Anordnung vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, der Außenstelle Dortmund, kommt und nicht aus dem Landkreis, betont "Zuflucht".

 

Für die Flüchtlinge selbst sei es ein Schock zu erleben, wie wenig Sicherheit ihnen die freundliche Aufnahme der Ehrenamtlichen in Wirklichkeit biete. Auch junge Leute aus Müllheim, die sich an der nächtlichen Blockadeaktion beteiligten, hätten größte Mühe, diese Lektion in Staatsbürgerkunde zu verstehen. Wie geht es nun weiter? Den drei Flüchtlingen droht weiterhin die Abschiebung. Der Auftrag aus dem Regierungspräsidium Karlsruhe müsse umgesetzt werden, sagt Laura Riske, Sprecherin des Polizeipräsidiums Freiburg. "Wir sind die Exekutive." Wie genau die Polizei künftig vorgehen will, wenn ihnen der Zugang zu einer Unterkunft versperrt wird, lässt die Polizeioberkommissarin aber offen.

Auch für Dieter Seywald, Leiter des Müllheimer Polizeireviers, ist die Situation bislang ungelöst. In Rücksprache mit dem Führungs- und Lagezentrum in Freiburg habe die Polizeistreife, die den Auftrag hatte, die drei jungen Männer aus der Unterkunft abzuholen, den Rückzug angetreten. Klar ist für Seywald aber auch, dass es nicht immer so weiter laufen kann. Auch er betont: Der Abschiebeauftrag besteht. Mit dem Präsidium in Freiburg ist Seywald nun im Gespräch, um die künftige Verfahrensweise abzusprechen. Eine Überlegung, die dabei offenbar im Raum steht, ist die, künftig mit mehr Beamten anzurücken.

Rechtliche Folgen sind noch unklar


Über die Möglichkeit, dass die Abschiebung von Protesten begleitet sein könnte, hatte Revierleiter Dieter Seywald bereits im Vorfeld mit Kollegen gesprochen. Bei massivem Widerstand, so lautete die Anweisung, sollte die Aktion nicht durchgezogen werden. Auch Polizeisprecherin Riske betont: "Für eine einzelne Streife war der Auftrag nicht umsetzbar." Die Aktivisten – die Polizei spricht von 40 bis 50 Personen – hätten sich untergehakt, an ein Vorbeikommen war für die Beamten nicht zu denken.

Noch nicht geklärt ist die Frage, ob und inwieweit Personen, die sich an der Aktion des zivilen Ungehorsams beteiligt haben, rechtlich belangt werden können. Revierleiter Dieter Seywald sieht mindestens den Straftatbestand der "Störung einer Amtshandlung" erfüllt. Möglicherweise handele es sich auch um Widerstand gegen die Staatsgewalt, möglicherweise gar um Nötigung. Dies zu überprüfen sei Aufgabe der Staatsanwaltschaft.