Tröglitz und die Angst vor dem Fremden

Erstveröffentlicht: 
11.04.2015

Nur eine Ausnahme - oder typisch deutsch? Nach dem Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim steht ein ganzer Ort im In- und Ausland unter Generalverdacht. Von Klaus Wallbaum Tröglitz. Hundert Meter von dem Haus mit dem ausgebrannten Dachstuhl entfernt steht eine kleine Gruppe. Feierabendzeit, man plauscht am Gartenzaun. Ein Ehepaar Mitte 40, ein jüngerer Mann und ein älterer Herr mit Fahrrad, der hier das Wort führt. Leiter des nahen Betriebes für Industriepumpen sei er früher gewesen, sagt der Rentner. Seinen Namen aber will er nicht nennen. Die anderen auch nicht. "Man nennt uns ein Nazi-Dorf. Das alles wird hier langsam lästig", sagt der Mittvierziger. Der Herr mit dem Rad meint: "Sie stellen uns an den Pranger, halten uns für Braune. Dabei war hier früher doch nie was los."


Heute ist viel los in Tröglitz, vor allem hier an der Ecke Ernst-Thälmann-Straße/Karl-Marx-Straße, wo das vom Feuer teilweise zerstörte Flüchtlingswohnheim steht. Mit Flatterband ist die Stelle abgegrenzt, mehrere Polizeiwagen sind auf der Straße geparkt. Journalisten streifen auf der Suche nach Gesprächspartnern durchs Dorf. Ihre Geschichten werden in aller Welt gedruckt.


Tröglitz in Sachsen-Anhalt, das steht plötzlich für ein neues Deutschland. Es ist kein schönes Deutschland. Für die amerikanische "New York Times" ist Tröglitz der Ort des "Triumphes der Neonazis", die den Bürgermeister verjagen - weil er sich nicht gegen die Aufnahme von Flüchtlingen wehrt. In Istanbul berichtet "Daily Sabah" täglich über die neuesten Wendungen. Die Leser des britischen "Independent" erfahren, dass "Neonazis" schleichend die Dörfer im Osten erobern und einem Landrat wegen seines Jas zum Asylheim die Köpfung androhen - unter "Weiteres zum Thema" finden sie noch einen Bericht zur Rekonstruktion des Führerbunkers.


Der kleinen Gruppe an der Tröglitzer Straßenecke ist Aufmerksamkeit unangenehm. Der alte Herr mit dem Fahrrad sagt, "wir sind ein aufgeschlossenes Volk". Aber man wolle schon genau wissen, wer die 40 Flüchtlinge seien, die nach den Plänen des Burgenlandkreises in dem 2700-Einwohner-Ort heimisch werden sollen: "Anfangs hieß es, das seien Männer aus Kriegsgebieten. Dazu sage ich: Das sind keine Männer, sondern Pfeifen, die ihre Frauen und Kinder alleinlassen und fliehen." Die anderen nicken.


Der kleine Ort südlich von Leipzig, 1937 als Arbeitersiedlung für die damalige Braunkohle-Benzin AG gebaut, wird in diesem Frühjahr 2015 zum Symbol für den Hass auf Ausländer. Am 4. April haben Unbekannte hier einen Brandanschlag auf das noch unbewohnte Flüchtlingsheim verübt. "Tröglitz ist überall", hat Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) danach gesagt. Ein umstrittener Satz. Denn der Anschlag war der Gipfel einer fünf Monate währenden Eskalation. Vielerorts, aber eben nicht überall schlägt latente Fremdenfeindlichkeit in offene Gewalt um.


Es begann im Dezember, als erste Gerüchte im Dorf kursierten, man wolle Flüchtlinge hier unterbringen. Jeden Sonntag formierten sich Protestzüge. Eine offizielle Information der Kreisverwaltung gab es nicht. Der Ortsbürgermeister Markus Nierth versuchte zu vermitteln, fühlte sich aber alleingelassen. Als der Protestzug Anfang März direkt vor sein Haus führen sollte, gab er entnervt auf, trat zurück - und löste ein bundesweites Echo aus. Weicht die Politik vor dem "braunen Mob"?


Die Menschen auf der Straße äußern sich unterschiedlich. Den Brandanschlag verurteilen alle, die Ansichten über die Flüchtlinge sind geteilt. "Das sind doch verfolgte Menschen, wir müssen denen helfen", sagen Eva-Maria und Rainer Böhland. Eine junge Frau mit Kinderwagen sieht es ganz anders: "Es war ja klar, dass das so weit kommt. Wir hätten eine Volksabstimmung machen sollen - dann wäre klar gewesen, dass keine Flüchtlingsunterkunft eingerichtet werden soll." Der Herr mit dem Fahrrad berichtet, man habe sich bei ihm erkundigt, ob Räume für Flüchtlinge frei sind: "Zwei Wohnungen stehen leer, aber ich will das nicht."
Es gibt Erklärungsversuche für das, was hinter der Ablehnung gegenüber den Fremden steckt. Eine Version hat Markus Nierth geliefert: Jahrzehntelang gab das Kohle-Hydrierwerk den Menschen Arbeit, eine Anlage, die aus Braunkohle Kraftstoff fertigte. In den Neunzigerjahren schloss das Werk, der Anteil der Arbeitslosen und Hilfsempfänger im Ort ist hoch. Braunkohlebergbau und Chemieindustrie waren zu DDR-Zeiten stolze Wirtschaftszweige. Geblieben ist davon fast nichts, viele Menschen sind in ihrer Ehre getroffen. Rührt daher eine Reserviertheit gegenüber allem, was von außen kommt?


Einen anderen Schluss zieht Jörg Pampel, der offen bekennt, bei den ersten Demonstrationen gegen die Flüchtlinge dabei gewesen zu sein. Eine "Schockstarre" habe nach dem Brandanschlag den Ort erfasst, meint er - Gegner wie Befürworter des Flüchtlingsheims. Dabei habe sich an den Asylbewerbern doch nur "eine allgemeine Unzufriedenheit mit den Politikern" kristallisiert. "Hätte man schon früh eine Bürgerversammlung gemacht und die Leute richtig informiert, dann wäre alles nicht so gekommen", sagt Pampel, der politisch weit rechts eingestellt ist. Eskaliert sei der Streit nur, weil der Landrat und der Bürgermeister nicht sagen wollten oder konnten, wie viele Flüchtlinge kommen.


Vielleicht gibt es noch eine Erklärung: Tröglitz ist eigentlich eine Insel der Idylle. Häufig hört man den Satz: "Das war hier immer so ein schöner, ruhiger Ort - und jetzt?" Hier stehen Mehrfamilienhäuser aus den Dreißigerjahren neben hübschen Bungalows. Alles ist gepflegt, die Vorgärten sind mit Blumen geschmückt. Nur zwei Kilometer weiter, in der einst prächtigen Residenzstadt Zeitz mit ihren rund 30000 Einwohnern, sind bedrückende Zeichen des Verfalls zu sehen. In der Innenstadt stehen große Häuser mit vernagelten Fenstern, der Putz bröckelt, es ist grau - teilweise wie zu düstersten DDR-Zeiten. Tröglitz ist da für viele Tröglitzer wohl auch so etwas wie ein Rückzugsort, ein bisschen heile Welt in einem schwierigen Umfeld.


Ursula Gilsa wohnt schräg gegenüber von dem Haus, in dem das Feuer gelegt wurde, sie ist "geschockt", wie sie sagt: "Es ist gut, dass jetzt so viel Polizei hier ist im Ort. Das gibt den Menschen das Gefühl, dass sie geschützt sind." Vor wem? Den Rechten? Den Fremden?

 


 

 

Erschreckende Werte - auch im Westen


Studie zu ausländerfeindlichen Einstellungen: "Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen." Oder auch: "Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die Ausländer in ihre Heimatländer zurückschicken." Solche Sätze kommen offenbar vor allem in Sachsen-Anhalt gut an: 42,2 Prozent der Menschen dort stimmen diesen und anderen ausländerfeindlichen Thesen zu - mehr als in allen anderen Bundesländern, wie Wissenschaftler der Universität Leipzig ermittelt haben. Typisch Osten? Vorsicht!


Seit 2002 haben die Wissenschaftler für ihre "Mitte"-Studie im Zweijahresrhythmus insgesamt rund 20000 Menschen in Deutschland befragt, um zu erfahren, wie verbreitet rechtsextreme Einstellungen sind. Die Ergebnisse brechen mit manchem Klischee. So fanden die Forscher die zweitstärksten ausländerfeindlichen Tendenzen im Süden der Republik, in Bayern. Dort stimmt jeder Dritte (33,1 Prozent) ausländerfeindlichen Sätzen zu, jeder Achte (12,6 Prozent) sympathisiert sogar mit antisemitischen Einstellungen. Erst hinter Bayern rangieren bei den Vorbehalten gegenüber Menschen aus fremden Ländern die übrigen ostdeutschen Länder.


Ist es also nur folgerichtig, dass Sachsen-Anhalt nach dem Anschlag von Tröglitz besonders im Fokus steht? Führt eine verbreitete ausländerfeindliche Gesinnung auch zu besonders vielen Übergriffen? So einfach ist es anscheinend nicht, wie eine Übersicht der Attacken und Kundgebungen gegen Flüchtlinge zeigt. Im durchaus ausländerfeindlichen Bayern blieb es seit Jahresbeginn vergleichsweise ruhig, während es im relativ toleranten Nordrhein-Westfalen schon eine Vielzahl von Übergriffen gab. Andererseits belegen die Zahlen aber auch: In Ostdeutschland decken sich häufig Denken und Handeln - die Zahl der Übergriffe ist auffallend hoch.tof