Holtmann: In Tröglitz Potenzial an Vorurteilen
Leipzig. Die Ereignisse im sachsen-anhaltischen Tröglitz sind laut
Einschätzung des Politikwissenschaftlers Everhard Holtmann aus Halle in
diesem Ausmaß zwar ein Einzelfall, sie stehen allerdings spiegelbildlich
für eine Schwäche der Zivilgesellschaft insbesondere in den kleinen
Ortsgemeinschaften Ostdeutschlands.
Tröglitz hat einen handfesten Skandal - jetzt lädt der Landrat zur Bürgerversammlung. Ist das der richtige Weg?
Solche Gespräche bieten die Gelegenheit, auf Fragen der Einwohner
einzugehen, Ängste zu nehmen, mangelnde Kenntnisse zu verbessern. Im
konkreten Fall kommt die Bürgerversammlung allerdings zu einem späten
Zeitpunkt.
Bürgermeister Markus Nierth hat das Handtuch geworfen, weil er sich
von Rechtsextremisten bedroht und von der Politik allein gelassen
fühlte. Ist das ein Einzelfall, ein ostdeutsches Problem?
Glücklicherweise handelt es sich nach meiner Kenntnis um einen
Einzelfall. Allerdings verweisen die örtlichen Geschehnisse auf ein
Potenzial an Unsicherheit und Vorurteilen - für mich spiegelbildlich
eine Schwäche der Zivilgesellschaft, die in Ostdeutschland auch
andernorts existiert und vor allem in kleinen Ortsgemeinschaften
wurzelt.
Wo sehen Sie dafür die Gründe?
Etwa in einer geringen Ausländerquote - weil man mit Fremden kaum
Umgang hat, werden diese umso mehr als Bedrohung empfunden. Menschen mit
geringem Einkommen und gering eingeschätzter Selbstwirksamkeit neigen
überdurchschnittlich häufig zur Ablehnung von Fremden. Außerdem sind
gesellschaftliche Großorganisationen wie Parteien, Kirchen oder
Gewerkschaften, die als Wertegemeinschaften wirken, in Ostdeutschland
erheblich schwächer in der Fläche präsent. Letztlich sind viele
ostdeutsche Kleingemeinden vom demografischen Wandel besonders
betroffen. Die Ortsgemeinschaft altert zunehmend.
Sind Ältere weniger offen für Neues, Fremdes?
Es ist belegt, dass gerade ältere Menschen ein besonderes
Sicherheitsbedürfnis hegen und dies dann mutmaßlich in ein
Bedrohungssyndrom gegenüber Ausländern übertragen. Alle genannten
Erklärungsfaktoren greifen besonders im Osten Deutschlands.
Was muss geschehen, damit sich die Kommunalpolitiker nicht überfordert fühlen?
Kommunalpolitiker vor Ort bedürfen der flankierenden Unterstützung
durch task forces der Landkreise, ich rate auch zu sozialpädagogischer
und psychologischer Assistenz. Das sollte gewährleistet sein.
Interview: Andreas Dunte