"Fremde werden als Bedrohung empfunden"

Erstveröffentlicht: 
12.03.2015

Holtmann: In Tröglitz Potenzial an Vorurteilen

 

Leipzig. Die Ereignisse im sachsen-anhaltischen Tröglitz sind laut Einschätzung des Politikwissenschaftlers Everhard Holtmann aus Halle in diesem Ausmaß zwar ein Einzelfall, sie stehen allerdings spiegelbildlich für eine Schwäche der Zivilgesellschaft insbesondere in den kleinen Ortsgemeinschaften Ostdeutschlands.

Tröglitz hat einen handfesten Skandal - jetzt lädt der Landrat zur Bürgerversammlung. Ist das der richtige Weg?


Solche Gespräche bieten die Gelegenheit, auf Fragen der Einwohner einzugehen, Ängste zu nehmen, mangelnde Kenntnisse zu verbessern. Im konkreten Fall kommt die Bürgerversammlung allerdings zu einem späten Zeitpunkt.


Bürgermeister Markus Nierth hat das Handtuch geworfen, weil er sich von Rechtsextremisten bedroht und von der Politik allein gelassen fühlte. Ist das ein Einzelfall, ein ostdeutsches Problem?


Glücklicherweise handelt es sich nach meiner Kenntnis um einen Einzelfall. Allerdings verweisen die örtlichen Geschehnisse auf ein Potenzial an Unsicherheit und Vorurteilen - für mich spiegelbildlich eine Schwäche der Zivilgesellschaft, die in Ostdeutschland auch andernorts existiert und vor allem in kleinen Ortsgemeinschaften wurzelt.


Wo sehen Sie dafür die Gründe?


Etwa in einer geringen Ausländerquote - weil man mit Fremden kaum Umgang hat, werden diese umso mehr als Bedrohung empfunden. Menschen mit geringem Einkommen und gering eingeschätzter Selbstwirksamkeit neigen überdurchschnittlich häufig zur Ablehnung von Fremden. Außerdem sind gesellschaftliche Großorganisationen wie Parteien, Kirchen oder Gewerkschaften, die als Wertegemeinschaften wirken, in Ostdeutschland erheblich schwächer in der Fläche präsent. Letztlich sind viele ostdeutsche Kleingemeinden vom demografischen Wandel besonders betroffen. Die Ortsgemeinschaft altert zunehmend.


Sind Ältere weniger offen für Neues, Fremdes?


Es ist belegt, dass gerade ältere Menschen ein besonderes Sicherheitsbedürfnis hegen und dies dann mutmaßlich in ein Bedrohungssyndrom gegenüber Ausländern übertragen. Alle genannten Erklärungsfaktoren greifen besonders im Osten Deutschlands.


Was muss geschehen, damit sich die Kommunalpolitiker nicht überfordert fühlen?


Kommunalpolitiker vor Ort bedürfen der flankierenden Unterstützung durch task forces der Landkreise, ich rate auch zu sozialpädagogischer und psychologischer Assistenz. Das sollte gewährleistet sein.

 

Interview: Andreas Dunte