Das Geschäft mit den Flüchtlingen

Erstveröffentlicht: 
12.03.2015

Private Heimbetreiber profitieren vom Zustrom der Asylbewerber - doch wegen übler Zustände in vielen Unterkünften stehen sie immer wieder in der Kritik

Von Thorsten Fuchs

 

 

Berlin. Mehr Willkommen geht nicht. Was die Mitglieder der Initiative Neue Nachbarschaft in Berlin-Moabit für die Flüchtlinge aus dem Heim in ihrem Stadtteil organisieren, ist an Aufgeschlossenheit und Herzlichkeit schwer zu überbieten. Dreimal in der Woche laden sie die Asylbewerber zum Deutsch-Stammtisch und helfen bei den ersten Schritten in der fremden Sprache. Mit den Kindern basteln sie, backen Waffeln und üben Zirkusnummern. Bei der Integrationsküche kochen Flüchtlinge ein Mahl aus ihrer Heimat - und laden Menschen aus dem Stadtteil ein.


Das Problem ist nur: Alles das findet in einem Café statt - und nicht in der Unterkunft der Flüchtlinge. "Dort", sagt Udo Bockemühl von der Initiative Neue Nachbarschaft, "fühlen wir uns schon lange nicht mehr willkommen."


Zwischen den rund 100 ehrenamtlichen Helfern und dem Betreiber der Flüchtlingsunterkunft herrscht ein erbitterter Streit. Es geht um ein angebliches Hausverbot, schlechte hygienische Verhältnisse und mangelhafte Betreuung. Von einer "gefängnisartigen Abwicklung" des Heims und "unwürdigen Verhältnissen" spricht Udo Bockemühl. Eine Mitstreiterin aus der Initiative, Marina Naprushkina, hat sogar Anzeige gegen den Betreiber erstattet. Der Betreiber, das ist die Gierso Boardinghaus GmbH, ein privates Unternehmen, das sechs Flüchtlingsheime in Berlin führt. Genau dies halten viele für die Ursache des Übels: "Flüchtlingsarbeit darf kein Geschäftsmodell sein", sagt Naprushkina.


Genau dies wird sie aber immer häufiger. Rund 250000 Flüchtlinge, prophezeit das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, werden in diesem Jahr nach Deutschland kommen - 80000 mehr als im vergangenen Jahr. Dabei sind die meisten Länder und Kommunen schon jetzt mit dem Zustrom massiv überfordert. Kasernen, Schiffe, verlassene Baumärkte - auf alles, was ein Dach über dem Kopf verspricht, greifen Städte in ihrer Not als Unterbringung zurück. Wohncontainer sind auf dem freien Markt schon kaum mehr zu bekommen. Da wirkt das Angebot privater Betreiber an die klammen Städte wie eine Verheißung: Wir nehmen euch das ab - viel billiger, als ihr es selbst könntet. Aber geht das überhaupt: menschenwürdige Unterbringung zum Dumpingpreis?


Das Geschäft mit den Flüchtlingen jedenfalls boomt. Vor allem ostdeutsche Länder setzen auf private Betreiber. Allein Berlin vertraut inzwischen rund die Hälfte seiner 23000 Flüchtlinge kommerziellen Unternehmen an. Aber auch in Bayern, das sich lange gegen die Privaten sperrte, kommen gewinnorientierte Anbieter inzwischen zum Zug. Der Marktführer in Deutschland, die European Homecare mit Sitz in Essen, hat allein in den vergangenen zwei Jahren rund 20 neue Heime eröffnet. Ein Trend, der Ali Moradi vom Flüchtlingsrat Sachsen Sorgen bereitet: "Nach unseren Erfahrungen schauen die privaten Anbieter mehr auf den Geldbeutel als auf den Menschen."


Die Skepsis ist groß - denn die Missstände in Berlin sind nicht der einzige Fall, in denen private Betreiber in der Kritik stehen. Im Herbst wurde bekannt, dass Wachleute in einem Flüchtlingsheim in Burbach in Nordrhein-Westfalen Flüchtlinge massiv misshandelt haben. Betreiber der Unterkunft: das Unternehmen European Homecare. Aufsehen erregten zuletzt zum Beispiel auch die schockierenden Zustände im Asylbewerberheim in Oberursel bei Frankfurt am Main: verdreckt, stinkend, von Ungeziefer befallen. Als "gettoartig" beschrieben Besucher das 220-Bewohner-Containerheim im zweitreichsten Landkreis Deutschlands. Betreiber: die Firma S&L. Deren Chef, Wilfried Pohl, gehört auch die Firma ITB mit Sitz in Dresden. Pohl war früher Offizier bei der Stasi. Zu DDR-Zeiten jagte er Flüchtlinge. Heute verdient er an ihnen.


Pohl will sich am Telefon nicht äußern, wegen "schlechter Erfahrungen mit der Presse". Andere sind dafür auskunftsfreudiger. Tobias Dohmen etwa, der junge Chef der Gierso in Berlin. Seine Stimme am Telefon klingt empört - es ist die Empörung von jemandem, der sich zu Unrecht verfolgt sieht. Die Vorwürfe gegen sein Unternehmen hält er für schlicht nicht zutreffend: "Es bringt mir doch gar nichts, wenn ich die Heime nicht optimal herrichte", beteuert er. Soll heißen: Den Ärger bekäme vor allem er selbst - mit seinem Auftraggeber, dem Land Berlin. Aufsichtsbehörde ist das Landesamt für Gesundheit und Soziales. Dessen Chef, Franz Allert, ist ausgerechnet der Patenonkel von Tobias Dohmen. Reiner Zufall, beteuert dieser, die beiden hätten seit Jahren keinen Kontakt. Das Vertrauen der ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer in das Kontrollengagement der Behörden hat dies dennoch nicht gerade gestärkt.


Mit sieben Heimen und 1200 Plätzen ist Dohmens Gierso die Nummer drei auf dem Berliner Flüchtlingsheimmarkt. Für jeden Flüchtling, den sie unterbringt, erhält die Gierso nach Dohmens Angaben zwischen 14,50 Euro und 21 Euro pro Tag - wie in dem umstrittenen Heim in der Levetzowstraße. Bei 200 Flüchtlingen wären das allein dort rund 126000 Euro Umsatz pro Monat. Dohmen hält jedoch Kosten allein für die sechs Wachleute von 77000 Euro dagegen. Über den Gewinn seines Unternehmens will er nichts sagen.


Dohmen sieht sich selbst als Helfer, der kaum Mögliches möglich macht. Binnen einer Woche habe er 2012 aus der ehemaligen Schule ein Übergangswohnheim machen müssen. Dass dort nicht alles optimal sei, räumt er selbst ein. Dass Einzelpersonen in Drei- oder Vier-Bett-Zimmern untergebracht sind, sei aber "ein generelles Problem". Das Heim in der Levetzowstraße sei ursprünglich für drei Monate geplant gewesen - und existiert nun seit zweieinhalb Jahren. Dafür, betont Dohmen, könne er nichts. Und übrigens: Ein Hausverbot für ehrenamtliche Helfer habe es nie gegeben.


Die Betreiber reichen die Verantwortung für die Zustände in den Heimen an die Kommunen weiter - so tut es auch Klaus Kocks, Medienberater des Branchenriesen European Homecare. Die EHC betreibt inzwischen deutschlandweit knapp 70 Heime und beschäftigt 620 Mitarbeiter. Der Umsatz lag 2013 bei 16 Millionen Euro. "Wir haben den Anspruch, die qualitativ Besten für die jeweiligen Kosten zu sein", sagt Kocks. Gewinn mache sein Unternehmen vor allem dank eines extrem kleinen Verwaltungsapparats. Wenn eine Kommune einen Sozialpädagogen in der Unterkunft wolle und dafür zahle, bekomme sie den auch, betont Kocks. Das Problem seien jedoch die leeren Kassen - und zunehmend absurde Vorgaben. Insider berichten, dass Kommunen zum Teil nur noch 6 Euro pro Tag und Flüchtling zahlen - einschließlich der medizinischen Betreuung. "Als Staatsbürger sage ich: Das ist skandalös wenig", erklärt Kocks.


Private Betreiber gleich böse Betreiber? Diese Rechnung ist auch Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen zu einfach. Bei EHC etwa laufe seit den Vorfällen im Herbst vieles besser. Zwar sind auch ihr gemeinnützige Betreiber lieber. Hauptproblem seien jedoch die fehlenden Standards für die Betreiber. Preis, Ausstattung, Qualifikation der Mitarbeiter, über alles entscheiden die Auftraggeber selbst - auch nach Kassenlage. "Das System", klagt Naujoks, "ist völlig intransparent."


Das Heim in der Levetzowstraße in Berlin-Moabit soll übrigens nun geschlossen werden - so hat es das Land wegen des maroden Zustands verfügt. Die Bewohner sollen in ein Containerdorf nach Köpenick ziehen. Nach der Entscheidung hätten viele Bewohner erst mal eine Demonstration gegen die Schließung organisiert, erzählt Sozialarbeiterin Suada Dolovac. Viele lebten nun schon seit zweieinhalb Jahren in dem Heim, schätzen die zentrale Lage: "Die wollen nun lieber bleiben." Vielleicht liegt's auch an den deutschen Freunden, die sie hier gefunden haben.