Wie Postdemokratie funktioniert

Bullen in Bremen

In Bremen war am letzten Wochenende Anti-Terror-Kampf-Spekatkel. Anhand der Berichterstattung des Spiegels zeigt dieser Artikel, wie die postdemokratische  Verschiebung des gesellschaftlichen Klimas medial ihren Ausdruck findet.

 

Was ist "Postdemokratie"?
Der Begriff „Postdemokratie“ stammt vom britischen Politikwissenschaftler Colin Crouch. Kern des 2004 veröffentlichen Buches ist die Annahme, dass sich in den westlichen Demokratien die Legitimation von Herrschaft massiv von einer Input-Legitimation (demokratische Prozesse, Wahlen, Verhandlungen, Partizipation) zu einer Output-Legitimation (Ergebnisse, Management) verschiebt. Der Witz dabei ist, dass in diesem Prozess kein einziges demokratischen Grundrecht abgeschafft oder formell eingeschränkt wird. Trotzdem spielen sie in der gesellschaftlichen Praxis keine Rolle mehr.

Wie dieses „keine Rolle mehr spielen“ von Grundrechten in der Praxis aussieht, lässt sich zurzeit beispielhaft an der Berichterstattung des Spiegels zum aktuellen Anti-Terror-Spektakel in Bremen zeigen. Die Landespolizei hatte dort über das letzte Wochenende angeblich aufgrund eines ganz „konkreten Hinweises“ einer nicht näher genannten Bundesbehörde

http://www.presseportal.de/polizeipresse/pm/35235/2961173/pol-hb-nr-0126-moegliche-gefahrenlage-in-bremen

den Anti-Terrorkampf gegen die „islamistische Szene“ ausgerufen. Ob kurzzeitige Festnahmen von Leuten mit zu langen Bärten oder dem Veranstalten von ergebnislosen Hausdurchsuchungen; in der ganzen Stadt waren Beamte mit  Maschinenpistolen postiert.

Eine Macht der Bilder?
Die Berichterstattung zur aktuellen Bremer Inszenierung von staatlicher Handlungsfähigkeit im Wahlkampf unterlegte der Spiegel mit einer Bilderserie von der dpa.

http://www.spiegel.de/fotostrecke/bremen-fotostrecke-124294-9.html

Interessant daran ist das neunte Bild. Es zeigt die Frontansicht zweier Beamte, die vor einem historischen Gebäude der Bremer Altstadt stehen. Vor dem Oberkörper sieht man bei beiden eine Maschinenpistole. Beide haben den Finger am Abzug. Der Bildausschnitt schneidet die Gesichter der Beamten kurz über dem Mund ab. Das ist ungewöhnlich, denn Gesichter sind auf Bildern eigentlich das Wichtigste. Bilder dienen als „Eye-Catcher" für Artikel. Und aus irgendeinem psychologischen Grund schauen Menschen auf Bildern zuerst auf Gesichter. Den ungewöhnlichen Ausschnitt erklärt die Bildunterschrift mit folgenden Worten: „Mit Gewehr vorm Dom: (...) Aus Sicherheitsgründen werden die Gesichter der Polizisten nicht fotografiert."

Der Punkt dabei ist: Polizeibeamte unterliegen als staatlich bezahlte und legitimierte Gewalttäter_innen einer öffentlichen Kontrolle. Diese Kontrolle der Öffentlichkeit über öffentlich legitimierte und bezahlte Gewalttäter_innen wird in einer offenen Gesellschaft auch durch Medien und Bildberichterstattung wahrgenommen. Gerade weil Polizist_innen das staatliche Gewaltmonopol durchsetzen, muss für eine öffentliche Kontrolle dieses Handelns z.B. das Recht am eigenen Bild der Beamten vor der öffentlichen Kontrolle zurückstehen.

Rechtsprechung
Konkret läuft die Rechtsprechung (Link drunter: http://www.bverwg.de/entscheidungen/entscheidung.php?ent=280312U6C12.11.0) darauf hinaus, das es für das Fotografieren von staatlich bezahlten Gewalttäter_innen kaum Einschränkungen gibt. Erst bei der Verwendung ist abzuwägen, welcher Rechtsgehalt überwiegt. So besteht an einer Bildberichterstattung zu schwer bewaffneten Polizist_innen im Wahlkampf definitiv ein öffentliches Interesse. Bei durch einen Einsatz besonders exponierten Beamt_innen werden diese eventuell sogar zu relativen Personen der Zeitgeschichte. Was Gerichte jedoch durchweg als rechtswidrig verneinen, ist das Veröffentlichen von Portraits der Beamten gegen ihren Willen. Hier sei der Grundsatz auf des Recht am eigenen Bild höher einzuschätzen.

Das konkrete Beamt_innen das anders sehen, steht auf einen anderen Blatt. Und das Leute, die eine Uniform anhaben, mit Knarre und Schlagstock bewaffnet sind, und diese auch noch verwenden dürfen, bei Meinungsverschiedenheiten bzgl. des Anfertigens von Bildern auch zur Selbsthilfe greifen, steht auf einem anderen Blatt. So dürfte u.a. das Bild Nummer drei

http://www.spiegel.de/fotostrecke/bremen-fotostrecke-124294-3.html

aus der selben dpa-Serie zu verstehen sein.

Der Bezug zur Postdemokratie
Wir sehen: Es ist absolut legal, Beamte, die mit Finger am Abzug der MPi in der Altstadt rumstehen, zu fotografieren. Trotzdem ist das selbsternannte „Sturmgeschütz der Demokratie“, der Spiegel, der von Gepose der staatlich bezahlten Gewalttäter derart eingeschüchtert, dass sie redaktionell darauf hinweisen, dass aus nicht näher genannten „Sicherheitsgründen“ das Fotografieren der Gesichter nicht ok sei. Hier zeigt sich deutlich der Aushöhlungseffekt. Das Grundrecht auf Pressefreiheit ist in keinster Weise formal eingeschränkt worden. Trotzdem erzeugen Poser-MPi-Cops und Presse zusammen den diskursiven Eindruck, als sei es so. In der Folge davon hat Bildberichterstattung, wie das Beispiel anschaulich zeigt, ganz real weniger Spielraum, ohne dass es einer rechtlichen oder gerichtlichen Einschränkung bedurfte.

Mehr Infos:
Interview Colin Crouch im Spiegel zur Postdemokratie, in dem er Phänomen der Verschiebung erklärt:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-58656917.html

Das kritisierte Bild:
http://www.spiegel.de/fotostrecke/bremen-fotostrecke-124294-9.html

Pressemitteilung Polizei Bremen, 28.2.2015
http://www.presseportal.de/polizeipresse/pm/35235/2961173/pol-hb-nr-0126-moegliche-gefahrenlage-in-bremen

Urteil des Bundesverwaltungsgericht 28.3.2012 (Fotografieren von SEK-Beamten im Einsatz):
http://www.bverwg.de/entscheidungen/entscheidung.php?ent=280312U6C12.11.0

Nachdem das Terror-Spektakel vorbei ist, und das Ergebnis der polizeilichen Razzien auch eher mager ausfällt, berichtet der Spiegel zum Glück heute wieder etwas kritischer u.a. zur Pressekonferenz des Bremer Innensenators:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bremen-entwarnung-nach-angst-vor-islamistischem-anschlag-a-1021196.html

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Das Problem ist, die meisten Deutschen finden das gut was da gerade passiert. Sie glauben, dass dient ihrer Sicherheit und sie werden auf jedenfall auch zukünftig solche Parteien wählen, die solche Polizeiaktionen ermöglichen.

Hi! Nun du magst recht haben, bzgl. der Tatsache, dass Bullen meistens ohne Einwände abfotografiert werden dürfen. Bezogen auf die Veröffentl. des Spiegels mag es einerseits so sein, dass Spiegel nur vermummte zeigen durfte, andereseits was weckt mehr Emotionen? Ein martialischer Riot-Cop mit Wumme im Anschlag oder nen nett lächelnder Cop? Übrigens werden Drogenfahnder, VE's oder Spezialkommandos nie unmaskiert gezeigt! Warum sind Bullen auf Demos vermummt, aber den Demonstrierenden ist es verboten. Die Auslegung des Rechts wurde schon immer gedreht und gewendet wie es gerade passte, da war an Crouch noch nicht zu denken. Hier ist wohl eher (mal wieder) Weber Stifter der Argumentation. Sei's drum, grundsätzlich verstehe ich das Problem der "Nation under Fear", also der Aushebelung von Grundrechten zu Gunsten irgendeiner wie auch immer gearteten Sicherheit. Siehe USA... Der Ansatz der Postdemokratie ist hier im Speziellen vielleicht ein wenig zu verkürzt und schwierig anzuwenden. Dennoch finde ich es immer spannend, wenn sich jemand mal mit Sozialwiss. Theorie abplagt und diese versucht auf die Praxis anzuwenden. Danke dafür. Grüße...