Türkischer Terrorist als V-Mann - BND: Besonders Netter Dienst

Erstveröffentlicht: 
03.03.2015

Das Restaurant heißt Apokalypse und für Alaattin A. war es eine Offenbarung, was er dort erfuhr. Cihan A. vom Bundesnachrichtendienst (BND) erzählte ihm, dass das Bundeskriminalamt (BKA) das Telefon des V-Mannes abhöre. Es gehe um Schwarzgeld und Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation. Alaattin A. müsse abtauchen. In die Niederlande oder nach Belgien vielleicht.

Alaattin A., Jahrgang 1974, der zuletzt für 3200 Euro im Monat Quelle des BND und, fast nebenher, auch vorübergehend der für Deutschland Verantwortliche der türkischen marxistisch-leninistischen Terrororganisation DHKP-C war, bekam es mit der Angst zu tun.

 

Zwei Monate später, im April 2009, fand dann die letzte Begegnung mit den Leuten vom Dienst im Münchner Hotel Meridien statt. Es war, um genau zu sein, das 134. Treffen und die Pullacher hatten wieder alles perfekt konspirativ vorbereitet. Die Agenten mit den Decknamen Stefan Posche und Robert Lasker, die A. schon lange kannte und auch Cihan. Der halbe BND. Lasker meinte, die Lauscher von der Polizei seien etwa seit sechs Monaten in der Leitung. Funkstille sei ratsam. Alaattin A. erzählte später, er habe danach "im Garten eine Stunde geweint".

 

Was hatte er auch für ein kompliziertes Doppelleben geführt: Er war eine der besten Quellen des Dienstes und gleichzeitig galt er als einer der führenden Köpfe einer Terrorvereinigung, die weit gefährlicher ist, als es die RAF je war. Dass der Dienst seine Vertrauensperson (wie V-Leute merkwürdigerweise genannt werden) vor dem BKA warnte - das grenzt schon fast an Strafvereitelung. Es war ein starkes Stück.

 

A. soll einen Taxifahrer getötet haben

 

Man muss sich gar nicht im juristischen Kleinklein verlieren, um zu erkennen, dass der Fall des Alaattin A. ein außerordentlicher ist. Er beschäftigt die deutschen Sicherheitsbehörden bis heute und hat alte Fragen neu aufgeworfen.

 

Die enge Verbindung zwischen dem deutschen Auslandsgeheimdienst und Alaattin A. begann 2002. A. hatte in der Türkei vier Jahre in Untersuchungshaft gesessen, weil er angeblich im Auftrag der DHKP-C einen Taxifahrer getötet haben soll. Er wurde entlassen, das Urteil stand noch aus. Er setzte sich nach Deutschland ab und beantragte Asyl, erfolglos.

 

Ihm drohte die Abschiebung in die Türkei, wo er inzwischen zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. A. war verzweifelt. Kurz vor Weihnachten 2002 saß er in einem Café in Zeitz in Sachsen-Anhalt, als sich zwei Leute zu ihm setzten. Einer der beiden stellte sich als Stefan Posche vor, ein Mann Mitte vierzig, schätzte A. Die beiden Männer kannten die Geschichte von A. und machten ihm ein Angebot. Wenn er mit dem BND zusammenarbeite, werde er nicht abgeschoben, seine Familie könne nach Deutschland kommen und Geld gebe es auch. A. war einverstanden.

 

In der Zeit, in der A. eine der wichtigsten BND-Quellen war, beging die DHKP-C in der Türkei knapp 70 Anschläge auf Banken, Partei-und Regierungsgebäude und Polizeidienststellen. Immer wieder fielen Zivilisten den Mördern zum Opfer. Im Juni 2004 explodierte ein von einer Kämpferin mitgeführter Sprengsatz in einem Bus in Istanbul. Die Frau und drei Passagiere wurden getötet, zwanzig Passagiere verletzt. Die blutige Liste ließe sich fortsetzen.

 

Es gibt eine "Rückfront" der DHKP-C in Europa und die hat, wie deutsche Ermittler in ihre Akten schrieben, den Auftrag, "den in der Türkei geführten bewaffneten Kampf der Organisation personell und materiell zu fördern". Ein ganz dicker Knoten im Netz der "Rückfront" ist Deutschland. Sieben Jahre lang war der Mann, dem in seiner Heimat lebenslange Haft drohte, für den BND im Einsatz. Der BND half A. beim Kauf einer Wohnung in Köln und zahlte ihm sogar einen Bonus fürs Spitzeln: etwa 10 000 Euro. A. war immer im Einsatz. A. wurde aufgefordert, bei der Aufklärung eines Mordfalls zu helfen. Und auch im Bundesliga-Wettskandal sollte er bei der Ermittlung behilflich sein. Er war der Mann für alle Gelegenheiten.

 

Bis zu 30 000 Euro für den Kampf der DHKP-C

 

Daneben aber auch war er der Eintreiber von Geld für den Kampf der DHKP-C und transportierte Summen bis 30 000 Euro über die Landesgrenzen. Allein in der Region Westfalen kamen, auch dank seiner Unterstützung, in ein paar Monaten 397 000 Euro zusammen.

 

In einem abgehörten Gespräch schwärmten zwei DHKP-C-Aktivisten über die Fertigkeiten von Alaattin A.: "Also, nein, Alaattin . . . Er hat Beziehungen langfristig gestaltet. Bei dem Mann floss es regelrecht." "Der hat die Organisation aufgebaut. Ohne die Kenntnis von Alaattin bringt keiner Geld."

 

2009 wurde er vorübergehend Deutschland-Chef des DHKP-C. Das ist ein Posten, der sogar bei den Terror-Häuptlingen in der Türkei hoch angesehen ist. Er schleuste Funktionäre der Terrororganisation quer durch Europa. Diese fuhren zu konspirativen Treffs oder nahmen irgendwo ihre Posten in der Organisation ein.

 

Er kannte also die richtigen Wege; und der BND belieferte das BKA, das Bundesamt für Verfassungsschutz - und vermutlich auch den türkischen Geheimdienst - mit den vielen Meldungen von A. Er war die einzige interne Quelle, die der BND in der DHKP-C in Deutschland hatte, aber man konnte glauben, da gebe es ein ganzes Netz von Informanten. Üblicherweise verlässt man sich nicht nur auf eine Quelle.

 

Alaattin A. war eine B-Quelle. Diese Einstufung nimmt der Dienst bei Quellen vor, die über einen längeren Zeitraum zuverlässige, wichtige und - zumindest teilweise - nachprüfbare Informationen liefern. Es gab einen langjährigen, umfangreichen Informationsaustausch zwischen BND und BKA, der maßgeblich auf den Meldungen von A. beruhte.

 

Die Honorare für A. seien "viel zu hoch" gewesen

 

25. Februar 2009, 23.56 Uhr:

 

A. telefoniert mit Cihan A. vom BND. Das BKA ist in der Leitung. A. berichtet, dass er schon wieder auf einer Landstraße von Polizeibeamten in der Nähe von Mönchengladbach angehalten worden sei.

 

BND-Mitarbeiter: "War das eine Kontrolle, oder wie war das?"

 

A.: "Nein, nein, die waren in Zivil. Ich musste an die Seite ranfahren. (. . .) Die haben die Sitze mit Detektoren abgesucht (. . .) Ich kapiere das nicht."

 

BND-Mitarbeiter: "Wenn es ein Problem gibt, dann müssen die Freunde das Problem auf erforderlichem Weg lösen. So kann das ja nicht sein. Was soll denn das?"

 

A.: "In zwei Monaten ist das vier Mal passiert."

 

BND-Mitarbeiter: "Dann ist dein Auto nicht sauber. (. . .) Das heißt, irgendwoher wissen sie das. Das ist ein Problem."

 

Hochrangige Beamte anderer deutscher Sicherheitsbehörden finden das Vorgehen des BND riskant oder schädlich. "Es ist nicht nachvollziehbar", sagt der Chef einer dieser Behörden, "dass man seine Quelle vor der Polizei schützen will. Da muss man raus aus der Beziehung." Auch seien die Honorare für A. "viel zu hoch" gewesen.

 

Alaattin A. wurde 2010 verhaftet und gab dann, nach einigem Zögern, zu Protokoll, dass er für den BND gearbeitet habe. Er wurde von einem Senat des Oberlandesgerichts Düsseldorf zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt, was vergleichsweise milde ist. Die Richter merkten kritisch an, dass sich der BND und auch das Bundeskanzleramt sehr mit Auskünften über den V-Mann zurückgehalten hätten.

 

Der Generalbundesanwalt leitete später gegen einen der BND-Verantwortlichen wegen des Umgangs mit der Quelle ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung ein. Das Verfahren wurde nach Paragraf 153 der Strafprozessordnung ("Absehen von Strafverfolgung bei politischen Straftaten") eingestellt. Eine juristisch-politische Lösung.

 

Eine Hand wäscht die andere


Obwohl Alaattin A., wie der BND intern feststellte, mit einer Revision beim Bundesgerichtshof "gute Aussichten auf Erfolg hatte", verzichtete er auf den Gang nach Karlsruhe: Eine Hand wäscht die andere. Der BND riet der Ex-Quelle, das Urteil zu akzeptieren und half ihr andernorts. Der Fall dürfe "nicht auf der öffentlichkeitswirksamen Revisionsinstanz . . . Kreise" ziehen, notierte ein Jurist des BND.

 

Der Fall hat dennoch Kreise gezogen. Der Verfassungsschutz lässt heute Hilfskonvois für Syrien nicht mehr von V-Leuten begleiten, die möglicherweise Auskunft geben könnten, welche Deutschen sich in Lagern des Islamischen Staates befinden. Weil die Begleitung als Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ausgelegt werden könnte, gilt dies als zu risikoreich. Ein Gesetz über V-Leute, das als Entwurf vorliegt, soll jetzt das Problem heilen.

 

Alaattin A. rief, als er mal wieder Probleme hatte, die BND-Nummer in Berlin an, die er kannte, aber der Anschluss war tot. Dann fragte er in der Zentrale des Dienstes nach Robert Lasker. Antwort: Ein Robert Lasker arbeite nicht für den BND.