Pegida: “Der Rassismus hier macht uns platt”

Gegen Pegida, Quelle flickr Johannes Grunert

Vor ein paar Tagen schrieb mir eine schwarze Freundin aus Leipzig: “Wenn man sich Sachsen gerade so anschaut, würde ich sagen, du bist rechtzeitig geflüchtet.

Zu ihrer Einschätzung passt ein Hilferuf aus Dresden, den Linh neulich besonders mit Blick auf Pegida über einen Verteiler geschickt hat und den ich hier mit ihrer Erlaubnis gekürzt veröffentliche.

 

Von Linh


Der Rassismus in Dresden wird lauter und schlimmer. Und kaum jemand tut etwas dagegen. Die betroffenen POC haben Angst, ziehen sich zurück, die meisten sind gar nicht sensibisiert und wissen nicht mal, was Rassismus ist, sie spüren ihn einfach nur. Wir POC in Sachsen sind hier so eine Minderheit und nur von weißen, sehr rassistischen Menschen und Institutionen umgeben. Es gibt sie, die rassismuskritischen Weißen, aber es sind sehr wenige. Und die sind am Limit ihrer Kräfte.

 

Mein persönliches Fazit zur Gegendemo in Dresden:

Es hat mich gestern erschüttert, den ganzen Pegida-Zug an mir vorbeimarschieren zu sehen. Es hat mir Angst gemacht, was für eine Stimmung und Dynamik diese Bewegung hat. Diese Bewegung, mit der ich mich gerade permanent auseinandersetze, ist für mich ein Schlag ins Gesicht und ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren soll.

 

Ich bin froh und dankbar, dass einige meiner Freunde zum Protest gekommen sind. Es hat mich traurig gemacht, dass viele meiner Freunde nicht zum Protest gegangen sind und der Protest in Dresden insgesamt so gering ausfällt. Ja, auch ich bin mir nicht sicher, ob es etwas gebracht hat, dass ich mitgelaufen bin, denn am Ende bin ich mit einem niedergeschlagenen Gefühl nach Hause gegangen. Ich fühle mich in Dresden nicht mehr zuhause.

 

Und trotzdem: Danke an die 100.000 Gegendemonstanten in Deutschland, die mir zeigen, dass Pegida nicht das Volk ist, und mir Hoffnung geben, dass Deutschland sich vielleicht doch in eine andere Richtung bewegen kann. Besonderer Dank an Leipzig mit seinen 30.000 Gegendemonstranten!

 

Scheiße! Ihr seid meine Freunde!


Wenn man in Dresden bzw. Sachsen versucht, Menschen für Rassismus zu sensibilisieren, stößt man nur auf Wände. Ich habe fast nur weiße Freunde, jeder Dialog über Pegida ist ein Kampf für mich, ich komme immer wieder an meine persönlichen Grenzen. Die Leute versuchen immer wieder, den Rassismus, den Pegida verbreitet, zu relativieren: “Ja, ich finde Pegida auch nicht gut, aber man muss auch mal die Leute verstehen, das hat doch einen Grund, warum die auf die Straße gehen!” Und ich denke mir: “Scheiße! Ihr seid meine Freunde! Seht ihr nicht, wie ich hier die ganze Zeit gegen Rassismus kämpfe?” Nein, sehen sie nicht … Sie denken, ich habe ein persönliches Problem. Sie wollen sich nicht mit Rassismus auseinandersetzen, das ist nämlich unangenehm für sie.

 

Ich merke, wie sich die Menschen aus meinem sozialen Umfeld größtenteils nicht eindeutig gegen Pegida positionieren und ich verzweifele: Scheiße, das hier ist mein Zuhause, das verdammt rassistisch ist. Und jetzt wird es noch viel rassistischer und niemand unternimmt etwas dagegen. Na ja, “niemand” stimmt nicht ganz. Es sind wenige, die sich permanent informieren, die jeden Montag bei Gegendemos verzweifelt in kleinen Gruppen versuchen, den Pegida-Zug zu blockieren. Wir rassismuskritischen Menschen sind in der Minderheit. Wir werden zermürbt. Ganz langsam. Jeden Montag werden sie mehr, sie werden lauter, sie werden gefährlicher. Und wir sind so ohnmächtig, weil wir so wenige sind. Wir haben das Gefühl, es bringt nichts.

 

Einige POC laufen sogar bei Pegida mit


Und für die POC ist es noch viel schlimmer. Wir fühlen uns dem starken Rassismus hier ausgeliefert. Diejenigen, die die Möglichkeiten und Ressourcen haben, die wollen hier wegziehen. Und ja, auch ich kann mir nicht mehr vorstellen, längerfristig hier zu wohnen. Doch es gibt auch einige, die nicht diese Möglichkeit haben. Die wenigen POC, die ich kenne, haben sich noch nicht theoretisch mit Rassismus auseinandergesetzt. Sie verdrängen ihn lieber. Sie gehen davon aus, dass sie anders sind. Viele POC sind hier auch white-washed. Ja, es gibt sogar einige, die bei Pegida mitlaufen.

 

Ich kämpfe jeden Tag gegen Rassismus, der so laut und stark ist, dass man ihn nicht übersehen kann, aber es ist echt schwer, wenn man permanent gegen Wände läuft. Die Stimmung in der Stadt ist anders, es gibt mehr rassistische Vorfälle in den öffentlichen Räumen.

 

Lasst uns laut und aktiv werden


Pegida zeigt uns den Rassismus in der lautesten, krassesten Form und sie sind auch noch stolz darauf. Aber Rassismus ist überall. Hier ist er nur besonders stark und Pegida spricht aus, was viele Menschen in Deutschland denken. Mit Pegida haben wir eine Chance, Rassismus in Deutschland zu thematisieren und die Politik aufzufordern, sich damit auseinanderzusetzen, statt in den Dialog mit Pegida zu treten. Für die Politik geht es nur darum, Pegida zu verstehen. Mit dem Rassismus, den die Bewegung instrumentalisiert und verbreitet, setzt sich niemand auseinander!

 

Liebe Leute, lasst uns laut und aktiv werden und den Leuten sagen, dass Rassismus ein Riesenproblem ist und es schlimmer wird. Die einzige Möglichkeit, wie wir damit umgehen können, ist, alle Menschen dazu zu bringen, sich differenziert damit auseinandersetzen. Rassismuskritische Bildungsarbeit! Das müssen wir von der Politik fordern!

 

Allein schaffen wir es nicht


Seit Dezember kann ich kaum schlafen und essen, aber ich hör‘ nicht auf zu kämpfen, auch wenn es mich immer wieder an meine Grenzen bringt. Diesen Text und diese Worte musste ich an euch richten. Ich hoffe, dass ihr vielleicht Ideen habt, was wir gegen Pegida und Rassismus in Deutschland machen können. Helft mir, hier Strukturen aufzubauen, die den Menschen rassismuskritische Bildung ermöglichen. Ich habe halt leider keine Kontakte und Ressourcen hier, die gibt es einfach nicht.

 

Der Ausländerrat ist auch nicht so rassismuskritisch bzw. ist eher damit beschäftigt, den POC direkt zu helfen, anstatt Öffentlichkeitsarbeit und politische Lobbyarbeit für sie zu machen. Der Flüchtlingsrat und das NAMF sind zurzeit überarbeitet. Auch sie können nicht über Rassismus reden. Der Sprecher des islamischen Zentrums in Dresden gibt Interviews und versucht, in den Dialog mit den Dresdnern zu treten, um zu beweisen, dass es keinen Grund gibt, Angst vor einer Islamisierung zu haben. Auch er hat keine Chance, Rassismus zu thematisieren.

 

Was ich sagen will: Alleine schaffen wir es nicht! Der Rassismus hier macht uns platt. Wir brauchen Hilfe aus ganz Deutschland, von allen POC und allen rassismuskritischen Menschen! Lasst den Pegida-Diskurs nicht von der weißen Mehrheitsgesellschaft dominieren! Denn schließlich geht es hier um uns.

Wir lassen uns nicht unterkriegen!

 

Solidarische Grüße,

Linh

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Aber ich finde den Beitrag nicht gerade super.

Zum Beispiel behauptet er, dass Menschen, die versuchen Pegida tiefer zu analysieren und es nicht beim pauschalen "das sind einfach alles Rassisten" belassen wollen (was nur weil noch weit mehr gesagt werden kann natürlich nicht zwingen falsch sein muß, aber für eine ernsthafte Auseinandersetzung auf jeden Fall sehr wenig ist) sich einfach grundsätzlich nicht mit Rassismus auseinander setzen wollen. Das halte ich für großen Blödsinn. Ich denke, dass sich ein Fokus der nur Rassimus im Blick hat keine passende Analyse finden kann und sich damit auch nicht gerade ideal zum Ableiten von Gegenstrategien eignet.

"Ich denke, dass sich ein Fokus der nur Rassimus im Blick hat keine passende Analyse finden kann und sich damit auch nicht gerade ideal zum Ableiten von Gegenstrategien eignet."

 

Für die Menschen in Dresden, Sachsen und anderswo gibt es aber jetzt gerade im Moment "nur" Rassismus, der sie bedroht. Marx Lesekreise in der Uni helfen diesem Menschen gerade bestimmt nicht. Die haben in dem Moment, wo sie von einem Dresdener Bürger wegen ihrer Hautfarbe angespuckt werden, gar nichts davon, wenn jemand anderes ganz weit weg den Begriff "Kapitalfetisch" analysiert hat.

 

Ich wünsche der Autorin sehr viel Kraft für die nächsten Wochen und möchte mitgeben: Bitte nicht die Beiträge, die in den Indy-Kommentaren auftauchen, als "Durchschnitt" der linksradikalen Szene begreifen. Hier kommentieren für gewöhnlich Menschen, die was zu meckern haben und selten diejenigen, die zustimmen oder vestehen wollen.

Lesekreise helfen natürlich eh erst mal niemandem außer wenn man das gelernte anwendet und mit anderen Menschen darüber diskutiert. Und für so ein Gespräch (gerade mit Bürgern) ist ein breiterer Fokus als Rassismus schon recht praktisch.

Zum Beispiel behauptet er, dass Menschen, die versuchen Pegida tiefer zu analysieren und es nicht beim pauschalen "das sind einfach alles Rassisten" belassen wollen sich einfach grundsätzlich nicht mit Rassismus auseinander setzen wollen.

So, und jetzt liest du den Text noch mal und zeigst mir die Stelle, wo das behauptet wird.

 

Es geht darum, dass Menschen mit dieser "Man muss die Leute ja auch mal verstehen"-Argumentation, die Diskussion abwürgen. Es wird überhaupt erst gar nicht analysiert, sondern POCs sollen mal schön die Fresse halten. Das ist das, worüber Linh schreibt. Ich weiß das, weil ich das als Schwarzer Deutscher selbst andauernd erlebt habe und erlebe.

 

Und wie weiter unten bereits geschrieben wurde: Für POCs/Schwarze gerade in Ostdeutschland ist Rassismus das drängendste Problem. Man wird da angespuckt, geschlagen, mit Müll beworfen, in Läden nicht bedient, wie ein Leprakranker behandelt usw. usf.

 

Eben wegen dieses extremen und sehr offen gelebten Rassismus habe ich Ende des Jahres meine Koffer gepackt und Sachsen verlassen. Linh hat da einen sehr drängenden und intensiven Aufruf geschrieben, den ich für sehr wichtig erachte. Deshalb habe ich ihn bei mir veröffentlicht, damit ihn viel mehr Menschen lesen können.

 

Verständnis wäre auch nicht so verkehrt.

Ich verstehe Linh auch so, dass sie nicht über die Hintergründe nachdenken will. Falls das nicht so gemeint ist, sondern sich einfach nur gegen Leute richtet, die da überhaupt nicht drüber reden wollen, ist Kritik natürlich absolut richtig. So verstehe ich sie aber nicht.

 

Dei Frage ist auch nicht ob Rassismus gerade nicht das drängenste Problem ist, sondern ob man ihm bei kommt, wenn man ihn isoliert betrachtet. Genau darum ging es wohl auch im ersten Post.

angst sollte man immer ernst nehmen, aber ihr auch nicht nachgeben. aus meinem freundeskreis moslems (tuerken, iraner, alle unpolitisch, saekular), farbige (meist amis) machen sich ueber pegida eher lustig. die nehmen die gar nicht fuer voll. auch auf den anti-pegida demos sind fast nur weisse deutsche.

also fuer mich sieht das so aus, das hier kuenstlich was hochgebauscht wird, womit man fett kohle und fame machen kann - medien, politiker, irgendwelche unbekannten trottel, die jetzt vor tausenden anderen trottel sprechen.

davor braucht niemand angst zu haben.

Vielleicht brauchst du vor diesen Leuten keine Angst zu haben, als POC oder auch als alternativer, rassismuskritischer Mensch der in Sachsen lebt musst du aber sehr wohl vor diesen Leuten Angst haben, denn deren Rassismus gibt es nicht erst seit Pegida sondern schon seit Jahren genau so wie es auch schon seit Jahren rassistische Übergriffe auf POC Menschen(oder Übergriffe auf "Linke") in Sachsen gibt.

Für die Menschen die in Sachsen/Dresden leben ist rassistische Gewalt eine tägliche Erfahrung und Realität, die kannst du nicht einfach verneinen bloß weil dein Freundes-/Bekanntenkreis sich über Pegida lustig macht.

 

Geh mal als POC Person Samstag Nacht durch die Dresdener Innenstadt(Neustadt, Altstadt) oder gar in die "Außenbezirke" wie Hellerau oder so, dann kannst du den alltäglichen und gefährlichen Rassismus in Sachsen sehen und erkennst vielleicht warum Leute Angst vor dieser "Bewegung" haben.

In meinem Freundeskreis und auch mir selber ist das schon unzählig oft passiert(und ich bin kein POC Mensch), das reicht von Beleidigungen bis hin zu körperlichen Angriffen die auch teilweise schon im Koma geendet sind.

 

Also denk das nächste mal vielleicht etwas mehr nach, bevor du solche Aussagen triffst wie du es getan hast.

Schon mal auf die Idee gekommen, dass man sehr gut über Nazis in Nadelstreifen lachen kann, wenn man weit weg von den Horden wohnt? Schon mal überlegt, dass Lachen eine Stresreaktion und/oder Bewältigungsstrategie sein kann? Erzähl doch mal den Migranten, die an in DD gejagt wurden, dass sie davor keine Angst haben müssen. Erzähl das vielleicht auch noch der Migrantin, deren Anzeige die Polizei nicht aufnehmen wollte.

 

Pegida, Legida und wie das Pack sich sonst so nennt, ist eine ganz reale Gefahr. Als Neulich Legida in Leipzig aufschlug, ist mir das Herz in die Hose gerutscht. Denn auch wenn ich da nicht mehr wohne, habe ich da immer noch Schwarze Freunde und Bekannte, um die ich mir Sorgen mache und machen muss.