Mehr als 80.000 für die Rechte der baskischen Gefangenen

Einer der beiden Demozüge stellt sich mit Angehörigen an der Spitze am Rathaus auf

Die Verlegung der baskischen Gefangenen wird als ersten Schritt für eine Amnestie in einem umfassenden Friedensprozess gefordert und als Reaktion wurden 16 Anwälte verhaftet, womit ein Prozess vor dem Sondergericht in Madrid geplatzt ist. Denn darunter waren auch die Verteidiger der Führungspersönlichkeiten der baskischen Linken, gegen die wegen angeblicher ETA-Mitgliedschaft jeweils 10 Jahre Haft gefordert wird. Zudem wurde der Sitz der Gewerkschaft LAB gestürmt und 90.000 Euro beschlagnahmt, die von den Demoteilnehmern für die Gefangenen und ihre Verteidigung gesammelt worden sind.

 

Nur das Wetter war an diesem Januartag ähnlich wie im vergangenen Jahr, als erneut in der baskischen Metropole Bilbao gut 80.000 Menschen für die Rechte der baskischen Gefangenen demonstriert haben. Bei Sonne und milden Temperaturen strömten erneut Massen zusammen. Diesmal war die jährliche Großdemonstration für die noch etwa 500 Frauen und Männern aber nicht verboten, die wegen des Konflikts in spanischen und französischen Gefängnissen sitzen, allerdings sitzt mit dem Freiburger Tomas Elgorriaga nun auch einer in Deutschland (Mannheim).

 

Mit einem Verbot hatte Spanien vor einem Jahr erstaunt.Das erstmalige Verbot einer Demonstration, die seit Jahrzehnten friedlich verläuft, führte 2014 zum Dilemma für die regierende Baskisch-Nationalistische Partei (PNV). Die musste sie entweder von der  baskischen Polizei auflösen lassen oder sich ihr anschließen. Letztlich einigte sich die PNV mit der linken Unabhängigkeitsbewegung darauf, die ursprüngliche Demonstration abzusagen und eine neue für die Meinungsfreiheit anzumelden. Mehr als 130.000 Menschen war dies die wohl größte Demonstration, die das Baskenland in seiner neueren Geschichte erlebt hatte. 

 

Doch ohne ein erneutes Verbot beteiligten sich die Christdemokraten wegen Widersprüchen zur baskischen Linken nicht erneut, weshalb die Beteiligung in diesem Jahr wieder etwas geringer war. Und anders war auch, dass sich nun erstmals zwei Märsche aufeinander zubewegten. Vom üblichen Aufstellungsort und vom Rathaus (bisher stets der Ort der Abschlusskundgebung) strömten zwei Märsche in Richtung des Zabalburu-Platzes, weil in den letzten Jahren die übliche Demonstrationsroute praktisch komplett mit Menschen verstopft war, womit ein Marsch unmöglich wurde. Doch auch so bewegten sich viele Menschen kaum vorwärts.

 

„Sare“ (Netzwerk) hatte extra zu einem Schweigemarsch aufgerufen und mit „Now“ (Jetzt) den Slogan für eine sofortige Änderung der Gefängnispolitik ausgeben, um eine möglichst breite Beteiligung zu erreichen. Das Netzwerk spricht von einem Erfolg.  Ihr Sprecher Joseba Azkarraga hofft darauf, „dass dies die letzte Mobilisierung gegen die Zerstreuung ist“. Der frühere baskische Justizminister wies darauf hin, dass die Gefangenen gegen das Strafrecht fast alle fern des Baskenlands inhaftiert sind, obwohl eine heimatnahe Strafverbüßung auch zur Wiedereingliederung vorgesehen ist. Nur fünf der Basken, die aus politischen Gründen inhaftiert sind, sitzen im Baskenland ihre Strafe ab. 

 

Und Gesten in der Gefangenenfrage werden als zentral im bisher einseitigen Friedensprozess angesehen, nachdem die Untergrundorganisation ETA vor drei Jahren nach 50 Jahren das „definitive Ende“ ihres bewaffneten Kampfs verkündete. Doch die konservative Regierung bewegt sich nicht. Spanien versucht sogar weiter, die Haftzeiten der Gefangenen zu verlängern. Gerade rief die Regierung das Verfassungsgericht an, nachdem Richter am Nationalen Gerichtshof zwei ETA-Gefangene nach 27 und 21 Jahren freiließen, weil Spanien eine EU-Richtlinie in nationales Recht übernommen hatte. Die sieht vor, dass in Frankreich abgesessene Strafen abgezogen werden müssen. Nun müssen weitere 54 Gefangene freikommen, was die konservative Regierung verhindern will. Vor einem Jahr hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die „Parot-Doktrin“  kassiert, mit der die Haftstrafen in Spanien sogar willkürlich verlängert worden waren. Daraufhin mussten schon einmal mehr als 50 Gefangene freigelassen werden.

 

Die Verlegungen fordern die Angehörigen auch aus humanitären Gründen, weil sie wie  Mayi Ugartemendia am Wochenende fast 2000 Kilometer ins andalusische Jaén zurücklegen müssen, um ihren Sohn sehen zu können. „Fast zehn Stunden einfache Fahrt für 40 Minuten Besuch hinter einer Trennscheibe“ erklärt sie, welche Strapazen und Kosten die Angehörigen und Freunde über viele Jahre auf sich nehmen müssen. Sie führten deshalb die Demonstrationszüge an. Und bei den langen Fahrten am Wochenende kommt es immer wieder zu schweren und zum Teil tödlichen Unfällen, erklärt die Sprecherin der Angehörigenorganisation Etxerat, Jone Artola.

 

Aus riesigen Lautsprechern erschallt derweil die Einschätzung der Veranstalter durch Bilbao. „Diese Demonstration dient dazu, die Batterien neu zu laden, denn wir wissen, dass es ein langer Prozess werden wird.“ Gemeint ist damit nicht nur die Verlegung ins Baskenland und die Freilassung schwer erkrankter Gefangener, sondern letztlich die Freilassung der Gefangenen in einer umfassenden Friedenslösung, wie man sie aus Nordirland oder Südafrika kennt.

 

Der Südafrikaner Brian Currin, der im Baskenland vermittelt, ist erstaunt über die Haltung Spaniens. Die Gruppe, die auch die Entwaffnung der ETA überwacht, ist auch verwundert  darüber, dass Spanien sich daran nicht beteiligt. Ronnie Kasrils, der einst mit Nelson Mandela im südafrikanischen ANC gekämpft und Ram Manikkalingam, Professor an der Universität in Amsterdam und Präsident der renommierten Dialogue Advisory Group ( DAG), wurden sogar als Beschuldigte vor den Nationalen Gerichtshof in Madrid zitiert. Denn sie hatten die Zerstörung der Waffen und die Versiegelung der Arsenale in Frankreich verifiziert.

 

Zuletzt hat nun die baskische Regierung, die auch die Forderungen nach einer Verlegung der Gefangenen ins Baskenland unterstützt und im Rahmen der Autonomie die Kompetenz über die Gefängnisse fordert  auch angeboten, ihrerseits an der Entwaffnung mitzuwirken. Denn die soll schnell vorankommen und die baskische Regierung akzeptiert die internationalen Vermittler und Prüfer und bindet sie in ihren Vorschlag ein.  Allerdings wird dabei nach drei Jahren weitgehender Passivität auch Wahlkampfgetöse vor den Kommunal- und Regionalwahlen deutlich. Denn die PNV muss sich einer linken Unabhängigkeitsbewegung erwehren, die zuletzt auch wegen ihrer Friedenspolitik bei den Europaparlamentswahlen erstmals stärkste Kraft im Baskenland wurde. 

 

Zu den Verhaftungen zunächst hier und später kommt auch noch ein Text.

 

© Ralf Streck, Bilbao den 11.01.2015

 

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