Überraschungen gab es in den letzten Jahren in Magdeburg selten: Jeden Januar marschierten bis zu 2.000 Neonazis anlässlich der Bombardierung am Ende des Zweiten Weltkrieges durch die Stadt, die Polizei sah zu, dass sie den »Trauermarsch« mehr oder weniger reibungslos durch die Stadt schieben konnte und manövrierte damit nicht selten antifaschistischen Protest ins räumlich entfernte Abseits. Den Großteil der Magdeburger_innen interessierte das alles eher wenig; das einzige, was für Aufregung sorgte, war die Ruhestörung an diesem Tag in der Stadt - egal durch wen.
Keine Überraschung auch bezüglich dessen, was die Neonazis so von sich gaben: Man wolle sich nicht an den »Zeitgeist« anpassen, sondern der Toten ehrenhaft gedenken. Ein imaginiertes Kollektiv aus den »anständigen Deutschen« von damals und heute, mit den Toten gedenkt man zugleich des »wahren« Deutschlands, was in den Augen der Neonazis nichts anderes als der Nationalsozialismus sein kann. Über Jahre hatten Aufmärsche wie dieser eine hohe identitätssiftende und emotionale Anziehungskraft.
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund eines offen auf der Straße artikulierten Rassismus scheinen sich die Prioritäten in der Neonaziszene verlagert zu haben. Denn: Bislang ist von den Magdeburger Neonationalsozialist_innen kein Mucks zu hören, kein Aufruf, kein Mobilisierungsvideo, keine Anmeldung, nichts. Das hat sicherlich mehrere Gründe und bedeutet vor allem nicht, dass der Fackelmarsch im Januar ins winterkalte Wasser fällt.
Die Hochzeit der »Trauermärsche« ist vorbei
Anmelder in den letzten Jahren war Andy Knape, bis vor kurzem Bundesvorsitzender der JN, der Jugendorganisation der NPD, und bis dahin verantwortlich für den parteiinternen Ordnungsdienst sowie Mitarbeiter der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag. Seit September ist sein Name kommentarlos von der Homepage des NPD-Bundesverbandes verschwunden. Stattdessen präsentiert sich der 28-Jährige auf seiner persönlichen Website als dynamischer junger Geschäftsmann, der mit Neonazismus rein gar nichts am Hut hat.
In frühen Jahren seines beruflichen Lebens sei er an seinen Aufgaben gewachsen, heißt es dort. Volle Punktzahl gibt sich der Andy in Personalmotivation, auch in Personaleinsatzplanung und -controlling findet er sich ganz gut und gibt an, sich diese Fähigkeiten unter anderem bei früheren beruflichen Tätigkeiten in Berlin und Dresden angeeignet zu haben. Ob er damit sein Wirken in der NPD und JN meint, verrät er nicht.
Kurzum, dem Aufmarsch ist der Anmelder abhanden gekommen. Beim NPD-Landesverband, der vor allem via Knape eng an den Marsch gebunden war, sieht es auch nicht rosig aus. Für den neu gegründeten Landesverband der Neonazipartei Die Rechte scheint die Januarveranstaltung kein großes Thema zu sein. »Die äußeren Verhältnisse sind günstiger als je zuvor«, schreibt Parteichef Christian Worch zur Gründung in Sachsen-Anhalt. HoGeSa in Köln und Hannover, PEGIDA in Dresden oder Demonstrationen unter dem Motto »Nein zum Heim« in Berlin würden beweisen, so Worch, dass der »gewöhnliche Bürger keine Angst mehr vor dem Schulterschluß mit radikaleren Kräften hat«.
Trotzdem liegt die Bedeutung des Gedenkens an den 16. Januar 1945 für Neonazis nicht zuletzt darin begründet, dass sich mit ihm die Frage diskutieren lässt, warum das nationalsozialistische Deutschland den Krieg verloren hat. Ihrer Meinung nach nämlich zu Unrecht und aufgrund der Grausamkeiten der Alliierten. Einen Schulterschluss, wie ihn Worch in Bezug auf rassistische Mobilisierungen wittert, wird das Gedenkjahr 2015 sicherlich nicht bieten. Aber blickt man beispielsweise auf die Verlautbarungen des Aktionsbündnisses gegen das Vergessen in Dresden, wird deutlich, dass das Jahr der 70. Jahrestage nicht ganz unwichtig ist.
Völlig zu Recht halten daher die verschiedenen Bündnisse in Magdeburg an ihren Mobilisierungen gegen den Neonaziaufmarsch fest. »Die Protestlandschaft hat sich mit den Jahren entwickelt«, sagt Kathinka von der Antifaschistischen Kampagne By all means necessary: »Heute haben wir eine Vielzahl an Akteuren und Bündnissen.« Sara Lehmann vom Bündnis Magdeburg Nazifrei ergänzt: »Die Aufgabe, die sich uns damit stellt, ist die Erarbeitung eines Gesamtkonzepts, in dem sich alle wiederfinden können.« Das war in den letzten Jahren nicht immer ganz einfach. Von »fundamentalen Differenzen« spricht Robert Fietzke von #blockmd, die aber zumindest soweit überwunden scheinen, als dass es mittlerweile bündnisübergreifende Projekte wie die »Antifaschistische Buskoordination« gibt. #blockmd ist in diesem Jahr erstmals auf den Plan getreten. Das Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften, Initiativen und Privatpersonen ruft zu friedlichen Blockaden auf und will sich auf die elf S-Bahnhöfe in der Stadt konzentrieren. An diesen potenziellen Auftaktorten des Neonaziaufmarsches soll es am Tag Kundgebungen geben. Denn, so Robert: »Wir wollen die ganze Stadt blockieren!«
Das will Magdeburg Nazifrei auch. Ähnlich wie beim Bündnis Dresden Nazifrei! gibt es hier einen Aktionskonsens. Mittels Massenblockaden soll ziviler Ungehorsam geleistet werden. Die Gründung von Magdeburg Nazifrei, erklärt Sara, sei eine Reaktion auf das Spannungsverhältnis zwischen bürgerlichen Protesten und antifaschistischer Mobilisierung gewesen. In der Gründung von #blockmd sieht sie wiederum eine Reaktion auf das Bündnis Magdeburg Nazifrei, welches das Thema Blockaden auf die politische Agenda gesetzt hatte.
Die Kampagne By all means necessary lässt sich wohl am ehesten im »klassischen Antifaspektrum« verorten. »Unser Ziel ist ein möglichst breites Aktionsspektrum gegen den sogenannten Gedenkmarsch«, sagt Kathinka. »Wir setzen auf Aktionsdynamiken und entschlossene antifaschistische Interventionen.« Darin, dass es verschiedene Bündnisse gibt, sieht sie keinen Nachteil: »Unser Aktionskonzept stellt eine Ergänzung zu den geplanten friedlichen Sitzblockaden dar.«
Wir bereiten uns auf viele Eventualitäten vor
Man ist sich also zumindest einig, dass man mit vielen Leute an vielen verschiedenen Orten gute Chancen hat, den Aufmarsch zu verhindern. Nur weiß man ja momentan noch nicht, wann er überhaupt stattfinden wird. »Wir bereiten uns auf viele Eventualitäten vor«, sagt Kathinka und erklärt, dass sie davon ausgehen, dass die Neonazis entweder am 16. oder am 17. Januar versuchen werden, durch die Stadt zu marschieren. Robert ergänzt: »Wir rechnen damit, dass die Nazis bis zur letzten Minute mit der versammlungsrechtlichen Anmeldung warten werden.« Rückblickend sagt Sara: »Unklarheit ist seit Jahren unsere ungewollte Begleitung.« Bei Magdeburg Nazifrei sei man inzwischen gut genug aufgestellt, um auch kurzfristig flexibel reagieren zu können.
Das war in den letzten Jahren vor allem aufgrund des Verhaltens der Polizei notwendig. Das Zusammenspiel von Polizei, Stadtverwaltung und Innenministerium hatte den Aufmarsch immer wieder möglich gemacht. Flexible Routen, Verwirrspiel der Polizei sowie Eskortservice durch die Deutsche Bundesbahn zu einem von Protesten möglichst entfernten S-Bahnhof sorgten für den aus Polizeisicht reibungslosen Ablauf der Neonaziveranstaltung. Protestierer_innen hatten indes oftmals mit massiver Polizeigewalt zu rechen. »Jeder Naziaufmarsch soll seitens der Polizei durchgesetzt werden«, sagt Sara und Robert fügt hinzu: »Es mangelt nach wie vor am politischen Willen, Blockaden als versammlungsrechtlich zu schützenden Ausdruck politischer Meinungsbekundung anzuerkennen.«
Trotzdem hat sich die Stimmung in der Stadt verändert: »Unsere Politik hat dafür gesorgt, dass Blockaden auch in Magdeburg kein Tabuthema mehr sind«, sagt Sara. Robert stimmt zu: »Die Bevölkerung ist offener geworden, was Menschenblockaden angeht.« Zudem, so Sara, werde durch die Massenmobilisierung »der Aktionsradius aller Aktiven verstärkt, von der Antifa bis zu demokratiepolitischen Angeboten«. Das kommt dann auch der Kampagne By all means necessary zugute. Bei der unklaren Situation ist letztlich die Initiative aller Beteiligten gefragt. Denn für Kathinka steht fest: »Antifa bleibt Handarbeit.«