Wellen schlagen nach Abschiebung von 18-jähriger Tschetschenin weiter hoch
Von Martin Pelzl
Die genauen Umstände der nächtlichen Abschiebung der 18-jährigen
Tschetschenin Tamara S.* kurz vor Weihnachten sind weiterhin ungeklärt.
Unterdessen wird die Front der Kritiker solch einer Winterabschiebung
immer größer.
Grundsätzlich haben die jeweiligen Bundesländer die Hoheit über solch
ein Verfahren. Dies bestätigte eine Sprecherin des sächsischen
Innenministeriums auf LVZ-Anfrage. "Zum konkreten Fall können wir
derzeit aber nichts sagen", so die Mitarbeiterin. Für die Abschiebung
selbst ist zunächst die Landesdirektion Sachsen zuständig, wie deren
Pressesprecher Ingolf Ulrich gestern mitteilte. "Den eigentlichen
Verwaltungsakt führen wir durch", so Ulrich. Seinen Recherchen nach sei
der Asylantrag der Familie von Tamara S. noch nicht entschieden worden.
Er gehe im Falle der Tochter aber eigentlich davon aus, dass die
Ablehnung ihres Asylantrags bekannt gewesen sein muss.
Dies ist offenbar aber nicht so gewesen. Nach allen der LVZ
vorliegenden Indizien vor allem durch die Bürgerinitiative (BI) Offene
Nachbarschaft Leipzig-Südwest für Flüchtlinge ergibt sich folgender
(Zwischen-)Sachstand: Offenbar aus Unkenntnis der rechtlichen Details
hatte die junge Frau die ab ihrem 18. Geburtstag notwendigen eigenen
Papiere - also unabhängig jener ihrer Eltern - nicht beantragt. Der
Familien-Asylantrag galt nach Erreichen der Volljährigkeit nicht mehr.
"Wer kennt schon das Aufenthaltsgesetz und die behördliche Praxis bis
ins Detail?", fragt denn auch Jonas Özbay von der BI. Damit habe sie
sich also rein juristisch wohl illegal in Deutschland aufgehalten. "Bloß
weil ihr niemand gesagt hat, dass sie mit dem Erreichen der
Volljährigkeit irgendwelche Anträge stellen muss", so der Leipziger. Und
diese Situation habe dann seiner Ansicht nach irgendein
Schreibtischtäter als Gelegenheit gesehen, die junge Frau abzuschieben,
um die Familie loszuwerden. Ob sich diese Vermutung bewahrheitet, werden
die nächsten Tage zeigen, wenn sich die Landesdirektion noch einmal
konkret zum Fall äußern will.
Die Landtagsabgeordnete und Stadträtin der Linken Juliane Nagel hat auf
die Vorfälle in der Markranstädter Straße ebenfalls reagiert und eine
Kleine Anfrage an die Staatsregierung gerichtet. Mit dieser solle "das
Handeln der Polizei und die Familientrennung" hinterfragt werden.
Leipzigs SPD-Chef Hassan Soilihi Mzé erklärte gestern: "Dass ein solcher
Vorgang bei uns überhaupt möglich ist, macht nicht nur betroffen." Es
zeige auch, dass die Abschiebepraxis im Freistaat die Achtung der
Menschenwürde missen lasse. Die asylrechtlichen Bedingungen seien
dringend überarbeitungsbedürftig.
Leipziger Pfarrer haben zuletzt unter dem Motto "Keine Winterabschiebung
in Sachsen: Asyl ist eine Frage der Menschlichkeit!" eine
Online-Petition initiiert (die LVZ berichtete). Sie soll Druck für eine
Entscheidungssitzung im Innenausschuss am 15. Januar machen.
Nachtrag: Laut der Sprecherin des Innenministeriums gibt es auch in
Sachen Abschiebung eine Art Weihnachtsfrieden - vom 22. Dezember bis 4.
Januar. Für Tamara S. etwas zu spät. (* Name geändert)
http://goo.gl/pnJbWg; www.lvz-online.de
Ingolf Ulrich, Sprecher Landesdirektion