Geschwächte Taliban schlagen zurück

Erstveröffentlicht: 
16.12.2014

Brutalität als Markenzeichen

Geschwächte Taliban schlagen zurück

Sascha Zastiral, Bangkok

Die Taliban in Pakistan gelten als stark geschwächt und stehen möglicherweise vor dem Aus. Ein Ende der terroristischen Gewalt in dem Land ist dennoch nicht absehbar.

 

Das Massaker an den Schulkindern von Peshawar zeugt vor allem von der momentanen Schwäche der Jihadisten in Pakistan. Dennoch könnte der Anschlag vom Dienstag der Beginn einer neuen, noch rücksichtsloseren Terrorwelle in Pakistan sein. Die pakistanischen Taliban haben immer gedroht, Rache zu nehmen, falls die Armee in Nordwaziristan einmarschieren sollte. Einige konservative Kleriker und Politiker haben aus diesem Grund ebenfalls vor einem Vorgehen gegen die Militanten gewarnt.

 

Drohung wahr gemacht

 

Als Pakistans Armee Mitte Juni ihre Operation «Zarb-e-Azb» einleitete und in Nordwaziristan einmarschierte, ging die Zahl der Anschläge im Land umgehend spürbar zurück. Die Zahl der Todesopfer durch Terrorakte verringerte sich im Vergleich zum Vorjahr auf die Hälfte. Zwar wurden bei einem spektakulären Anschlag in der Nähe eines Grenzüberganges zu Indien Anfang November etwa 60 Personen getötet, dennoch schien es, als hätten die pakistanischen Taliban ihre Fähigkeit, grossangelegte Terrorakte durchzuführen, weitgehend eingebüsst.

 

Pakistans Armee hatte jahrelang gezögert, gegen militante Gruppen in Nordwaziristan vorzugehen. Das halbautonome Stammesgebiet südwestlich von Peshawar, an der Grenze zu Afghanistan gelegen, gilt als Hochburg der Tehrik-e Taliban Pakistan (Taliban-Bewegung in Pakistan, TTP), die das Land seit Jahren mit Terroranschlägen überzieht. Aus Nordwaziristan heraus operieren jedoch auch militante Gruppen, die im Verband mit den afghanischen Taliban im benachbarten Afghanistan kämpfen. Zu diesen Gruppen unterhält der pakistanische Sicherheitsapparat bis heute Kontakte. Dass er sie jetzt kappen wird, ist unwahrscheinlich.

 

Die pakistanischen Taliban teilen sich mit den Taliban im benachbarten Afghanistan nur den Namen. Direkte Verbindungen zu der Organisation von Mullah Omar gibt es vermutlich keine. Die Zielsetzungen beider Gruppen unterscheiden sich zudem stark. Die afghanischen Taliban haben in der Vergangenheit sogar mehrmals die Anschläge der pakistanischen Taliban auf Zivilisten kritisiert. Auch konzentrieren sich die pakistanischen Taliban fast ausschliesslich auf Pakistan. Die einzigen Operationen im Ausland, zu denen sich die TTP bekannt hat, waren ein Selbstmordanschlag auf CIA-Mitarbeiter in Afghanistan 2009 und ein gescheiterter Bombenanschlag am Times Square in New York im Jahr darauf.

 

Terrorherrschaft

 

Die TTP entstand, als sich Ende 2007 rund ein Dutzend militante Gruppen unter der Führung von Baitullah Mehsud zusammentaten. In der Folgezeit gelangen der Gruppe unerwartet grosse militärische Erfolge. Die Militanten brachten rund ein Drittel der halbautonomen Stammesgebiete an der Grenze zu Afghanistan unter ihre Kontrolle. Dabei gingen sie äusserst brutal vor, vielerorts ermordeten sie lokale Würdenträger, um die Macht über eine Region an sich zu reissen. Die Fraktion unter Führung von Maulana Fazlullah eroberte das Swat-Tal nordwestlich von Islamabad. Vom Ausland heftig kritisierte Versuche der damaligen Regierung, sich mit den Taliban friedlich zu einigen, scheiterten. Mitte 2009 eroberte Pakistans Armee die Swat-Region zurück.

 

Fazlullah übernahm im November 2013 die Führung der pakistanischen Taliban. Der amerikanische Geheimdienst CIA hatte zuvor den TTP-Chef Hakimullah Mehsud bei einem Drohnenangriff getötet. Seitdem sind die Spannungen innerhalb des Militanten-Netzwerks offen zutage getreten. Die pakistanischen Taliban zerfielen in mindestens vier Fraktionen.

 

Pakistans Armee gibt an, sie habe seit Beginn ihrer Militäroffensive in Nordwaziristan im Juni mehr als 1100 Militante getötet. Die pakistanischen Taliban könnten tatsächlich am Ende sein: Die Gruppe hat ihr zentrales Rückzugsgebiet und ihre Ausbildungslager für Kämpfer und Selbstmordattentäter verloren. Die Gruppe der Punjabi Taliban, die Beziehungen zu dem TTP-Netzwerk unterhielt, kündigte im September an, fortan nur noch in Afghanistan zu kämpfen.

 

Auch die Erfolge des Islamischen Staates (IS) im Irak und in Syrien haben den Zerfall der pakistanischen Taliban beschleunigt. Vor einigen Wochen sind in Peshawar, dem Schauplatz des Schulmassakers vom Dienstag, Flugblätter aufgetaucht, auf denen der IS gepriesen wurde. Sechs wichtige TTP-Anführer erklärten ihre Gefolgschaft zum IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi.