Besorgt, beleidigt und zurückgesetzt (zur Psychologie der Islamophobie)

Erstveröffentlicht: 
23.12.2014

Die Frage, die sich heute stellt, lautet, ob das, was immer montags in Dresden passiert, Vorbote einer Bewegung ist, die sich über ganz Deutschland ausbreiten könnte. Sind hier bestimmte Gruppen aus Ostdeutschland die Trendsetter für einen Rechtspopulismus, den man gegenwärtig in den Niederlanden, in Dänemark, Großbritannien, Italien, der Schweiz und vor allem in Frankreich findet? Wer würde außerhalb des sächsischen "Tals der Ahnungslosen" dem Aufruf "Europäischer Patrioten gegen eine Islamisierung des Abendlandes" folgen?

 

Von Heinz Bude und Ernst-Dieter Lantermann

 

Wir haben bereits 2011, nachdem der damalige Bundespräsident Christian Wulff am 3. Oktober 2010 in seiner Bremer Rede zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit den Islam ebenso wie das Christentum und das Judentum zu einem Teil Deutschlands erklärt hatte, in einer vom Hamburger Institut für Sozialforschung finanzierten repräsentativen Telefonumfrage eruiert, wem diese Feststellung von höchster Stelle gar nicht schmeckte.

Wir wollten allerdings nicht nur Einstellungen auflisten, sondern damit verbundene Verhaltenskonsequenzen verstehen. Als islamophob haben wir hohe Zustimmungen zu Aussagen wie "Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland verboten werden" oder "Die muslimische Kultur passt nicht in unsere westliche Welt" oder gar "Muslimen sollte jede Form der Religionsausübung in Deutschland verboten werden" gewertet. Wer in Deutschland stimmt solchen Aussagen zu?

Wir konnten drei Gruppen mit ausgeprägter Islamophobie identifizieren. Für alle drei Gruppen ist die Identifizierung mit ihrer deutschen Herkunft ein wesentliches Moment ihres Stolzes auf sich selbst. Gleichzeitig misstrauen sie in hohem Maße dem "Staat" und seinen Institutionen. Damit hören die Gemeinsamkeiten zwischen den drei islamophoben Gruppen aber bereits auf.

Da ist eine erste Gruppe, der es im Großen und Ganzen gut geht. Man verfügt über eine mittlere Schulbildung und lebt in finanziell und beruflich gesicherten, wenn auch nicht üppigen Verhältnissen. Man fühlt sich weder bedroht noch an den Rand gedrängt. Im Gegenteil: Menschen aus dieser Gruppe haben ein hohes Selbstbewusstsein und die Gewissheit, ihre Lebensziele weitgehend erreicht zu haben. 59 Prozent von ihnen sind älter als 50 Jahre, 27 Prozent zwischen 30 und 50, und 14 Prozent jünger als 30 Jahre. Immerhin 38 Prozent dieser Gruppe erleben sich als Gewinner der ökonomischen Entwicklung der vergangenen Jahre, nur 14 Prozent als Verlierer. Dennoch sieht etwa die Hälfte von ihnen pessimistisch in die Zukunft.

Sie wünschen sich eine Gesellschaft zurück, in der die tradierten Werte wieder zählen: Sicherheit, Disziplin und Leistungswille. Sie sehnen sich nach klaren Lebensverhältnissen zurück, die nicht länger gestört werden von Menschen, die anders denken und leben als sie.
 

Verhärtete Selbstgerechtigkeit ist ein wesentliches Motiv für den "Extremismus der Mitte"

Den Hintergrund für die islamophoben Tendenzen dieser Menschen ist ein ausgeprägtes Gefühl von sozialer Statuskonsistenz, verbunden mit der Sorge, dass es ihnen in Zukunft schlechter gehen könnte. Man schaut zufrieden auf sein eigenes Leben und blickt selbstgerecht auf das Leben der anderen. Deshalb nennen wir diese Gruppe die verhärtet Selbstgerechten. Sie machen neun Prozent der Befragten aus.

Daneben finden wir eine Gruppe von grundsätzlich Beleidigten, die von Ausschlussempfinden geplagt sind. Sie machen etwa 13 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. 63 Prozent von ihnen sind älter als 50, 26 Prozent zwischen 30 und 50 Jahre und 11 Prozent jünger als 30 Jahre alt. Sie leben in finanziellen und beruflich gefährdeten Verhältnissen, verfügen über eine niedrige Schulbildung, ein geringes Selbstbewusstsein. Sie sehen ihre wichtigsten Lebensziele als unerreichbar und haben es aufgegeben, die Welt um sich herum zu verstehen. Sie erleben sich von der Gesellschaft diskreditiert, und fast die Hälfte dieser Gruppe sieht sich als Verlierer der ökonomischen Entwicklung. Nahezu zwei Drittel von ihnen rechnet sich für die Zukunft nicht mehr viel aus.

Diese Enttäuschten und Beleidigten teilen mit den Saturierten und Selbstgerechten die Idee einer Rückbesinnung auf traditionelle Werte und klare Abgrenzungen - aber sie sind zudem von Überfremdungsängsten beherrscht. Im Gefühl selbstgerechter Statussicherheit lehnt man Einwanderer aus der islamischen Welt ab und verlangt verlässliche Regelungen, um die ,brauchbaren' und integrationsbereiten von ,unbrauchbaren' und integrationsunwilligen Migranten zu unterscheiden. Im Empfinden sozialer Marginalität fühlt man sich zudem bedroht von dieser Flut von Menschen, die von woanders her in unser Land strömen und einem ein Stück vom Kuchen wegnehmen.

Diese beiden Gruppen sind der Soziologie und Sozialpsychologie nicht unbekannt. Verhärtete Selbstgerechtigkeit ist ein wesentliches Motiv für das, was der amerikanische Soziologe Seymour Martin Lipset den "Extremismus der Mitte" nannte. Das Empfinden sozialer Bedeutungslosigkeit erklärt die Feindlichkeit gegenüber Fremden und den Hass auf das System. Entscheidend sind dann die Gelegenheiten, die Lizenzen für die Erregung und Angebote zum Zusammenschluss mit ähnlichen Gesinnten liefern.

 

Die Frage ist, ob es gelingt, Solidarität als gesellschaftliche Grundlage fühlbar zu machen

Eine dritte Gruppe passt auf den ersten Blick nicht in dieses Bild. Sie macht 13 Prozent der Bevölkerung aus. Es sind Bürger, die sich als weltoffen und modern begreifen. 50 Prozent von ihnen sind älter als 50, 33 Prozent zwischen 30 und 50 Jahre und 17 Prozent jünger als 30 Jahre alt. Sie würden es ablehnen, als fremdenfeindlich oder rückwärtsgewandt bezeichnet zu werden.

Nur leben sie trotz relativ hoher Bildung in prekären finanziellen und beruflichen Verhältnissen und fühlen sich um das Erreichen ihrer Lebensziele betrogen. 43 Prozent erleben sich als Verlierer der ökonomischen Entwicklung. 72 Prozent sehen mit tiefem Pessimismus in die Zukunft, und das, obwohl sie der Überzeugung sind, alle Fähigkeiten für die Gestaltung eines erfolgreichen Lebens zu besitzen.

Auch fühlen sie sich trotz ihrer misslichen Lage von ihrer sozialen Umwelt und der Gesellschaft insgesamt durchaus wertgeschätzt. Aber was sie belastet, ist die von Theodor Geiger schon 1930 als bestimmend für die "Panik im Mittelstand" herausgestellte "Angst vor Mindereinschätzung". Wenn man sie nur ließe, lautet die zentrale Aussage der von ihnen empfundenen Statusinkonsistenz, könnten sie sich und anderen beweisen, was sonst noch in ihnen steckt.

Im Gegensatz zu den beiden anderen Gruppen beharren diese widersprüchlich Platzierten gerade nicht auf festen Orientierungen, die verloren gegangen zu sein scheinen. Sie zeigen sich im Allgemeinen offen für Begegnungen mit Menschen aus anderen Kulturen und Lebensverhältnissen. Allerdings hört diese Offenheit auf, wenn es um Muslime geht.

71 Prozent von ihnen sind der Auffassung, dass die muslimische Kultur nicht in unsere westliche Welt passt, 45 Prozent möchten die Zuwanderung von Muslimen nach Deutschland verboten wissen, und 31 Prozent gehen sogar so weit, dass den Muslimen jede Form von öffentlicher Religionsausübung untersagt werden sollte.

Die brennende Frage im Blick auf Pegida lautet, ob dieses sehr unterschiedlich motivierte Potenzial in einem populistischen Register, das Zukunftssorgen von Saturierten, das Marginalitätsempfinden von Beleidigten und die "Angst vor Mindereinschätzung" bei Zurückgesetzten anspricht, auf einen konzeptionellen "Fremden" ausgerichtet werden kann - oder ob es den Volksparteien gelingt, sie als Teil einer neuen Stimmungslage im Volk aufzunehmen und auf Ziele zu orientieren, die das Gemeinsame betonen, die Zurückgelassenen mitnehmen und die Solidarität als Grundlage gesellschaftlichen Zusammenlebens fühlbar machen.

Heinz Bude lehrt Makrosoziologie an der Universität Kassel, Ernst-Dieter Lantermann ist dort emeritierter Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie.

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