Bei dem Anschlag auf das Oktoberfest kamen 1980 in München 13 Menschen ums Leben. Es ist überfällig, dass die Bundesanwälte in dem Fall wieder zu ermitteln beginnen. Auch, weil die überlebenden Opfer stets Vertuschung befürchteten.
Kommentar von Annette Ramelsberger
Man muss sich keinen Illusionen hingeben: Ohne das Auffliegen der rechtsextremen Terrorgruppe NSU wäre es nie dazu gekommen, dass der Generalbundesanwalt nun offiziell die Ermittlungen zu den Hintergründen des Oktoberfest-Attentats wieder aufnimmt - nach mehr als 34 Jahren. Bis zum November 2011, als die Existenz des NSU entdeckt wurde, hätte niemand geglaubt, dass es solche Terrorgruppen in Deutschland gibt oder gegeben hat. Und bis zu diesem Zeitpunkt wurden auch jene eher belächelt als ernst genommen, die unermüdlich auf mögliche Hintermänner des Oktoberfest-Attentats in München hingewiesen haben.
Was seitdem über den NSU herausgekommen ist, zeigt, dass unter den Augen deutscher Sicherheitsbehörden mehr möglich war, als sich selbst skeptische Bürger vorstellen konnten: Da wurden rechtsradikale V-Männer mit Steuergeld ausgestattet und vor Durchsuchungen gewarnt; Verfassungsschützer wollten gar nicht wissen, ob Straftaten verübt wurden.
Selbst wichtige Hinweise auf die Verschwörer verschwanden in den Ämtern. Seitdem ist das Vertrauen in die seriöse Arbeit deutscher Sicherheitsbehörden erschüttert. Nicht nur die Geheimdienste stecken in einer Vertrauenskrise, auch Polizei und Justiz. Davon ist auch die Bundesanwaltschaft betroffen, die sich selbst als Hort der Objektivität und Unvoreingenommenheit sieht. Und deswegen kommt die neue Zeugin, die sich nun gemeldet hat, gerade recht.
Ein Befreiungsversuch der Ermittler
Die Wiederaufnahme der Oktoberfest-Attentats-Ermittlungen ist nicht nur der Versuch, doch noch den Hintermännern des schlimmsten Anschlags der deutschen Nachkriegsgeschichte auf die Spur zu kommen. Damals starben 13 Menschen, und mehr als 200 wurden verletzt.
Es ist auch der Versuch der Bundesanwaltschaft, sich von den Vorwürfen zu befreien, die seit den Achtzigerjahren nicht mehr verstummen: dass sich die Ermittler viel zu schnell mit der Einzeltätertheorie zufriedengegeben, dass sie windigen Zeugen geglaubt und wichtige Erkenntnisse der Geheimdienste nicht bekommen hätten. Und dass die Bundesanwaltschaft selbst schon kurz nach dem Anschlag Beweismittel vernichtet habe, die heute durch die Möglichkeiten der DNA-Analyse zu den Hintermännern führen könnten - ein Makel, den die Behörde nicht wegwischen kann.
Erkunden, was alles übersehen wurde
Doch Vorsicht: Die Wahrscheinlichkeit, dass in ein paar Wochen der große Hintermann präsentiert wird, ist gering. Aber selbst wenn die Angaben der neuen Zeugin ins Nichts führen sollten, ist das neue Verfahren überfällig - schon um der überlebenden Opfer willen, die immer das Gefühl hatten, es sollte etwas vertuscht werden. Aber auch um des Selbstreinigungsprozesses willen, den die Sicherheitsbehörden in Deutschland bisher nur zaghaft angehen.
Es reicht ja nicht, dass nach dem Auffliegen des NSU ein halbes Dutzend Verfassungsschutzchefs zurückgetreten sind. Es geht darum zu erkunden, was man alles nicht gesehen hat in jener Zeit, da der Staat nach rechts Scheuklappen trug. Beim Oktoberfest-Attentat fing es an.