"Politische Schönheit" gegen europäischen Zynismus

Grenzgebiet

Vor zwei Wochen, am Sonntag den 2.11.2014 entfernten KunstaktivistInnen des „Zentrum für Politische Schönheit“ vierzehn der sogenannten „Mauerkreuze“. Nach Aussage der KünstlerInnen sind die Kreuze an jenem Tag „geflohen“, vor den Feierlichkeiten um den 25. Jahrestages des Mauerfalls und der ihnen inhärenten Doppelmoral. Gedacht wird der 138 Menschen, welche in den 28 Jahren der Mauer an der deutsch-deutschen Grenze ums Leben kamen. Keine Erwähnung fanden beim offiziellen Gedenken hingegen die zehntausenden Flüchtlinge, die an der europäischen Außengrenze in den letzten zehn Jahren den Tod fanden, verdurstet in der Wüste, ertrunken im Mittelmeer, erschlagen von Grenzern, verblutet im Nato-Draht.

 

Die unerträglichen Umstände in den europäischen Flüchtlingslagern, der Hunger, die fehlende Hygiene, die Perspektivlosigkeit von Flüchtenden bleiben unerwähnt. Ebenso wird unter den Tisch gekehrt, dass der Berliner Senat in den letzten Jahren Asylsuchende systematisch verarscht hat, Stichwort „Einigungspapier Oranienplatz“.

 

Diejenigen hingegen, die es über die deutsch-deutsche Grenze schafften, wurden warm empfangen. Ihre Fluchtgeschichten füllen heute noch Talkshowrunden und werden dort vor staunenden Zuhörern immer und immer wieder wiederholt. Über ihre Helfer wird mit dem lobenden Titel „Fluchthelfer“ gesprochen - Heute ist die Rede von „Wirtschaftsflüchtlingen“, „Schlepperbanden“ etc., keine entsetzten Gesichter wenn einer junger Asylsuchender darüber erzählt, wie er den Klauen der mörderischen IS-Banditen entkommen ist, wenn er von seiner Odyssee erzählt, die ihn in Radkappen und zu Fuß bis nach Deutschland geführt hat. Auch erwartete ihn hier kein warmer Empfang, keine Talkshows, nicht einmal ein sicheres Zuhause oder existenzsichernde Versorgung.

 

Vor dieser menschenverachtenden Doppelmoral „flohen“ also die „Mauerkreuze“ an den Grenzzaun der Europäischen Union zu ihren „Leidensgenossen“. Die mediale Empörung war groß, die Rede war von „Grabschändung“, „Zynismus“ oder „Geschmacklosigkeit“ - natürlich in Bezug auf den „Diebstahl“, nicht auf die neuen Mauertoten.

 

Trotz alledem fuhren am Freitag den 7. November zwei Reisebusse vor dem Berliner Maxim-Gorki-Theater ab. Ihr Ziel: der „Erste Europäische Mauerfall“, der Abriss des europäischen Grenzzauns. Bewaffnet mit Bolzenschneidern und Akkuflex wollten sie sich auf den Weg machen, doch bereits in Berlin wartete die Staatsmacht in Form der 21. EHU und durchsuchte das Gepäck der knapp hundert AktivistInnen.

Es sollte nicht der letzte Kontakt der Gruppe mit der Staatsmacht sein; auf ihrer ca. 50stündigen (Hin-)Reise an die Außengrenze sollten sie noch oft schikaniert werden, doch dazu später mehr.

 

Als sich die Busse in Berlin in Bewegung setzten, wusste keiner der AktivistInnen so genau, worauf er oder sie sich eigentlich eingelassen hatte. Bei der Vorbesprechung im Gorki-Theater musste jedEr eine Verzichtserklärung unterschreiben, die Aktion wurde als „Theaterstück mit Laiendarstellern“ deklariert. Der erste Stopp war an einer Tankstelle bei Dresden. Die für das „Theaterstück“ benötigten „Requisiten“ wurden von einem PKW in die Busse und andere PKWs umgeladen, dann ging die Fahrt weiter, bis zur ungarisch-serbischen Grenze verlief sie ereignislos. Dann die Grenzkontrolle, der zweite Kontakt mit der Staatsmacht, jemand hatte wohl den Grenzbeamten gegenüber das Gorki-Theater erwähnt, andere hatten gesagt die Gruppe sei ein Improvisationstheater. 

 

Die Beamten zählten eins und eins zusammen und wussten, mit wem sie es zu tun hatten – nur waren sich unschlüssig wie sie mit der Gruppe weiter verfahren sollten.

Am Ende wurde sich für eine Polizeieskorte entschieden, zumindest in Serbien sollte die Gruppe dann doch bitte keine politische oder künstlerische Aktion starten. Die nächsten 540 Kilometer, also einmal durch Serbien, fuhr vor den zwei Reisebussen ein kleiner Renault mit Blaulicht. Im Bus wurde der komödiantische Aspekt der Schikane gesehen – so ein Aufwand obwohl man doch so harmlos ist. Harmlos anscheinend nur in der Selbstwahrnehmung wie später deutlich wurde. „Ob die uns jetzt bis zum Zaun begleiten?“ fragte eine Aktivistin scherzend in die Runde, kurz bevor der Bus die bulgarische Grenze erreichte. Etwa zur gleichen Zeit riefen AktivistInnen aus einem der vorgefahrenen PKWs im Bus an:

„An der Grenze wartet schon ein Mann im Grauen Anzug auf euch, ist wohl vom Innenministerium.“ und tatsächlich, wir hatten Serbien noch nicht einmal verlassen, da stieg er zu uns in den Bus. „Herzlich Willkommen in Bulgarien, ich bin ein Vertreter des bulgarischen Innenministeriums und ich darf sie herzlich begrüßen.“ In den Folgenden zehn Minuten erklärte er die Rechtslage rund um Demonstrations- und Meinungsfreiheit in Bulgarien, dass die bulgarischen Grenzbeamten von den deutschen gelernt hätten und deshalb besonders freundlich wären und dass bulgarische Nationalisten gegen die AktivistInnengruppe mobil machen würden. Ausländer, die in ein fremdes Land kommen um dort Grenzen einzureißen und somit den Weg für „Überfremdung“ und „Sozialschmarotzer“ ebnen könnten, würden wohl bei nationalistischen und rechtspopulistischen Dumpfbacken aller Nationen auf Beißreflexe stoßen.

Jedenfalls wurde den AktivistInnen versichert, sie bräuchten sich keine Sorgen machen, für ihre Sicherheit sei gesorgt und auch im Hotel wären Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden. Eigentlich seien das auch gar keine bulgarischen Nationalisten, so der Innenministeriumsbeamte, seiner Meinung nach sind es eigentlich von Moskau bezahlte russische Provokateure, Beweise hat er selbstredend keine dafür.

 

Nach der Grenzkontrolle ging es weiter, wieder mit Polizeischutz, diesmal aber in Zivil und ohne Blaulicht.

Der Zeitplan der AktivistInnen war inzwischen gehörig durcheinander gekommen. Wollten sie eigentlich am Samstag Abend um 21h im bulgarischen Jambol angekommen sein, war es inzwischen 23h, und die Gruppe hatte gerade erst die Grenze passiert. Gegen 3h Nachts gab es deshalb ein Notfallplenum. Es wurden die verschiedenen Optionen erörtert. Schnell wurde klar, dass der ursprüngliche Plan, sich erst einmal im Hotel auszuschlafen und dann in aller Frische zur Aktion zu fahren, nicht mehr durchführbar war. Es wurde beraten und schließlich entschied man sich dafür, ohne Schlaf direkt zur Aktion zu fahren.

 

Gegen 8h Morgens am Sonntag erreichte die Gruppe letztendlich das Hotel, wo es Frühstück und letzte Instruktionen gab. Zwei bulgarische Strafrechtsanwälte wurden der Gruppe vorgestellt und die neue Situation erklärt.

 

Während der Fahrt wagte das „Zentrum für Politische Schönheit“ die Flucht nach vorne, da ihre Aktion größere Wellen schlug als erwartet.

Da der neu eingesetzte bulgarische Innenminister die Verhinderung des „Ersten europäischen Mauerfalls“ zur Chefsache erklärt hatte, wurde vom „Zentrum für Politische Schönheit“ die deutsche Botschaft informiert. Ein tatsächlicher Abriss des Grenzzauns war zu diesem Zeitpunkt in unerreichbare Ferne gerückt.

 

Dennoch machten sie sich in ihren Bussen auf den Weg zur Grenze, inzwischen nicht nur in Begleitung von bulgarischer Polizei, auch die bulgarische Presse hatte sich angeschlossen.

So wälzte sich die Kolonne durch das unbeschreiblich trostlose Grenzgebiet, machte Halt an einem schiefen Schild – „Border Area“ war darauf zu lesen. Als die AktivistInnen damit fertig waren, stand dort außerdem „Scheißverein“, „Kein Mensch ist Illegal“ und „Good Night, White Pride“.

 

Wenig später kam die Kolonne erneut zum stehen. Wir waren im  letzten Dorf vor der Grenze angekommen, trostlos, verfallen, von der Welt vergessen.

Ein paar Kinder schauten erst misstrauisch, hatten dann jedoch ihren Spaß mit einem Aktivisten in Drachenkostüm, der mit ihnen Fangen spielte. Als dann auch noch einer der Busfahrer eine Packung Müsliriegel herausholte und sie den Kindern schenkte, legten diese jegliche Skepsis uns gegenüber ab. Die Gruppe legte die letzten hundert Meter zum ersten Grenzzaun zu Fuß zurück. Auf dem Weg dahin noch mehr verfallene Häuser, oft ist der Unterschied zwischen einer Ruine und einem bewohnten Haus kaum zu erkennen.

Am ersten Grenzzaun angekommen – ursprünglich markierte er das Ende der Sowjetunion – versperrten einige Grenzbeamte den Weg. Philip Ruch, Sprecher des „Zentrum für Politische Schönheit“, diskutierte kurz mit dem Ranghöchsten von ihnen, der die Gruppe zwar weiter ziehen ließ, jedoch auch ankündigte, dass diese den eigentlichen Grenzzaun nicht zu Gesicht bekommen würde.

 

Davon ließen sich die AktivistInnen nicht entmutigen und marschierten weiter. Einer schaffte es die Fahne der Europäischen Union von einem Unterstand herunterzureißen. Es sollte der aktionistische Höhepunkt bleiben. Ein paar hundert Meter weiter war dann endgültig Schluss.

Flatterband und Grenzbeamte mit Schild, Helm und Schäferhunden versperrten den Weg.

Der eher halbherzige Versucht der AktivistInnengruppe, sich mit erhobenen Händen durch die Polizeikette zu pressen, funktionierte nicht, und als Philip Ruch dann verkündete, für ihn gebe es keine Möglichkeit mehr seine Kunstaktion durchzuführen und sich an die Seite stellte, war die Luft endgültig raus. Es gab zwar noch ein kurzes Plenum, in dem mögliche weitere Aktionen besprochen und allesamt als unrealistisch abgetan wurden, dann begaben sich die AktivistInnen auch schon auf den Rückweg zu ihren Bussen.

Dort war die Stimmung geknickt. Das erste Mal kamen Zweifel an dem von Anfang an intransparenten Konzept auf. Hätte es etwas geändert, wenn nicht bereits in Serbien die Bolzenschneider gefunden worden wären? Wäre mehr Mitbestimmung bei der Wahl von Aktionsform und Ort hilfreich gewesen? In wie weit darf oder muss so eine Aktion den legalen Rahmen ausreizen oder sogar überschreiten? Diese und andere Fragen beschäftigten die Gruppe bis zur griechischen Grenze. Dort lernten sie ihre nächste Lektion in Sachen Repression. Nur weil die Gruppe mit ihrer Aktion fertig war, waren die staatlichen Organe noch lange nicht fertig mit der Gruppe und so wurden sie von sechs gepanzerten Bussen der militärischen Anti-Terror-Einheit in Griechenland empfangen. Ihnen hatte niemand gesagt, dass die Aktion bereits in Bulgarien gelaufen war. Sie waren der Finte aufgesessen, die vor der Abreise gestreut wurde, nach der das eigentliche Ziel die griechisch-türkische Grenze sei.

 

So warteten sie seit Sonntag morgen 8h an der Grenze – mit der Information, die Gruppe sei „gewaltbereit und gefährlich“. Als die Gruppe am Sonntag Abend gegen 20h die griechische Grenze überquerte und von den Anti-Terror-Einheiten herausgewunken wurde war die Anspannung auf beiden Seiten groß. Als die ersten AktivistInnen den Bus verließen vielen den mit Schilden und Gasmasken ausgerüsteten Beamten reihenweise die sprichwörtlichen Kinnladen herunter: darauf hatten sie also den ganzen Tag gewartet.

Nichtsdestotrotz eskortierten die Polizeibusse die Gruppe bis zu ihrem Hotel im griechischen Alexandropulis, wo die AktivistInnen nach über 50 Stunden im Bus mit sehr gemischten Gefühlen ins Bett fielen. Da die Busse und vor allem ihre Fahrer nach den Strapazen der Hinfahrt eine längere Pause brauchten, blieb die Gruppe auch noch den Folgetag in dem kleinen Ort an der Mittelmeerküste, natürlich ständig unter dem wachsamen Auge griechischer PolizistInnen. Selbst diejenigen, welche in separaten PKWs angereist waren und bereits früher abfuhren, wurden von zivilen Polizeifahrzeugen, bemüht unauffällig, bis zur Ausreise begleitet.

 

Rückblickend war die Busreise und die dabei erlebte Repression die eigentliche Aktion. So zeigte zwar der gescheiterte Versuch des „Ersten europäischen Mauerfalls“, dass die europäische Außengrenze eben auch für weiße AktionskünstlerInnen aus Deutschland ein nicht-diskutables Hindernis darstellte. Sie haben jedoch dank ihrer Herkunft die Möglichkeit, die Grenze an offiziellen Punkten zu überqueren oder sich einfach in den Bus zurück nach Deutschland zu setzen.

Die Hinreise selber entblößte die Hartnäckigkeit, mit der Europa sein schmutziges Geheimnis hütet. Niemand soll den sieben Meter hohen, stacheldrahtbewährten Grenzzaun zu Gesicht bekommen der für so viele das Ende jeder Hoffnung symbolisiert.

 

Es war doch auch so schön inszeniert – 8000 leuchtende Ballons wurden in Berlin los gelassen. Das Symbol für den Fall der Mauer 1989. Doch dank der AktivistInnen rund um das „Zentrum für Politische Schönheit“ konnten sie am Ende dennoch nicht den Zynismus und die Doppelmoral überdecken, mit der deutsche PolitikerInnen immer wieder vom „Grenzen überwinden“ gesprochen haben.

 

An der konkreten Realität der Flüchtlinge hat die Aktion mit Sicherheit nichts geändert, aber sie hat ihre Situation zu einem Zeitpunkt ins öffentliche Rampenlicht gerückt, zu dem sie traditionellerweise so gut wie möglich verschwiegen wird.

 

 


 

- Von Willi Berg / lowerclassmag.com

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Vielen herzlichen Dank für diesen tollen "Reise"/Aktionsberichtes einer Aktion die ,in der Tat, medial zum richtigen Zeitpunkt (MauerfallParty)kam.

Die Einschätzung und Bewertung ist interessant und politisch wertvoll, um evtl. auch in "Künstlerkreisen" mal über Sinn und Unsinn solcher Aktionen nachzudenken.

Ein Bolzenschneider kann aber auch ohne mediale Öffentlichkeit etwas sehr wertvolles sein.Hier allerdings war sie von Nöten und hat tatsächlich den richtigen Zeitpunkt erreicht.

Das hat in etwa die Qualität wie das Verwechseln von Drinnen und Draußen, peinlich.

sehenswert zu dem thema auch "die anstalt" (zdf) vom 18.11.2014 auch da wird auf die doppelmoral hingewiesen, natürlich in typisch satirischer manier mit ehem. ostdeutschen grenzschützer...

Also Leute, die sich als Künstler nur selber inszenieren und irgendwas von "friedlichen Revolutionären", also so etwas wie trockenes Wasser, erzählen, die kann man halt auch nicht ernst nehmen.

Kleinbürgerliches Theater, nichts weiter.

Die Gruppe gefährlich wirksamer Indy-Kommentar hat heute nacht mit diesem Kommentar einen Sprengsatz ausgelöst und mindestens Angela Merkel, Wolfgang Schäuble und Sepp Blatter bestraft.