Die ÖH Uni Wien fordert ein Couleurverbot für Burschenschafter und löst eine Debatte um freie Meinungsäußerung und Bekleidungsvorschriften aus.
Von Kiana Fathi
„Rassistisch, sexistisch, ekelhaft – das ist die deutsche Burschenschaft“, hört man von der einen Seite. Plakate mit „Kein Mal und nie wieder“ und „No WKR“ Aufschriften werden hochgehalten. Auf der anderen Seite starre Blicke, die von bunten Kappen geschützt sind. Einen Banner mit der Aufschrift „Bunt statt Rot – gegen das Couleurverbot“ halten sie. Sie wirken leicht eingeschüchtert, aber dennoch sind sie präsent. Das wöchentliche Burschenschaftertreffen auf der Rampe der Universität Wien wird von Demonstrationen gestört. In den Kampf zwischen ÖH Uni Wien und Burschenschaften haben sich nun auch linke Organisationen eingemischt. „Man muss ihnen den letzten öffentlichen Platz auch noch nehmen“, meint ein Demonstrant.
Das Burschenschaftertreffen auf dem Gelände der Universität Wien ist der ÖH Uni Wien schon länger ein Dorn im Auge. Bei dem Treffen wollen die Studentenverbindungen einerseits Präsenz zeigen sowie neue Mitglieder anwerben. Eine „Distanzierung von rechtsextremistischem Gedankengut“ und ein Couleurverbot — das Tragen von Mütze und Band in den Farben der Verbindung — wird von Seiten der ÖH Uni Wien in einer Aussendung von der Universitätsleitung gefordert. Verfassungsrechtlich und auch meinungsfreiheittechnisch ist die Forderung allerdings schwer durchführbar, sagt Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk in einem Interview mit derstandard.at: „Es gibt keinen sachlich zureichenden Grund, die Burschenschafter tragen keine verbotenen Abzeichen. Die Universität hat einen öffentlichen Status und unterliegt einem Diskriminierungsverbot und einem Gleichbehandlungsgebot.“
Burschenschaft ist nicht gleich Burschenschaft
Zudem ist es wichtig, Burschenschaften* nicht als Ganzes zu
betrachten, sondern zwischen den verschiedenen Arten zu differenzieren.
Burschenschaften sind eine Art Studentenverbindung, deren Großteil sich
zu den Prinzipien der Urburschenschaft aus dem Jahr 1815 bekennt. Als
„Burschenschaft“ bezeichnen sich allerdings mittlerweile verschiedenste
Studentenverbindungen, die die Prinzipien auf individuelle Weise
interpretieren. Den grundlegendsten Unterschied könnte man zwischen
katholischen und deutschnationalen Burschenschaften sehen. Unter den
deutschnationalen gibt es wiederum schlagende als auch nicht-schlagende
Verbindungen. Laut der deutschnationalen Burschenschaft „Gothia“
unterscheidet Burschenschaften von anderen Studentenverbindungen der
„Lebensbund unter den Bundesbrüdern“ sowie „die moralische Anforderung
an ihre Mitglieder“.
Rund 10-15% aller Studentenverbindungen in Österreich können als deutschnationale Burschenschaften gesehen werden. Der Begriff „deutschnational“ bezeichnet das „Bekenntnis zum deutschen Vaterland als der geistig-kulturellen Heimat des deutschen Volkes“. Schlagende Burschenschaften führen eine Mensur mit anderen schlagenden Studentenverbindungen, während nicht-schlagende diese Tradition meist aus religiösen Gründen ablehnen. Die Mensur ist ein traditioneller Fechtkampf, bei dem zwei männliche Mitglieder gegeneinander antreten. Sie ist unter anderem neben Heimatverbundenheit und Deutschbewusstheit eine der wichtigsten Werte deutschnationaler Verbindungen. Das Motto „Ehre —Freiheit —Vaterland“ hat laut der Websites verschiedener Burschenschaften oberste Priorität. Deutschnationalen Verbindungen wird oftmals eine Nähe zu Rechtsextremismus vorgeworfen. So geriet etwa die vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) als rechtsextrem eingestufte Burschenschaft „Olympia“ schon oft in Kritik, unter anderem aufgrund ihrer Infragestellung des NS-Verbotsgesetzes. Hauptkritikpunkte der ÖH Uni Wien an deutschnationalen Verbindungen sind „Homophobie, Rassismus, Sexismus und Antisemitismus“.
Nicht-schlagende Burschenschaften in Österreich sind vorwiegend katholische Burschenschaften. Sie begründen die Ablehnung der Mensur mit den christlichen Werten der „Nächstenliebe“. Katholische Burschenschaften sind in Dachverbänden wie dem Mittelschüler-Kartell-Verband oder dem Cartellverband (CV) organisiert. Zu differenzieren sind deutschnationale und christliche Burschenschaften vor allem wegen den grundlegend unterschiedlichen Wertvorstellungen. Die Grundprinzipien des ÖCV (Österreichischer Cartellverband) bestehen aus religio (Katholozität), patria (Vaterlandsliebe), scientia (Wissenschaftlichkeit) und amicitia (Lebensfreundschaft). In die Mitgliedsverbindungen des ÖCV werden keine Frauen aufgenommen, was von der ÖH ebenfalls stark kritisiert wird.
Farbe bekennen
Was alle Burschenschaften gemeinsam haben: sie tragen die Couleur, bestehend aus einer Mütze, einem Band und einem Zipfelbund, in den Farben der Studentenverbindung. Sie ist ein Teil ihrer Identität als Korporierter, ein Teil ihres Auftretens. Ob es nun als Kleidungsstück oder politisches Symbol gesehen werden kann, hängt vom Auge des Betrachters ab. Die ÖH Uni Wien hat sich die Couleur zum Anlass genommen, Burschenschaften und ihre Hintergründe wieder zu thematisieren. Die Forderung ist auf deutschnationale Burschenschafter ausgerichtet, ein Couleurverbot würde allerdings auch katholische Verbindungen betreffen. Rechtsextremismus-Forscher Heribert Schiedel betonte in einem Interview mit mokant.at die Notwendigkeit der Differenzierung verschiedener Arten von Burschenschaften: „Gerade im politischen Alltag sollte doch genau unterschieden werden, ob man es mit einer konservativen oder rechtsextremen Verbindung zu tun hat.“ In einem Kommentar im unimag bezeichnet Philipp Hartberger von der katholischen Mittelschulverbindung Badenia das Vorgehen der ÖH daher als schwere Themenverfehlung: „Nämlich deshalb, weil 80 Prozent der Studierenden die er trifft, dem christlichen und nicht dem deutschnationalen Lager zuzuordnen sind.“ Auch wenn die ÖH in der Aussendung vom 28.10. klarstelle, dass diese zu differenzieren sind, lasse sie zugleich Toleranz Andersdenkenden gegenüber vermissen, meint Philipp. „Ein demokratiepolitisch korrekter und nachhaltiger Weg kann nur in einer ehrlichen und tiefgreifenden Auseinandersetzung mit dem Farbstudententum als Ganzes erfolgen“, ein Weg dazu wäre seiner Meinung nach ein persönlicher Dialog.
Die ÖH Uni Wien lehnt die Einladung auf einen Dialog mit Burschenschaften in einem Antwortkommentar im unimag allerdings gänzlich ab: „In Räumlichkeiten in denen Doppelkopfadler, Dollfuß-Portraits und/oder Ähnliches hängen, wollen wir unsere Zeit nicht verbringen“, meinen die Vorsitzenden. Gründe dafür werden nicht genannt, es wird lediglich erwähnt, dass Rechtsextremismus, Rassismus, Sexismus und Antisemitismus keinen Platz an einer Universität haben sollten. Die Universitätsleitung wird aufgefordert, ein klares Statement abzugeben und sich von deutschnationalen Burschenschaften sowie dem wöchentlichen Burschenschaftertreffen zu distanzieren. „Eine freie Universität kann aber ausschließende Ideologien, wie sie die Burschenschaften eindeutig an den Tag legen, keinen Platz liefern. Eine freie Universität ist eine eindeutig antifaschistische, eine, die ein solidarisches Miteinander einfordert und Ausgrenzung keinen Platz liefert.“ Ausschließend seien die Ideologien deshalb, weil sie Werte wie Sexismus, Homophobie und Rassismus beinhalten würden, meint der Vorsitz der ÖH Uni Wien im Kommentar. Eine Einladung von mokant.at zu einem Streitgespräch zwischen dem RFS (Ring Freiheitlicher Studenten) Vorstand und dem ÖH Uni Wien Vorstand wurde von Seiten der ÖH ebenfalls abgelehnt.
„Die letzte öffentliche Plattform muss ihnen genommen werden“
Zurzeit engagieren sich verschiedene Gruppen von Burschenschaftsgegnern vor Ort des wöchentlichen Treffens für das Couleurtrageverbot und die Verdrängung der Burschenschafter von der Uni Rampe. Mehrere Demonstrantengruppen haben sich vergangenen Mittwoch vor dem Haupteingang der Universität Wien versammelt, während die Burschenschafter von der Polizei vom Café Einstein zum Eingang eskortiert werden. Für Fragen von mokant.at waren letztere allerdings nicht offen: „Wir haben kein Interesse an einem Interview.“
Ausrufe, Parolen und Gesänge von den linken Protestgruppen haben sich schließlich nach knapp 20 Minuten bewährt. Die Burschenschafter werden wieder unter Polizeischutz wegeskortiert, Jubel bricht in der Demonstrantenmenge aus. Unter den Demonstranten befindet sich ein junger Mann von der autonomen Antifa, der erklärt, wieso die Proteste gegen Deutschnationale und das Couleurverbot wichtig sind: „Dass man mit solchen Ideologien und politischen Symbolen nichts zu tun haben will, sehe ich nicht als Bekleidungsvorschrift, sondern als Statement der Uni das besagt: ‘Von diesen Ideologien grenzen wir uns ab, sowas tolerieren wir nicht.’“ Eine andere Demonstrantin ist gleicher Meinung, sie sehe Deckel und Scherpe nicht als Bekleidung, sondern als politisches Symbol, von dem man sich distanzieren solle. „Es wäre wünschenswert, wenn eine postnazistische österreichische Gesellschaft Deutschnationalismus und Faschismus generell ablehnen würde“, meint sie.
Baldige Lösung?
Der Rektor der Universität Wien, Heinz Engl, sieht kein Couleurverbot in naher Zukunft vor. „Für eine solche Vorgangsweise gäbe es keine rechtliche Basis. Die Universität Wien will und kann ihren Studierenden keine Bekleidungsvorschriften machen, solange sie sich im Rahmen der Gesetze bewegen“, meint er in einer Stellungnahme gegenüber derStandard.at. Seine Lösung liegt im akademischen Diskurs der Beteiligten, von dem sich beide Seiten allerdings bei ihrem Zusammentreffen wenig begeistert zeigen. Der RFS (Ring freiheitlicher Studenten) hatte angeboten, im Streit zwischen beiden Seiten zu vermitteln. Falls das für die ÖH nicht in Frage kommen sollte, wäre eine Mediatorenlösung ebenfalls eine Möglichkeit, die vom RFS unterstützt wird, so der Vorsitzende Alexander Schierhuber. Die ÖH Uni Wien lehnte dies allerdings ab, da er „keine neutrale dritte Position inne hat, sondern klar von Burschenschaften geprägt ist“ – laut einer Presseaussendung. Ob sich die Beteiligten letztendlich doch zu einem Diskurs einigen können, wird sich zeigen.
*Anmerkung: In diesem Artikel wurde der gebräuchliche Begriff „Burschenschaft“ auch für katholische Verbindungen verwendet. Der korrektere Ausdruck wäre „Studentenverbindung“ oder „Korporation“.