Tod und Siechtum in Sicherungsverwahrung

Knast

Aus der Freiburger Sicherungsverwahrung gibt es selten Gutes zu berichten – so auch heute nicht. Herr M. verliert ein Bein

Der heute 55-jährige Herr M. wurde mit Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 25.08.1999 wegen versuchten Mordes und versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt. Mit Urteil vom 6.02.2013 wurde nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet, da er an einer chronifizierten Psychose leide und deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen werde (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. vom 7. Mai 2014, Az. 2 Ws 32/14).

 

Seit Juli 2013 war Herr M. mein direkter Zellennachbar und immer mal wieder unterhielten wir uns über seine Situation, denn er hatte – nach eigenem Bekunden – mit dem Leben in Freiheit abgeschlossen. Briefe von Gerichten oder seinem Pflichtverteidiger zerriss er, ohne sie zu lesen, meist sofort nach Erhalt. In den Gesprächen wirkte er wach, voll orientiert, war aber auch ein Einzelgänger, der einfach nur seine Ruhe wollte.

 

Vor einiger Zeit entwickelte sich ein Abszess in der Leistengegend und Herr M. suchte den Anstaltsarzt auf. Erst bekam er eine Salbe, später, so Herr M. habe ein Sanitär der JVA versucht, mit einer Nadel in den Abszess zu stechen, um Eiterflüssigkeit abzulassen. Diese „Maßnahme“ verweigerte Herr M. und konnte stattdessen eine Verlegung in das nahe gelegene St.-Josephs-Krankenhaus durchsetzen. Dort schätzte man die Situation dann so kritisch ein, dass nicht irgendein Krankenpfleger mit einer Nadel herum stochern sollte, sondern M. kam umgehend „auf den Tisch“, sprich, es musste eine Not-OP durchgeführt werden.

Es folgten weitere Operationen und wir sahen dann nur noch einmal kurz Herrn M., bevor er zur „Nachsorge“ in das Gefängniskrankenhaus Asperg (bei Stuttgart) verlegt wurde. Dort schien es dann mit der „Nachsorge“ nicht so ganz funktioniert zu haben, denn nun wurde ihm ein Bein amputiert.

 

Sein Haftraum 136 in der Freiburger Sicherungsverwahr-Anstalt räumte am 13.11.2014 ein Vollzugsbeamter.

 

 

Herr K. verliert sein Leben

 

Wie Herr M., so lebte auch Herr K. auf der Station 2 der SV-Anstalt in Freiburg, er war 64 Jahre alt und jeder Verwahrte hatte schon von ihm gehört. Denn regelmäßig schrie er aus dem Zellenfenster seiner kahlen Zelle: „Sucka!Nachui!“ (russische Schimpfworte). In der UdSSR aufgewachsen, kam er später nach Deutschland. Ich lernte ihn als sehr zurück gezogen lebenden, eigenbrödlerischen Menschen 2013 kennen. Seine Zelle war meist ziemlich verdreckt, er verstopfte auch schon mal sein WC und verrichtete dann so lange die Notdurft weiterhin in das WC und das Waschbecken, bis nach Tagen das Personal mal nachschaute, aber erst nach dem der Gestank schier unerträglich wurde.

 

Bekam er mal eine Tafel Schokolade oder auch ein Stück Kuchen geschenkt, reagierte er mit einem mürrisch-brummelnden „Danke“, drehte sich um und legte sich auf sein Bett.

 

Zuletzt sah man ihn auf dem Flur nur noch im Unterhemd bekleidet, denn sein Hoden war abnorm vergrößert; außerdem waren die Beine dick geschwollen und sichtlich sehr entzündet. Nicht wenige frugen sich, wie man einen Menschen derart sich selbst überlassen konnte. Die Anstalt verteidigt sich mit dem Hinweis, das Justizvollzugsgesetzbuch-5 (dieses regelt den Vollzug der Sicherungsverwahrung) sehe – im Gegensatz zu dem Gesetz für den Strafvollzug – gerade keine Zwangsbehandlung bei Eigengefährdung vor, deshalb habe man über das Vormundschafts-/Familiengericht des AG Freiburg erst einen zivilrechtlichen Betreuer bestellen lassen müssen.

Als dieser dann bestellt gewesen war, kam er auf die Station und ihm genügte ein kurzes Gespräch mit Herrn K., um die Zustimmung zur Verlegung ins Gefängniskrankenhaus Asperg zu erteilen.

 

Allerdings kam die Behandlung letztlich zu spät, denn am 11.11.2014 ist Herr K., wie es heißt, „eines natürlichen Todes“ gestorben.

 

 

Reaktion der Mitverwahrten und Ausblick

 

Als am 12. November die Nachricht über den Tod von Herrn K. und die Beinamputation des Herrn M. die Runde machten, waren gleich die ersten Schreie aus den Zellenfenstern zu hören: „Die bringen uns alle um! Wir werden hier alle sterben!“. Auch am Morgen des 13. November durften sich die uniformierten Beamten entsprechende Vorhaltungen anhören: „Bringt uns doch am besten alle gleich um“, so Herr J.

Die „Station 2“ wird jetzt schon nur noch die „Todesstation“ genannt, denn im Frühjahr 2013 starb in Zelle 135 Herr L.M., Anfang 2014 Herr H. Zuvor wurde von dieser Station kürzlich erst ein Mitverwahrter entlassen, aber erst nachdem er schwer an Diabetes erkrankte, ihm Zehen und zuletzt der Unterschenkel amputiert wurden. Jetzt der Tod von Herrn K., der auch die ganze Zeit auf Station 2 lebte, wie auch die Beinamputation von Herrn M.

 

Aktuell gibt es weitere Verwahrte, die eigentlich nur noch auf ihren Tod warten: Alten Männern von über 70 Jahren wird angesonnen, sie mögen sich doch auf ein mehrjähriges Therapieprogramm einlassen, andernfalls käme eine Freilassung nicht in Betracht.

Andere Verwahrte werden gänzlich sich selbst überlassen, verwahrlosen in ihren Zellen: Ein Untergebrachter nässt und kotet sich regelmäßig ein. Sammelt Lebensmittel, bis sie verschimmeln. Ein anderer Betroffener, den auch das Anti-Folter-Komitee des Europarats in seinem Bericht explizit erwähnt, da die Mitglieder der Kommission ihn selbst in dessen Zelle besucht hatten, der an einer Psychose leidet, bekommt von einem Mitverwahrten wöchentlich die Zelle gereinigt, sonst würde er dort völlig vermüllen.

 

Ohne Zweifel, auch vor den Mauern wird gestorben, erkranken Menschen schwer, dies ist nichts gefängnisspezifisches, jedoch trifft aus Sicht vieler Verwahrter die Anstalt und den Staat eine besondere Fürsorgepflicht, da man ihnen die Freiheit einzig auf Grund von Spekulationen und Mutmaßungen entzieht. Sicherungsverwahrung bedeutet, dass zuerst die Freiheitsstrafe zu verbüßen ist und danach wird man auf unabsehbare Zeit weg gesperrt – so lange, bis Psychiater und Gerichte der Ansicht sind, jetzt sei man „ungefährlich“.

 

Wenn aber 2014 nach wie vor weitgehend unkritisch ein NS-Gesetz (die SV wurde mit Gesetz vom 24.11.1933 eingeführt) vollstreckt werde, so denken viele der davon Betroffenen, dann müsse auch ganz besonders auf Leib und Leben der Gefangenen geachtet werden. Die meisten hier konnten ihre Freiheitsstrafe akzeptieren, stehen zu dem, was sie vielfach an schwersten Strafen angerichtet haben – dafür jedoch haben sie ihre Strafen verbüßt, so ihre Ansicht.

 

Jetzt damit rechnen zu müssen, zum „Krüppel zu werden“, oder gar zu sterben, lässt viele verzweifeln.

 

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV-Abtlg.), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg

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