Thesen des Kommunismus (1/2)

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Es ist nicht so einfach, wie es scheint: Die Kunst der Analyse, Reflexion und Kritik

 

* Der Kommunismus setzt unter anderem auf sich zuspitzende Klassenauseinandersetzungen und die Klassengesellschaft muss für den Kommunismus gebrochen werden. Das kapitalistische Verhältnis zwischen „Kapitalist*in“ (Besitzende) und „Arbeiter*in“ (Lohnabhängige) ist wechselseitig abhängig. Die Kapitalseite benötigt die Menschen, die den Mehrwert erarbeiten und die Lohnabhängigen sind von den prekären, monotonen und befristeten Arbeitsplätzen abhängig. Die strukturellen Klassen definieren sich durch die Stellungen in den gesellschaftlichen Produktionsprozessen und benötigen kein klares Klassenbewusstsein. Die Stellung innerhalb der Produktionsverhältnisse ist maßgeblich für die Zugehörigkeit der jeweiligen Klasse. Die eigene Lebenssituation und der Warenbesitz spielen eine untergeordnete Rolle. Je nach Klassenverständnis, emanzipatorischem Bewusstsein und solidarischem Verhalten sind auch vereinzelt kleine Selbstständige wie Handwerker*innen, Händler*innen, Landwirte und Personen aus der Kreativwirtschaft mitzunehmen. Die heutige ausgebeutete Klasse ist aufgrund unterschiedlichster Einkommen, Vermögen, Besitzverhältnisse, Bildung, Wohnsituationen, Gesundheit, Lebenserwartung und weiteren Lebensumständen ausdifferenziert und mehrdimensional. Aus dieser ökonomischen Individualisierung bildet sich nicht automatisch und zwingend ein gemeinsames Bewusstsein zum Handeln, zum Aufbegehren oder gar zum Aufstand. Im Klassenkampf darf sich die Unterdrückung und Ausbeutung nicht nur in der Zuspitzung der Verhältnisse zwischen Besitzenden und Lohnabhängigen vertiefen, sondern der Staat (samt seinem Bezug auf eine Nation) als Gesamtkapitalist muss ebenfalls in den Klassenkampf einbezogen werden – als abzuschaffendes Bollwerk gegen die Befreiung und als emanzipatorisches Ziel der Überwindung.

 

* Klassenkämpfe sind nicht zwingend Vorzeichen für die Krise und die Schwächung des Kapitals, sondern dienen der Auseinandersetzung zwischen Besitzenden und Lohnabhängigen. Viele gesellschaftliche Widersprüche und Auseinandersetzungen sind auf die Klassenverhältnisse zurückzuführen, aber nicht jeder Konflikt kann auf den Klassenkampf und die Klassenstrukturen wie gesellschaftliche verankerte und mehrdimensionale Erscheinungsformen von Rassismus, Sexismus, Nationalismus, Homophobie und Transphobie reduziert werden.
Von den bestehenden Klassenstrukturen ausgehend, grob eingeteilt in Besitzende und Lohnabhängige, kann nicht zwingend auf ein sich (bald entwickelndes) weit verbreitetes Klassenbewusstsein ausgegangen werden. Die bestehenden ausdifferenzierten Klassenkämpfe sind nicht per se aufständisch oder haben einen revolutionären Inhalt. Die Proletarisierten und Prekarisierten sind nicht zwangsläufig die kämpferische revolutionäre Bewegung. Kommunist*innen müssen von der Überzeugung einen weiten Abstand nehmen, dass diese betroffenen Personengruppen irgendwann aufstehen und sich zur Wehr setzen. Diese können zu den revolutionären Subjekten werden oder wie bis jetzt, eben nicht. Durch reformistische Gewerkschaftsapparate, Auflösungserscheinungen des Klassenbewusstseins und den geringen Aktionismus der Lohnabhängigen finden momentan geringe bis keine ökonomischen Auseinandersetzungen statt, die mensch als Formen des Klassenkampfs bezeichnen kann.
Eine kommunistische Gesellschaft, fernab aller ideologischen Differenzen, gab es im Sinne der Aufhebung von Zwangsverhältnissen zwischen Kapital und Arbeit nie. Der („unmoderne“) Begriff von Klassenkampf ist nicht mit Klassenkrieg zu verwechseln. Das Voranschreiten muss defensiv wie offensiv handlungsfähig sein, aber Rachegefühlen oder Menschenhass darf kein freier und blutiger Lauf gelassen werden. Nicht Körper sind anzugreifen sondern Augen zu öffnen und Herzen zu gewinnen.

 

* Der Kommunismus wird alles grundlegend auf den Kopf stellen. Neben der Abschaffung der kapitalistischen Lohnarbeit und des Arbeitsfetischismus mit all seinen psychosozialen und gesundheitlich negativen Erscheinungsformen, ist die meist von Frauen geleistete Reproduktionsarbeit (Haushalt, Kochen, Kindererziehung, Pflege von Bedürftigen…) in emanzipatorische Formen der Arbeitsaufteilung zu transformieren sowie die Abschaffung des Patriarchats zu erreichen. Bürgerliche Familienkonstruktionen und geschlechtliche Aufteilungen zwischen Lohnarbeit und Reproduktionsarbeit sind mindestens diskussionswürdig. Traditionelle und konservative Rollenbilder und eindimensionale Geschlechterwahrnehmungen werden durch Aufklärung, Diskurse und Fördermaßnahmen aufgeweicht und abgeschafft. Der Kampf um Befreiung muss feministisch aufgeladen werden und die bestehenden Geschlechterverhältnisse spürbar auflösen.

 

* Die zynische Entmenschlichung durch den Kapitalismus wird durch eine humane, respektvolle und lebensbejahende Gesellschaftsform abgelöst. Innerhalb der kapitalistischen Logik und der aktuellen Machtverhältnisse werden Menschen nach Verwertbarkeit und Kosten eingeteilt, bewertet und behandelt. Die individuellen Fähigkeiten, Interessen, Wissen, und Bedürfnisse sind im Kommunismus in den Mittelpunkt des ökonomischen und sozialen Lebens zu stellen. Die Ökonomie muss zivilisiert und solidarisch ausgerichtet sein und allein den Zielen und Ansprüchen aller Lebewesen und der Umwelt zugeschnitten sein. Statt einer Verstaatlichung der Wirtschaft als propagiertes Heilmittel, somit die Manifestierung des Staatsglaubens, müssen die Betriebe durch Menschen selbst angeeignet und von allen gleichberechtigt verwaltet werden. Positive wie negative Erfahrungen und umfassende Fähigkeiten für diese Vorgehensweisen können aktuell und zukünftig in basisdemokratischen Gruppen, Bündnissen, Netzwerken, Hausprojekten und Selbsthilfegruppen gemacht bzw. erworben werden. Nicht nur die Macht über die Produktionsverhältnisse und der Zwang zur Lohnarbeit sondern alle Machtverhältnisse müssen für die Befreiung der Gesellschaft abgeschafft werden. Es reicht allerdings auch nicht, die Produktions- und Machtverhältnisse zu ändern. Die Abschaffung der Warenproduktion und dadurch das Proletariat ist das endgültige Ziel.

 

* Es gibt nicht den Kommunismus, besonders nicht den wahren Kommunismus, sondern unter der Berücksichtigung individueller und differenzierter Betrachtungsweisen, Analysen, Vorstellungen und Reflexionen existieren verschiedene Kommunismen. Eine objektive Wahrheit gibt es nicht und somit auch keine richtige oder falsche Vorstellung vom Kommunismus. Jeder Versuch ein vollständiges Bild des Kommunismus im Hier und Jetzt zu zeichnen wird daran scheitern, dass die Sozialisation im Kapitalismus auch dieses beeinflussen und damit kaputt machen wird. Dank dieser kapitalistischen Erfahrung ist aber auch klar was nicht Teil des Kommunismus sein kann, wenn er wirklich eine post-kapitalistische, befreite Gesellschaft sein soll. Die Normen und Regeln, die den Kapitalismus bestimmen, nämlich Markt, Arbeit, Leistungsprinzip, Geldfetisch, Konkurrenz und die damit einhergehenden Übel sind mit einer emanzipierten Gesellschaft offensichtlich unvereinbar. Ideologiekritische alternative Definitionen und Konzepte des Kommunismus als nicht-marxistisch, theoriefern und antidialektisch zu bezeichnen, ist ziemlich albern und verkrampft, da kein Alleinvertretungsanspruch gegeben ist. Die kommunistische Idee existiert(e) als Utopie und in diesen lassen sich sämtliche Interpretationen, Weltbilder, Wünsche und Träume hineinprojizieren. Somit gibt es keine Objektivität der Geschichte.

 

* Die Idee des Kommunismus muss sich, um wirksam in alle Bereiche hineinzuwirken, permanent reflektieren, transformieren und neu zusammensetzen. Ein starres Zitieren und Betrachten von einzelnen Büchern, gar ein inhaltliches Hineinbeißen ohne das Geschriebene und sich selbst zu reflektieren, darf keine Herangehensweise sein. Zumindest wenn Antworten und Lösungen für heute gefunden werden sollen. Denn das Auswendiglernen und Interpretieren von Textstellen und Sätzen dient nicht einer befreienden Haltung sondern ist der Weg zu Dogmatismus, Einseitigkeit und Beschränktheit. Diese negativen Weltbilder sind eher Bestandteil von reaktionären Bewegungen und Erscheinungsformen wie den religiösen Fundamentalismen. Der Kommunismus ist sicherlich viel und vieles nicht, aber definitiv keine Religion oder ein Ersatz dafür.

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