Persönliche Erklärung: 10.10.2014 Betreff: Rückgabe „Band für Mut und Verständigung 2011“
Sehr geehrte Mitglieder und Vertreter_innen der Mitgliederorganisationen/-institutionen, nach reiflicher Überlegung und Abwägung aller Umstände und Entwicklungen habe ich mich entschlossen, den mir verliehenen Preis „Band für Mut und Verständigung“ wieder zurück zu geben. Schlussendlich war die Räumung der Geflüchteten aus dem DGB-Haus das ausschlaggebende Moment.
Ehrungen für Menschen, die sich für Mut und Zivilcourage gegen rassistische Gewalt einsetzen sowie sich in langjähriger ehrenamtlicher und engagierter Arbeit der interkulturellen Verständigung in Berlin oder Brandenburg verschrieben haben, sollten weder dem Selbstzweck dienen, noch zur reinen Symbolpolitik verkommen und ihre Glaubwürdigkeit verlieren. Der Umgang mit und die Räumung der Geflüchteten aus dem DGB-Haus war für mich das i-Tüpfelchen einer Reihe von Entwicklungen, die von im Bündnis vertretenen politischen Verantwortlichen und ihren Behörden mit zu verantworten sind. Ausdrücklich möchte ich hier aber jene Einzelpersonen und Unterstützer_innengruppen ausschließen, die sich seit langem gegen Rassismus und gleichzeitig für die Geflüchteten, ihre Rechte und Forderungen aktiv und konsequent stark machen, sowie sich tagtäglich direkt und persönlich engagieren. Auch sie dürften nun von diesem Glaubwürdigkeitsverlust betroffen sein. Den Umgang mit den Geflüchteten und die Äußerungen in Pressestatements, die die Lage und Anliegen der Geflüchteten kaum oder gar nicht berücksichtigten, sondern sie stattdessen zum Problem und Störfaktor erklärten, kann ich nicht akzeptieren. Eine Woche „Gaststatus“ ohne Ergebnisse kann diesen problematischen Umgang auch nicht heilen. Wenn es jetzt dazu interne Diskussionen im DGB und in den Einzelgewerkschaften gibt, ist dies durchaus zu begrüßen. Allerdings kommt dies viel zu spät.
Anlässlich des Pogroms 1991 in Hoyerswerda wurde das „Bündnis der Vernunft gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit“ vom DGB ins Leben gerufen. Seit 1993, dem Jahr der de facto Abschaffung des Rechtes auf Asyl, organisierte der DGB die Verleihung des „Bandes für Mut und Verständigung“. 2011 bekam ich diesen Preis vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit für mein Engagement gegen Rassismus und Rechtspopulismus sowie für die Erinnerungsarbeit für die Opfer der NS-Verbrechen überreicht. Meine Bedenken und Kritiken hatte ich insbesondere mit Bezug auf die herrschende Politik, scheinheilige und halbherzige Gedenkpolitik, soziale und rassistische Gesetze und Ausgrenzung sowie die Kriminalisierung antifaschistischen und antirassistischen Engagements in der anschließenden Rede formuliert. Seit dem ist aus meiner Sicht wenig Konkretes an Verbesserungen ersichtlich, dafür aber Vieles schlechter geworden. Symptomatisch dafür steht die heutige herrschende Politik einschließlich ihrer Vertreterinnen in dem Bündnis beim Umgang mit den Geflüchteten und sozial Ausgegrenzten. Ich sehe allenthalben politisches Versagen, Ignoranz gegenüber vorhersehbaren und mit zu verantwortenden Fehlentwicklungen sowie Unwillen, Unfähigkeit, Aussitzen und Zuständigkeitsgerangel bis hin zu Repressionen und Kriminalisierung der davon Betroffenen und ihrer Unterstützer_innen. Ursachen inklusive Verursacher_innen für soziale Fehlentwicklungen und Eskalationen werden verschleiert, Symptome und Betroffene mit Repressionen, Sanktionen und Kriminalisierung belegt.
Es ist bedauerlich, dass gerade der DGB laut eigener Aussagen gegenüber den Geflüchteten und den seit 2 Jahren bestehenden Protesten noch keine einheitliche Minimalposition gefunden hat und keine konkreten Angebote seinerseits machen kann oder will. Sie kamen als Entrechtete und Ausgebeutete. Als besonders prekärer Teil des globalen Proletariats haben sie auf die Solidarität derjenigen Arbeitnehmer_innen gehofft, die stark, weil gut organisiert sind. Dies wurde ihnen aber verweigert. Am Ende wurden sie ohne konkrete Angebote kriminalisiert, ausgegrenzt und geräumt. Ist eine symbolische Besetzung als letztes Mittel von entrechteten und ausgegrenzten Geflüchteten legitim, denen zuvor alle Türen vor der Nase zugeschlagen wurden? Von Geflüchteten, die sich als Arbeiter*innen verstehen, die aber durch das deutsche Asylsystem von Arbeit und gewerkschaftlichem Schutz ausgeschlossen werden? Ich finde ja! Zu keinem Zeitpunkt traten die Geflüchteten aggressiv oder unhöflich auf, sondern lediglich so bestimmt und konsequent, wie es Menschen tun, die ihre Rechte, Teilhabe und Selbstbestimmung einfordern. Dafür hätte der DGB und seine Einzelgewerkschaften nicht nur symbolisch Verständnis zeigen müssen.
Die Gespräche nach dem Beginn der symbolischen Besetzung waren anfangs durchaus freundschaftlich, offen und von Verständnis geprägt. Es wurde sich viel Zeit genommen. Diese Atmosphäre wich mit zunehmender Dauer aber mehr und mehr einer sichtbaren Überforderung und Hilflosigkeit durch die Vertreter_innen des DGB. So verwunderte auch nicht, dass das Angebot einer Unterbringung für 3 Tage in einer Turnhalle einer Jugendorganisation als Herauskomplementierung und „Loswerden“ wahrgenommen wurde, zumal die Geflüchteten extra betont hatten, es ginge ihnen nicht um eine warme Unterkunft. Die Ablehnung dieses Angebotes führte zu der Absage der geplanten gemeinsamen Pressekonferenz durch den DGB am folgenden Vormittag. Erst die Organisation einer eigenen Pressekonferenz durch die Geflüchteten selbst für Freitagnachmittag führte dann noch kurzfristig zu einer Teilnahme des DGB. Von politischer Ebene schien lediglich eine Bundestagsabgeordnete von der Partei DIE LINKE bereit und in der Lage. Sie betonte nicht zu Unrecht, dass ihre Partei zwar die Forderungen und Proteste unterstütze, aber die eigentlich verantwortlichen Regierungsparteien mit Entscheidungsgewalt auf Landes- oder Bundesebene wieder einmal fehlten. Diese ließen sich auch im Laufe der einen Woche „Gaststatus“ nicht sehen. Sie bot dann die Rechtsberatung für den 02. Oktober an, die auf der Pressemitteilung des DGB zu finden war und die durch die Geflüchteten in Folge der Gewahrsamnahme nach der Anzeige durch den DGB und die veranlasste Räumung nicht wahrgenommen werden konnte. Hier wird deutlich, dass es von Seiten des DGB gar keine tatsächlich eigenen Angebote über die kurzzeitige Unterbringung hinaus gegeben hat.
Die von den Geflüchteten dargestellten Vorschläge und Forderungen wie die Abschaffung von Arbeitsverboten, Planung von gemeinsamen, solidarischen Aktionen (Kundgebungen, Demonstrationen) oder Veranstaltungen mit politisch Verantwortlichen und Entscheidungsträger_innen sowie parallel mit Vertreter_innen der Einzelgewerkschaften, Diskussionen über Mitgliedschaften nach dem Hamburger Verdi-Modell, wurden zum größten Teil von vorneherein als undurchführbar abgelehnt. Niemand schien für Gespräche und weitere Terminvorschläge mit den Geflüchteten offen bzw. erreichbar zu sein. In Pressestatements des DGB nahmen Abgrenzungmuster bis hin zu Kriminalisierungsversuchen zu. Hier wurde nicht nur versucht, Arbeitnehmer_innen in „reguläre“ und „irreguläre“ einzuteilen und zu spalten, um eine Nichtzuständigkeit zu legitimieren. Darüber hinaus wurde eine angebliche Störung der politischen Arbeit des DGB durch ihre Anwesenheit im Besucherraum herbeifabuliert und in direkten Zusammenhang mit der Beratungstätigkeit für „Migranten und Wanderarbeiter“ gestellt. Der DGB sollte durch die Arbeit der AG „undokumentierte Arbeit“ sehr wohl über die Rolle von Illegalisierten in einer hierarchisierten, konkurrierenden „Arbeitswelt“ informiert sein, um sie nicht auf diese Weise aus ihrem Zuständigkeitsbereich hinaus zu befördern. Die Formulierung eines gewerkschaftlichen „Wir und die Anderen“ per Staatsangehörigkeit, Aufenthaltsstatus und Erwerbstätigkeit halte ich für nicht akzeptabel. Den Höhepunkt der offensichtlichen Ausgrenzung stellte dann das extra für die Räumung gedruckte Transparent „Flüchtlingen helfen? Ja! UNSER Haus besetzen? Nein!“ dar. Deutlicher konnte „Refugees not Welcome – das ist unser Haus“ nicht ausgedrückt werden. Ich finde das zynisch und geschmacklos.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich habe 2011 lange gezögert den Preis anzunehmen, dies aber unter Vorbehalten getan. Insbesondere nahm ich Bezug auf all jene, "die sich couragiert an vielen Orten des Landes gegen Geschichtsrevisionismus, Nazismus und Rassismus einmischen, ohne dass ihnen je ein Preis verliehen wird. Darunter ausdrücklich Antifa- und Antira-Gruppen, die u.a. daran beteiligt waren, dass der Zug der Erinnerung schließlich doch in Berlin gehalten hat, Nazi-und Rassistenaufmärsche blockiert sowie Abschiebungen und Zwangsräumungen verhindert wurden etc.: "Gruppen, die von der Politik und medial gern kriminalisiert werden.".
Heute gebe ich diesen Preis zurück. Ich tue dies zum Einen, weil auf unterschiedlichsten Ebenen Unterstützer_innen verstärkt pauschal kriminalisiert werden. Auch weil ich feststelle, dass einige Organisationen und Institutionen eine eigene soziale Verantwortung und Zuständigkeit in Bezug auf universale Menschenrechte ablehnen, die Auseinandersetzung scheuen und auf die Verteidigung eigener privilegierter Gruppen- und Machtinteressen reduzieren. Ich tue es aber insbesondere auch, weil die Geflüchteten im Kampf um ihre Rechte und Ungleichbehandlung, eine ganz eigene, beispielhafte Zivilcourage beweisen und dabei trotz menschenunwürdigen Lebensbedingungen die größten Widerstände, Gefahren und Repressionen bewusst in Kauf nehmen. Und das in Zeiten, in denen der Rechtsruck in Deutschland und ganz Europa bedrohlich zunimmt und Rassismus sowie Rechtspopulismus, Hetze gegen Geflüchtete, Roma, Muslim_innen, Menschen mit Migrationsgeschichte öffentlich weiter an Präsenz und Akzeptanz gewinnen. Der Umgang des DGB mit der Bitte um konkrete Solidarität für die Geflüchteten hat dem Kampf gegen Neonazis, Rassismus, Rechtspopulismus und soziale Ausgrenzung sowie für ein solidarisches und gleichberechtigtes Zusammenleben und damit dem eigentlichen Ziel des Bündnisses widersprochen und entscheidend geschadet. Die scheinbaren Ängste vor einem Präzedenzfall für eine erfolgreiche, symbolische Besetzung mit beispielhaftem Ergebnis waren spürbar und wurden formuliert. Von Mut dagegen war nichts zu spüren. Würde ich diesen Preis jetzt noch behalten, würde ich nicht nur mein eigenes Engagement als unglaubwürdig in Frage stellen, sondern auch das Engagement all jener, für den ich diesen einst stellvertretend in Empfang genommen habe.
Mit freundlichen Grüßen
Dirk Stegemann
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mut!
respekt! gut gemacht, dirk.
danke!
danke, dirk!
ein wichtiges zeichen mit einer traurigen - aber wahren - begründung.
olli kornau von den dgb studis bremen, mitglied in der gew
Respekt
auch (unbekannterweise) meinerseits! Ein wohlüberlegter Akt mit deutlichen und ebenfalls wohlüberlegten Worten.