Immer wieder Randale in Mitte: Wie Anwohner mit den Anschlägen am Engeldamm umgehen

Erstveröffentlicht: 
06.10.2014

Kaputte Fensterscheiben, brennende Autos: Immer wieder gibt es Anschläge am Engeldamm in Mitte. Anwohner sind gereizt, aber ohne Angst vor den Linksextremen, die dafür verantwortlich gemacht werden. Innensenator Henkel kündigt mehr Polizeipräsenz an.

 

Auf einigen Balkonen wird gerade gefrühstückt, andere Bewohner trinken noch einen Kaffee oder rauchen. Perfekte Südlage, die Sonne scheint, es ist spätsommerlich warm. 55 hochwertige Lofts gibt es in dem Neubau am Engeldamm, Ecke Adalbertstraße, an der Grenze von Mitte und Kreuzberg. Doch friedlich ist es dort schon lange nicht mehr.

 

Denn im Erdgeschoss hat der Online-Sofa-Händler Sitzfeldt einen Showroom eingerichtet – für eine Couch kann man dort schon mal ein paar Tausend Euro bezahlen. Die Schaufenster des Geschäfts wurden in der Nacht zum vergangenen Mittwoch erneut von etwa 40 vermummten Randalierern mit Pflastersteinen demoliert.

 

Darauf angesprochen, winken die Loft-Bewohner ab. Sie möchten darüber nicht reden. Und geben zu verstehen: Wir wollen da nicht hineingezogen werden.

 

Fünf Angriffe

 

Die Schaufensterscheiben von Sitzfeldt wurden in den vergangenen Monaten fünf Mal zerstört. Eine Ecke weiter am Michaelkirchplatz steht das sanierte Taut-Haus, das ursprünglich als Verbandshaus des Deutschen Verkehrsverbundes errichtet wurde.

 

Es war auch schon mehrmals Ziel von Anschlägen wie am Mittwoch. Die Luxuslofts dort werden zu Preisen von meist mehr als einer halben Million Euro angeboten. Indem sie Fensterscheiben auch von Wohnungen einschmeißen, terrorisieren Linksextreme seit Wochen das Viertel. Sie stecken Baustellenabsperrungen und Autos in Brand, um gegen die Gentrifizierung, gegen „teure Wohnkomplexe und Konsumpaläste“ und die Verdrängung der Menschen aus dem alten Kreuzberg vorzugehen, obwohl der Engeldamm in Mitte liegt.

 

Viele Anrainer sind gereizt. Wer sich im Kiez umhört, bekommt immer wieder zu hören, sie hätten keine Angst. Aber die Befürchtung ist spürbar, dass sie als Bewohner oder Geschäftsleute vielleicht doch ins Visier der Linksradikalen geraten könnten. Sie wollen ihre Namen nicht nennen, sie hoffen: Wir sind nicht betroffen, das soll bitteschön so bleiben.

 

Manche meinen, weil sie schon lange im Kiez wohnen oder arbeiten, genießen sie bei den Autonomen so etwas wie Bestandsschutz. Ein Anwohner kritisiert die Sofa-Billigproduktion im Ausland. „Das ist moderne Globalisierung. Möbel kann man aber auch in Deutschland bauen.“ Dass Steine in Fensterscheiben geschmissen werden, sei nicht akzeptabel, sagt er. Möbel-Geschäft und Taut-Haus würden aber als Prunkbauten eingestuft und stünden daher auf der „Abschussliste“.

 

Staatsschutz hat Ermittlungen übernommen

 

Schon seit Jahren ist die Luisenstadt, wie das Viertel am Engelbecken genannt wird, im Wandel. Dort verlief die Mauer am Luisenstädtischen Kanal entlang über das Engelbecken zur Sebastianstraße. Das hat die Menschen in Ost und West entfremdet. Ende der 1990er-Jahre errichteten Immobilienfirmen dann die ersten neuen Wohnhäuser. Doch die Kaltmieten von bis zu 15 Euro pro Quadratmeter sind mindestens doppelt so hoch wie normalerweise im Viertel. Die meisten Kreuzberger können sich das nicht leisten.

 

Die Veränderungen hat Cheena Riefstahl in den vergangenen zehn Jahren beobachtet. Er betreibt das Café am Engelbecken. „Leute, die hier 20 Jahre gewohnt haben, finden jetzt keine bezahlbaren Wohnungen mehr.“ Dafür macht der Wirt den Senat verantwortlich, weil dieser den sozialen Wohnungsbau eingestellt hat. Verständnis für die Steinewerfer hat Riefstahl nicht. Aber auch keine Angst. „Die wissen, dass wir hier in Containern angefangen haben. Wir sind eine andere Nummer als die Leute, die sich im Viertel teuer eingekauft haben.“

 

Nach den Anschlägen auch auf Polizeiautos will Innensenator Frank Henkel (CDU) nun die Polizeipräsenz erhöhen. Die Polizei werde alles tun, „um diesem unsäglichen Treiben Einhalt zu gebieten“. Der Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen. Trotzdem fühlen sich nicht alle sicherer. Sitzfeldt etwa will sich zu den Vorfällen um sein Geschäft nicht mehr äußern.