Migranten als Tagelöhner in Deutschland Knut Henkel, Hamburg
Sie stehen jeden Morgen an der Strasse und hoffen, dass sie jemand für ein paar Stunden anheuert: Vor allem Migranten aus Osteuropa schlagen sich oft als Tagelöhner durch. Fehlende Sprachkenntnisse führen dazu, dass sie ihre Rechte nicht kennen.
Im Eingang des Sanitätshauses Stolle in Hamburg Wilhelmsburg sitzen zwei Männer und rauchen. Vor ihnen steht ein knallroter Koffer mit dem Schriftzug «Hilti, Werkzeug». Sie wissen noch nicht, ob sie ihn heute brauchen. Hin und wieder blicken sie die Strasse hoch. Von dort kommen in der Regel die Kleinbusse der Unternehmer, von denen sie angeheuert werden, meist für ein, zwei Tage nur. Die zwei Männer sind nicht allein. Rund um den Stübenplatz, den Dreh- und Angelpunkt des Hamburger Stadtteils, stehen morgens ab halb sechs Dutzende von Männern und Frauen. Sie alle warten auf Arbeit.
Wenig qualifiziert
Arbeiten auf dem Bau, als Logistiker in einer der Hallen im Hamburger Hafen, im Landschaftsbau oder als Helfer beim Entladen von Containern – sie werden den meist männlichen Arbeitssuchenden am häufigsten angeboten. «Bei den Frauen sind es oft Jobs im Reinigungsgewerbe oder als Zimmermädchen in Hotels», erzählt Milena Ohnesorge. Die gebürtige Bulgarin hat lange im Generalkonsulat gearbeitet, jetzt studiert sie Sozialarbeit und berät einmal pro Woche Bulgaren in der «BI Bildung und Integration Hamburg Süd GmbH». Nur einen Steinwurf vom Stübenplatz entfernt vermitteln Ohnesorge und ihr Kollege Ali Yüce Sprachkurse und helfen beim Ausfüllen von Anträgen für verschiedene Behörden. Viele der Neuankömmlinge machen sich selbständig. Ohnesorge berichtet, dass viele ein Gewerbe anmelden und nicht wissen, dass sie sich selbst versichern müssen. «Es fehlt oft an grundlegenden Informationen, und so werden Löhne akzeptiert, von denen man nicht existieren kann», sagt die Beraterin.
Zu Ohnesorge kommen Menschen wie der 26-jährige Bine Kosus. Er braucht Hilfe bei einem Antrag für Kindergeld. Auch nach zwei Jahren in Deutschland sind seine Sprachkenntnisse zu gering, um diesen selbst auszufüllen. Immerhin hat er einen festen Job, als Handlanger auf dem Grossmarkt. Jeden Morgen ist der Bulgare für vier Stunden im Einsatz, verdient damit 650 Euro. Mit seiner Frau, seinen Eltern und einem Bruder teilt er sich eine kleine Wohnung. Kosus hat keine Ausbildung. Aber er will den Schulabschluss gemeinsam mit seiner Frau nachholen. Die BI, wie die Einrichtung in Wilhelmsburg gemeinhin heisst, bietet im dafür die nötige Unterstützung.
Doch längst nicht alle Neuankömmlinge aus Bulgarien und Rumänien finden den Weg zu Einrichtungen wie der BI. «Die Männer, die morgens auf dem Arbeiterstrich stehen, kommen nicht, weil sie oft bis in den späten Nachmittag arbeiten, von uns nichts wissen und meist Beratungseinrichtungen skeptisch gegenüberstehen», sagt Ali Yüce. «In Bulgarien gibt es keine kostenlosen Beratungsangebote», ergänzt seine Kollegin Ohnesorge. Oft sind es die Frauen, die den ersten Schritt machen: Sie möchten ihre Kinder nach Deutschland holen, sie in der Schule anmelden oder suchen Tipps bei der Suche nach billigem Wohnraum. Dieser ist auch in Wilhelmsburg knapp. Der auf einer Elbinsel gelegene Stadtteil ist in den vergangenen Jahren aufgewertet worden, weil er zentrumsnah liegt und die Altstadt rund um den Stübenplatz attraktiv ist. Die Mieten sind merklich gestiegen, und für Neuankömmlinge ist wenig Platz. Überfüllte Wohnungen und Treppenhäuser mit zusätzlich angebrachten Briefkästen zeugen genauso davon wie Zelte in Grünanlagen oder Familien, die im Auto schlafen.
Devedzhiev Sali ist einer, der im Grünen schläft. Jetzt im Sommer, wenn die Nächte mild sind und es morgens um fünf Uhr schon hell ist, kein Problem. Bis zum Winter will Sali so viel Geld verdient haben, dass es für ein Zimmer reicht. An diesem Morgen steht er auch an der Strasse, und es sieht danach aus, als habe der kräftige Mann mit dem kahlen Kopf und den abgebrochenen Schneidezähnen im Oberkiefer Pech. Es ist es schon halb sieben, die Sonne klettert gerade über den Dachgiebel eines Gründerzeithauses. Sali wartet immer noch, dass ein Kleinbus oder Pkw anhält, um ihn mitzunehmen. Derbe Arbeitsschuhe mit Stahlkappe und die blaue Arbeitshose weisen ihn unschwer als Arbeiter aus. Sali hat schon alles Mögliche gemacht. In Bulgarien hat er als Lagerverwalter gearbeitet, als Landschaftsgärtner und Erntehelfer war er in Spanien. Aber dort ist derzeit nichts zu holen, und so ist er nach Hamburg gekommen. «Weil ich türkisch spreche und hier viele Türken und Bulgaren leben. Die Sprache ist das Sprungbrett», erklärt er in gebrochenem Spanisch. «Arbeit bitte» sind bisher allerdings die einzigen Worte, die Sali auf Deutsch kann, und er ist einer derjenigen, die von den Beratungs- und Hilfsorganisationen kaum erreicht werden. «Was soll ich da?», fragt er. «Ich brauche Geld, um mich anzumelden, eine Adresse kostet, und eine Wohnung ist teuer – da können die mir nicht helfen», klagt der 57-Jährige.
Schutz vor Ausbeutung
Immerhin kann er Zeugnisse vorweisen, die ihn als Lagerarbeiter mit Gabelstaplerschein ausweisen. Diese muss er aber erst anerkennen lassen. «Dabei kann das Arbeitsamt helfen sowie auch bei der Vermittlung von Sprachkursen», sagt Silvia Gripp vom Jobcenter in Hamburg Eimsbüttel. Im Frühjahr hat sie gemeinsam mit einem spezialisierten Team ein Beratungsangebot auf dem «bulgarischen Nachbarschaftsfest» in Wilhelmsburg organisiert. Mit konkreten Stellenangeboten und fundierten Informationen hat sie da zu vermitteln versucht, warum es oft sinnvoller ist, sich anstellen zu lassen, anstatt sich als Scheinselbständiger durchzuschlagen.
Initiator des Fests, an dem nicht nur alle in Wilhelmsburg ansässigen Sozialeinrichtungen präsent waren, sondern auch das Generalkonsulat, die bulgarischen Kirchen, Krankenversicherungen, Kindergärten und Schulen, war Rüdiger Winter. Der Projektleiter der Beratungsstelle Arbeitnehmerfreizügigkeit beim gewerkschaftsnahen «Verein Arbeit und Leben» kennt die Realitäten in Wilhelmsburg. Er setzt auf Information statt auf Repression. Stammtischparolen wie jene «Wer betrügt, der fliegt», mit der die CSU im letzten Wahlkampf gegen den angeblichen Sozialtourismus von Bulgaren und Rumänen mobilmachen wollte, lehnt er kategorisch ab. «Wir haben es mit einer Europäisierung des Arbeitsmarktes zu tun, und die Menschen haben das Recht, zu kommen und hier zu arbeiten», argumentiert Winter. Mit den Beratungsangeboten versuche man, die Personen vor der skrupellosen Ausbeutung zu schützen. Auch die Kriminalstatistik weist für 2012 lediglich 89 Fälle aus, in denen gegen Bulgaren und Rumänen wegen des Verdachts, unberechtigt Sozialleistungen bezogen zu haben, ermittelt wurde. Das sind im Verhältnis deutlich weniger, als es bei Deutschen der Fall war. Winter weiss, dass Tagelöhner ihre Dienste nicht nur am Wilhelmsburger Stübenplatz, sondern auch in der Hamburger Spaldingstrasse, in Berlin-Neukölln oder in Dortmunds Nordstadt anbieten, es sich also um ein Phänomen handelt, das in Deutschland weit verbreitet ist. Es sind Bulgaren, Rumänen, Mazedonier, Polen, aber auch Spanier, die für ein paar Euro bereit sind, zu schuften. Zwei, drei, manchmal auch vier oder fünf Euro werden pro Stunde gezahlt.