Am Dienstag, den 15.07.2014, wurde Tina S. aus ihrer Wohnung in der Buttmannstr. 18 im Wedding zwangsgeräumt. Das ist sicher nicht die erste Zwangsräumung im Wedding. Aber die erste gegen die es einen breiten Widerstand gab, sowohl von der Mieterin als auch von zahlreichen Unterstützer*innen. Da es nicht die letzte Zwangsräumung im Wedding sein wird, hier der Versuch eines Überblickes, um für das nächste Mal (noch) besser aufgestellt zu sein.
Am Anfang war die Privatisierung
Tina lebt seit rund 40 Jahren in der Buttmannstr. 18. Sie war schon da, als das Haus in den 80er Jahren besetzt wurde - als eine von den drei letzten Mietparteien. Und sie war auch noch da, als das Haus an die GESOBAU, eine städtische Wohnungsbaugemeinschaft, ging. Diese war bis 2007 Eigentümerin. Wäre sie es geblieben, hätte für Tina wahrscheinlich eine Chance bestanden, ihre Wohnung zu behalten. Städtische Wohnungsbaugesellschaften sind zwar auch der Profitlogik unterworfen. Aber wie das Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“ berichtet, besteht bei ihnen zumindest die Möglichkeit durch öffentlichen Druck einzelne Zwangsräumungen zu verhindern.
Doch 2007 wurde das Haus in der Buttmanstraße an private Eigentümer verkauft. Dadurch wurde es wie viele andere Häuser in der Stadt zu einem Spekulationsobjekt. Zu dieser Zeit wollte sich jedoch noch kein Mensch mit Spekulationen und Verdrängung beschäftigen. Auch wenn klar war, wie sich die Mieten entwickeln werden. Die damalige Senatorin für Stadtentwicklung, Ingeborg Junge-Reyer, verneinte deutlich jede Entwicklung hin zur Wohnungsknappheit. Sie tat das, worin ihre Partei, die SPD, schon über einhundert Jahre Erfahrung gesammelt hat – Menschen verraten.
David gegen Goliath
2007 war Tina schon über 30 Jahe Mieterin. Und wie sie es so schön beschreibt, hat sie in ihrer Wohnung gemacht, was Menschen halt so machen: „gelebt, geliebt, gekocht, geweint, Kinder großgezogen und Freunde eingeladen“ [1] Das war den Leuten, die das Haus kauften, natürlich egal. Denn die haben mit Häusern nur eines im Sinn: Profit machen. Und dabei stören Menschen wie Tina, deren Mieten diese Profiterwartungen nicht erfüllen. Das alles lässt sich sehr genau in den Urteilen nachlesen, die die Präsidentin des Kammergerichts mit ihrer Pressemitteilung zum „Fall“ veröffentlichte [2]. Die rechtliche Interpretation ist natürlich vom jeweiligen Standpunkt abhängig. Für uns als Menschen, die das Recht auf Wohnen (nicht einklagbar), höher einschätzen als das Recht auf Profit aus Privateigentum (einklagbar), stellt sich das ganze wie folgt dar:
Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 10. Mai 2010 waren noch zwei Teilbeträge offen: 50,69 und 0,69 Euro. Dennoch hat das Gericht die fristlose Kündigung als zulässig erklärt, weil zu dem Zeitpunkt der fristlosen Kündigung nach Auffassung des Gerichtes mehr als zwei Monatsmieten offen waren. Das Guthaben aus Betriebskostenabrechnungen von 444,93 Euro ließ das Gericht als Verrechnungsguthaben nicht zu.
Hintergrund ist die Privatisierung des öffentlichen Wohnungsbestandes, zu dem auch die Häuser der GESOBAU zählen, im Jahre 2007. Seitdem wurde das Haus insgesamt 3 mal verkauft. Über die gesamte Zeit war ein Rechtsanwalt mit den Mietzahlungssachen beauftragt. Das würdigte das Gericht als zulässige Interessenvertretung der Eigentümer. Vergleichbare Fälle zeigen, dass bewohnte Altbauten gekauft und weiter verkauft werden, um im Laufe dieses Verfahrens Mieter*innen über Mietzahlungskonten zu verunsichern. So kann auch in diesem Fall davon ausgegangen werden, dass die anwaltliche Vertretung auf Entmietung abzielte.
Dennoch wurde die Miete von Tina immer wieder ausgeglichen, aber nicht immer zeitnah. Das Vorgehen des Gerichts, die Guthaben aus den Betriebskostenabrechnungen wegen Eigentümerwechsel nicht anzurechnen, sondern fristlose Kündigungen rauszuschicken, zeigt die Vormachtsstellung der Eigentümerinteressen vor denen der Mieter*innen. Aber auch das Gericht bleibt bei der „Stichtagsregel“ – zum Zeitpunkt der fristlosen Kündigung von Tina waren zwei Monatsmieten offen – und begründet ausführlich in seinem Urteil, warum die Betriebskosten mit dem jeweiligen Eigentümer zu verrechnen sind, der Anwalt aber über die Verkäufe hinweg die Eigentümer vertreten darf und darum immer wieder kehrende Mietzahlungsverzögerungen beim Urteil erschwerend für die Mieterin hinzukommen. Dabei kann es auch dem Gericht nicht ganz entgangen sein, dass gerade die Miete und die Betriebskosten bei der Übernahme durch das JobCenter für Mieter*innen immer wieder mit langen Bearbeitungsfristen und auch Unregelmäßigkeiten verbunden ist. Aber auch das haben Mieter*innen, laut Gericht, zu verantworten.
Zum Zeitpunkt des Urteils am 7. Juni 2011, also lange nach Beginn der Verhandlung am 10. Mai 2010, war das Haus bereits das nächste Mal verkauft. Doch die Interessen des neuen Eigentümers wurden immer noch vom selben Anwalt vertreten. David hätte jetzt einfach seine Schleuder rausgeholt und Goliath umgenietet – und fettich. In der Sage war das eben auch noch einfach, aber was tun wenn aus dem tumben Riesen Goliath eine siebenköpfige Hydra wird?
If the Davids are united
Tina kam schon im Frühjahr 2013 zum Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“. Es gab eine Kundgebung vor dem Büro der Hausverwaltung am Ku'damm. Tina hat dann einen Räumungsaufschub von einem Jahr aufgrund ärztlicher Atteste erreicht. Dieser wurde von der Hausverwaltung gerichtlich angefochten und verkürzt. So kam es zu einem Zwangsräumungstermin für Freitag, den 20.06.2014 um 9.00 Uhr. Doch dieser sollte für die Hausverwaltung nicht so einfach durchzukriegen sein. Als der Hausverwalter eintraf, blockierten bereits 50 Unterstützer*innen den Eingang zum Hinterhaus. Ihm wurde mitgeteilt, dass die Zwangsräumung heute aufgrund der Blockade wohl ausfallen muss [3], woraufhin er ziemlich blass wurde und die Gerichtsvollzieherin und die Polizei anrief. Diese erschienen vor Ort, Umzugswagen und Schlosser kamen ebenfalls. Polizei und Gerichtsvollzieherin boten angesichts der Blockade Gespräche mit Tina S. an. Die Gerichtsvollzieherin bewilligte einen Aufschub von zwei Wochen, bis zum 04.07.2014. Daraufhin zogen Gerichtsvollzieherin, Hausverwalter, Schlosser, Möbelpacker und Polizei unverrichteter Dinge wieder ab. Das war ein überraschender Teilerfolg [4]. Bisher ist jede Blockade einer Zwangsräumung von der Polizei gewaltsam aufgelöst worden.
Mehr Davids, mehr Mobi und Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste
Um der Obdachlosigkeit und dem Verlust ihrer Sachen vorzubeugen, hatte Tina schon Vorbereitungen getroffen. Sie hatte eine Unterkunft gemietet. Allerdings nicht in Berlin, da sie hier, wie viele andere auch, keine geeignete Wohnung gefunden hat. Stattdessen musste sie rund 150km weit weg ziehen. Die Hausverwaltung bot ihr jetzt an, auch für ihre restlichen Sachen den Umzug zu bezahlen. Wohl mit der Hoffnung die renitente Mieterin dann endlich loszuwerden. Die Kosten für den Umzug wähnte sie bei den jetzigen Neuvermietungspreisen wohl gut angelegt. Ganz so einfach war's dann nicht, denn Tina wollte nicht kamplos aufgeben und auch die Davids wurden mehr und mehr. Am Ende konnte Tina auf vier organisierte Unterstützer*innengruppen zählen: „Bündnis Zwangsräumung verhindern [5], das „Hände weg vom Wedding“-Bündnis [6], die erwerbsloseninitiative „Basta!“ [7] und den „Runden Tisch gegen Gentrifizierung in Moabit“ [8]. Und auch die Mieter*innen im Haus und in der Nachbarschaft, in den Kiezläden und Spätis waren auf Tinas Seite. So lief die öffentliche Mobilisierung zu einer Blockade am 04.07.2014 sehr gut an. Ob das jetzt den Verantwortlichen von Gerichtsvollzieherin bis Polizei auch klar wurde, kann nur vermutet werden. Auf jeden Fall wurde die Räumung ein weiteres Mal ausgesetzt und auf Dienstag, den 15.07.2014, verschoben [9].
Die müssen doch alle verrückt sein...
...dachte sich wohl die Gerichtsvollzieherin, und vor allem diese Tina, die einfach nicht einsehen will, dass auch im Wedding die neue Zeit angefangen hat. Und um Tina vor dem verrückt werden zu bewahren, hat sie den Sozialpsychatrische Dienst (SPD) im Wedding alarmiert und dieser wiederum die Polizei. Die ist dann, wie ein Anwohner erzählte, am 14.7, also einen Tag vor dem neuen Zwangsräumungstermin, filmreif in die Buttmanstraße eingefallen und hat Tinas Haus und ihre Wohnung gestürmt [10]. Dabei wurde die Wohnungstür aufgebrochen und die vollkommen erschreckte Tina aus dem Schlaf gerissen. Sie wurde fixiert und das Telefonieren wurde ihr auch verboten. Sie dürfte nicht mit den verwunderten Nachbar*innen reden und noch nicht mal Zähne putzen. Die Amtsärztin vom SPD stand regungslos dabei. Erklärt wurde das Ganze mit einer herbei fantasierten Suizidgefahr.
Das war Wahnsinn mit Methode und verrückt sind alle daran Beteiligten – außer Tina. Glück im Unglück hatte Tina, dass sie doch noch Unterstützer*innen informieren konnte und, dass das Personal des St. Hedwigs-Krankenhauses in Mitte sich nicht instrumentalisieren ließ. In einem anderen Krankenhaus hätte alles ganz anders ausgehen können. Aber dort hatten die Unterstützer*innen Zugang zu Tina, die Ärzte diagnostizierten keine Suizidgefahr und erklärten das auch gegenüber einer Richterin. So kam Tina nach einigen Stunden wieder frei. Doch damit war der Albtraum für Tina nicht vorbei.
Als sie ihren Wohnungsschlüssel, der beim Polizeiabschnitt 36 hinterlegt war, mit zwei Unterstützerinnen abholen wollte, sahen die anwesenden Polizisten darin eine Bedrohung. Dieser begegneten sie mit der ihnen eigenen Art. Aggessiv brüllend verweigerten sie den Zugang für die Unterstützerinnen. Tina wollte nach den Erfahrungen des Tages das Polizeirevier aber nicht alleine betreten. So dauerte es noch eine Weile, aber letztendlich rückte die Polizei den Schlüssel doch raus. Allerdings zeigte sie, auf wessen Seite sie steht und das ihr das Schicksal von Tina offensichtlich ziemlich egal ist.
Kein Plan B – da kommt die Gerichtsvollzieherin einfach nicht
Ganz und gar nicht egal war Tina den rund 150 Menschen, die sich am Morgen des Räumungstermins, am 15.7., um 7.30 vor dem Hauseingang und im Hinterhof von Tinas Wohnhaus versammelten [11]. Alle Unterstützer*innen waren fest entschlossen, die Gerichtsvollzieherin nicht zu Tinas Wohnung durchzulassen [12]. Doch die Gerichtsvollzieherin kam nicht [13]. Warum sie sich nicht blicken ließ, bleibt unklar. Allerdings hieß es, dass mit dem Verstreichen des zweiten Räumungstermins in Tinas speziellem Fall nun zu jeder Zeit geräumt werden könne [14]. Da Tina die Umzugshilfe des Vermieters angenommen hatte, wurde wohl davon ausgegangen, dass sie ihr Recht auf die Wohnung abtritt. Im Angesicht dieser Nachricht wurde damit begonnen, die vorhandenen Kräfte zur Unterstützung auf den Tag aufzuteilen. Unterstützt vom Kiezladen und großen Teilen der Nachbarschaft entstand vor Tinas Haus eine Tafelrunde gegen Zwangsräumungen mit Essen, Trinken, Transparenten und einer guten Stimmung. In den folgenden Stunden konnten viele gute Gespräche mit den interessierten Anwohner*innen geführt werden und es wurde deutlich, dass eine Zwangsräumung in der Buttmannstraße unerwünscht ist. Was auch die anwesenden Zivilbeamten der Polizei mitbekommen haben müssen, die beständig aus dem Hintergrund die Straße beobachteten. Dennoch schwanden im Laufe des Tages die Kräfte und gegen 17.30 rückten auf einmal so massiv Polizeihundertschaften in die Buttmannstraße und in Tinas Haus ein, dass Widerstand unmöglich schien. Innerhalb von einer Viertelstunde war der Spuk dann auch schon wieder vorbei und die Polizisten zogen unter den Beschimpfungen der Menschen auf der Straße ab. Auch wenn sich nun vermehrt Resignation breit machte, blieb die Stimmung alles in allem kämpferisch. Das mussten auch die Zivilpolizisten spüren, die von ein paar engagierten Menschen einfach aus der Straße vertrieben wurden. Alles in allem warteten nun alle auf den frühen Abend, da im Internet gegen 20.00 zu einer spontanen Demo vom U-Bhf Pankstraße aufgerufen wurde.
Laut, laut, laut – die Demo am Abend
Gegen 20.00 setzte sich eine Demo in Bewegung [15], allerdings von der Buttmannstraße aus. Am U-Bhf Pankstraße wurde diese spontane Kurzdemo jedoch von der Polizei mit Schlägen und Tritten gestoppt und auf den Gehweg geprügelt. Um dennoch den Protest gegen die Räumung durch den Kiez zu tragen, wurde kurzerhand eine Anmeldung bei der Polizei eingereicht. Gegen 19.30 setzte sich der Demozug mit rund 250 Menschen wieder Richtung Buttmannstraße in Bewegung. Alles in allem war während der gesamten Demo deutlich die Wut der Teilnehmenden zu spüren [16]. Auch neben der Demo wurde auf den Gehwegen und aus den Fenstern viel Zuspruch geäußert. Dementsprechend hielten sich die Polizisten auch während des gesamten Verlaufs auffällig zurück. Gegen 21.30 kam die Demo dann am Leopoldplatz an.
Fazit – der Kampf geht weiter
Leider konnte Tinas Zwangsräumung nicht verhindert werden. Aber sie wurde zumindest ein weiteres Mal verzögert, wenn auch nur für wenige Stunden. Dennoch haben Vermieter, Polizei, die Gerichtsvollzieherin und die Schergen des SPD erneut auf ekelerregende Weise die Interessen von Mieter*innen mit Füßen getreten. Doch mit den abstoßenden Taktiken auf der Gegenseite steigt auch unsere Wut. Auch wir sind vernetzt, das hat nicht zuletzt die gute Zusammenarbeit zwischen den vier Unterstützer*innen-Gruppen gezeigt. Das Thema Zwangsräumungen ist seitdem im Wedding angekommen. Die Zustimmung zu den Protesten im Kiez macht deutlich, dass hier ein enormes Potential besteht, gemeinsam Zwangsräumungen zu verhindern. Und das macht Mut für weitere Kämpfe.
Anmerkungen
[1] https://zwangsraeumungverhindern.blogsport.de/2014/07/15/statement-on-tina-s/
[2] http://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/kg/presse/archiv/20140716.1715.398470.html
[3] https://zwangsraeumungverhindern.blogsport.de/2014/06/20/zwangsraeumung-nach-blockade-aufgeschoben/
[4] http://youtu.be/BzFpP4iD7gU
[5] http://zwangsraeumungverhindern.blogsport.de/
[6] http://haendewegvomwedding.blogsport.eu
[7] http://www.bastaberlin.de/
[8] http://wem-gehoert-moabit.de
[9] https://zwangsraeumungverhindern.blogsport.de/2014/07/02/zwangsraeumung-am-fr-04-07-verschoben/
[11] https://www.flickr.com/photos/pm_cheung/sets/72157645696895582/with/14475209628/
[14] http://www.jungewelt.de/2014/07-16/055.php
[15] https://linksunten.indymedia.org/de/node/118659
[16] https://www.youtube.com/watch?v=f4uTv0VqliM
in die offensive
Das ist die Situation jetzt. Es kann aber auch möglich sein, die städtischen Wohnungsbaugesellschaften ihrer Profitlogik zu entziehen und sie und den Senat insgesamt unter Druck zu setzen. Genereller Zwangsräumungsstopp, Wohnungen zuerst an Obdachlose und Geflüchtete, soziale Wohnraumversorgung statt Mietprofit bei den Städtischen! Lasst uns das ruhig fordern und immer wiederholen.
Danke für den ausführlichen Bericht.
Handlungsmöglichkeiten
stellt dieses Video vor http://vimeo.com/100604863