Der Kriminalisierungsprozess gegen die No Tav Bewegung aus dem italienischen Susa Tal wird mit der bekannten Schärfe vorangetrieben. Gegen den italienischen seit jeher mit der No Tav Bewegung solidarischen Schriftsteller Erri De Luca soll im Januar wegen Anstiftung zu Straftaten der Prozess gemacht werden. Das entschied am Montag das Turiner Voruntersuchungsgericht, welches nach italienischem Recht für die Zulassung von Anklagen zuständig ist. Anzeige hatte die Gesellschaft LTF (Lyon-Turin Ferroviaire) erstattet. Die ermittelnden Staatsanwälte machen De Luca zum Vorwurf, dass er sich in einigen Interviews offen zur Sabotage des transnationalen Bauprojektes bekannte, das LTF ungeachtet der massiven und lang anhaltenden Proteste als Planungs- und Bauträger vorantreibt. De Luca hat längst angekündigt, dass er im Falle einer Verurteilung nicht in Berufung gehen, sondern die Haft antreten wird. Das mögliche Strafmaß beträgt zwischen einem und fünf Jahren.
Erri De Luca wird der Anstiftung zu Straftaten beschuldigt, weil er im vergangenen Jahr bei einem Interview gesegt hatte, dass das umstrittene Bauprojekt im Susa Tal sabotiert gehöre und dies in weiteren Interviews erneut bekräftigte. Die selben Staatsanwälte, die gegen Erri De Luca Anklage erhoben haben, beschuldigen vier Personen des Terrorismus in Zusammenhang mit einem Sabotageakt gegen eine TAV- Baustelle im Susa Tal. Auch zeichnen sie für hunderte weitere Verfahren gegen Angehörige der No Tav Bewegung verantwortlich, die, soweit es bereits zu Verurteilungen kam, wegen den jenseits von jeder Verhältnismäßigkeit unvorstellbar hohen verhängten Strafen keinen Zweifel daran lassen, dass das eigens zur Bekämpfung der No Tav eingerichtete Turiner Staatsanwälteteam eine Art Vernichtungsfeldzug gegen die Bewegung der Bahngegner aus dem Susa Tal zu führen versucht, der auf eklatante Weise aber auch durch den Versuch gekennzeichnet ist, drastische Verschiebungen strafrechtlicher Grundprinzipien zu vollziehen. So wird ein Sabotageakt als terroristische Tat deklariert und im Fall Erri De Lucas das per se verfassungsrechtlich verbriefte Recht auf freie Meinungsäußerung zum Meinungsdelikt. Die No Tav Bewegung steht völlig kompakt zu allen Verfolgten und Erri De Luca steht unbeirrt zur Bewegung und zu den Ansichten, die er bezüglich der Sabotage des Projekts vertreten hatte.
Die richterliche Entscheidung zu ungunsten Erri De Lucas fiel am 2. Verhandlungstag, der Prozess soll am 28. Januar 2015 eröffner werden. Zu keinem der beiden Verhandlungstermine erschien Erri De Luca persönlich. Bei einem Interview mit La Repubblica wies der Schriftsteller die Vorwürfe von sich. "Ich habe die Sabotage nie verherrlicht. Ich habe lediglich gesagt, dass jenes Bauwerk im Susa Tal sabotiert gehört und zwar aus vielfältigen Gründen". Auch zu seinem Nichterscheinen nahm er deutlich Stellung: "Ich kann meine Gründe nicht in einem Gerichtssaal diskutieren. Das, was in Turin geschieht, betrachte ich als eine missbräuchliche Handlung. Ich bin bereit, überall zu diskutieren und mich mit jedem auseinanderzusetzen, aber nicht in der Rolle eines Angeklagten. Wenn das, was ich gesagt habe, eine Straftat ist, na gut, ich bekräftige es aufs Neue. Ich kann es aber nicht vor einem Gericht erwidern. Ich kann es nicht einmal verhandeln. Meinung ist nicht verhandelbar, sie ist ein nicht verhandelbares Recht". Die Klagezulassung kommentierte Erri De Luca via Fecabook trocken mit den Worten: „Man wird mit im Januar den Prozess machen. Sie werden mich auf die Anklagebank setzen, und ich werde es verstehen, dort zu sitzen. Sie wollen die Redefreiheit auf strafrechtlichem Wege zensieren. Einem den Prozess machen, um Hundert zu entmutigen: diese Technik, die gegen mich Anwendung findet, will mundtot machen. Sie ist ein Schalldämpfer und gehört folglich entwaffnet“.
Untenstehend wird das vollständige Interview mit La Repubblica zusammen mit dem "Interview des Anstoßes" und weiteren Interviews in deutscher Übersetzung dokumentiert. Die Interviews sind chronologisch geordnet. Die Lektüre ist Allen zu empfehlen, die besser verstehen wollen, was in Turin und im Susa Tal vor sich geht und welch' scharfer Verfolgung die No Tav Bewegung ausgesetzt ist.
Erri De Luca - Interview mit The Huffington Post Italien 2.9.2013
https://linksunten.indymedia.org/de/node/116398
Erri De Luca - Interview mit La Repubblica 8.9.2013
https://linksunten.indymedia.org/de/node/116397
Erri De Luca - Interview mit Il Manifesto 6. September 2013
https://linksunten.indymedia.org/de/node/116396
Erri De Luca - Interview mit Le Monde 10.4.2014
https://linksunten.indymedia.org/de/node/116395
Erri De Luca - Interview mit controlacrisi.org 30.05.2014
https://linksunten.indymedia.org/de/node/116394
Erri De Luca - Interview mit La Repubblica 6.6.2014
https://linksunten.indymedia.org/de/node/116393
Erri De Luca - Interview mit La Repubblica 10.06.2014
https://linksunten.indymedia.org/de/node/116399