250 Seiten mit fremdem Zahlensalat: Sachsens Verfassungsschutzbericht 2013

Erstveröffentlicht: 
06.05.2014

So Mancher wunderte sich ja seit dem 4. November 2011, dass der sächsische Verfassungsschutz so gar nichts beigetragen hatte dazu, die Morde der Zwickauer Terrorzelle aufzuklären - gar zu verhindern. Und auch hinterher hatten ausgerechnet die Schlapphüte in Sachsen, wo das Trio Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe untergetaucht war, nichts zur Aufklärung zu erzählen. Und trotzdem veröffentlichen sie jedes Jahr einen "Verfassungsschutzbericht". Am 5. Mai wieder.

 

Ein Papier, das mehr zur Verdunkelung beiträgt als es erhellt. Die Arbeit des Verfassungsschutzes beschreibt es schon gar nicht. Es trägt nur Zahlen zusammen, die irgendwie in die Raster Links, Rechts, Ausländer passen. Um das Wörtchen „extrem“ ergänzt, als wäre damit irgendetwas beschrieben. Auch im Jahr 2014 fehlt der teuren Behörde jegliche Sozialkompetenz. 250 Seiten voller Phrasen und Mutmaßungen sollen "Schwerpunkte und Auswirkungen extremistischer Bestrebungen im Freistaat Sachsen" aufzeigen. Tun sie nicht, auch wenn sie einer Zeitung wie der "Bild" gleich mal Munition liefern, weil man irgendwie eine Zunahme "linksextremer Straftaten" herauslesen kann.

Wichtigster Kritikpunkt: Das Landesamt für Verfassungsschutz unterlässt die simpelste Sorgfalt bei der Quellenangabe. Man verweist zwar bei den Zahlen zur "politisch motivierten Kriminalität" auf das Landeskriminalamt. Aber in den Tabellen wird nicht deutlich, welche Zahlen aus der Polizeistatistik das LfV hier zu "Kriminalität" und "Gewalttaten" zusammen gezogen hat.

"Der neue Bericht ist Beweis für den erfolgreichen Philosophiewechsel im Verfassungsschutz: Das Landesamt für Verfassungsschutz ist ein Fernlicht für eine wehrhafte Demokratie", flötete Innenminister Markus Ulbig am Montag. Ist er nicht. Es ist alter Wein in einem geflickten Schlauch.

Wie der Verfassungsschutz mit Zahlen umgeht, die nicht seine sind, das nahm gleich am Montag Kerstin Köditz, für die Linke Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission für den Geheimdienst, aufs Korn: "Es durchbricht allerdings dieses Schema, wenn der Geheimdienst des Freistaates im Vorfeld seines Berichts Zahlen zur Statistik politisch motivierter Kriminalität präsentiert, die einen drastischen Anstieg linker Straftaten belegen sollen. Um es deutlich auszusprechen: Erstens ist für Straftaten die Polizei zuständig, nicht das Landesamt für Verfassungsschutz. Zweitens ist die Statistik auch der politisch motivierten Kriminalität längst durch den Innenminister vorgestellt worden. Drittens hat die 'BILD' bereits am 30. April eine Analyse der entsprechenden Straftaten in Sachsen publiziert, die deutlich stärker durch Realismus geprägt ist und sowohl auf Ursachen als auch auf regionale Verteilung eingeht. Drittens ist festzustellen, dass sich die Behauptungen des Landesamtes in eine Propagandakampagne einreihen, deren Ursprung im Bundesinnenministerium liegt. Wenn Verstöße gegen das Versammlungsrecht in den behaupteten drastischen Anstieg von Straftaten durch 'Linksextremisten' einfließen, relativieren sich die Zahlen deutlich. Im konkreten sächsischen Fall hieße dies, dass auch die Ermittlungen gegen knapp 400 Personen wegen der Geschehnisse in Plauen am 1. Mai in die Statistik einfließen würden. Viertens ist laut 'Spiegel' (19/2014, S.14) der starke Anstieg linksmotivierter Straftaten wesentlich auf diesen Deliktbereich der Verstöße gegen das Versammlungsrecht zurückzuführen. Fünftens sei darauf verwiesen, dass nach gleicher Quelle Polizeikreise diese Statistik für 'abstrus' erachten."

Die Zahlen, die im Verfassungsschutzbericht wie Arbeit aussehen, sind also nichts anderes als aus der Polizeistatistik zusammengeklaubte Zahlen, die man in das Schema Links / Rechts / Ausländer presst. Dass die Leute, denen die sächsische Polizei, die sich bei Versammlungen im Freistaat selbst nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat, Straftaten bei Versammlungen vorwirft, oft nicht einmal irgendeinem linken Spektrum zuzuschreiben sind, kommt noch dazu. Selbst friedliche Blockaden mit Gewerkschaften und Politikern unterschiedlichster Parteien registriert die Polizei ja in solchen Statistiken - frei nach dem Motto: Was eine Straftat ist, bestimmen wir.

Und je fleißiger die Polizei bei solchen Demonstrationen zählt oder - wie jetzt wieder in Plauen - Gewalt durch den eigenen Einsatz erst erzeugt, umso höher sind diese Zahlen. Für Ulbigs Pressestelle wird das dann zu so einem Satz: "Deutlich gravierender war dagegen der Anstieg linksextremistisch motivierter Straftaten, einschließlich der Gewaltstraftaten. Allein die Gewalt gegen den politischen Gegner verdreifachte sich. Eine Ursache dafür ist die verstärkte Mobilisierung der 'Autonomen', vor allem auf Gegenveranstaltungen zu rechtsextremen Demonstrationen und Veranstaltungen."

Heißt im Klartext: Je mehr gegen die Aufzüge von NPD & Co. im Freistaat demonstriert wird, umso mehr "linksextreme" Gewalttaten zählt die Polizei.

Und der zuschauende Geheimdienst freut sich über einen "Anstieg linksextremistisch motivierter Straftaten", ohne auch nur zu begreifen, dass der seit 2011 verstärkte Protest gegen die Umzüge der Neo-Nazis dazu geführt hat, dass die NPD und ihre ganzen Kameradschaften öffentlich Raum eingebüßt haben.

 

Dass es weder alles Linksextreme sind, die da Gegenprotest organisieren, noch alles Straftaten im Sinne des Strafgesetzbuches, haben wir ja schon erwähnt. Im Ergebnis sorgen hier eine überforderte Polizei und ein völlig desorientierter Geheimdienst dafür, den demokratischen Protest gegen die aufmarschierenden Rechtsextremisten zu diskreditieren. Immer wieder aufs neue.

Dabei weiß Innenminister Markus Ulbig selbst, wo die eigentliche Gefahr für die Demokratie besteht: „Schwerpunkt der Beobachtung bleibt wie schon im letzten Jahr der Rechtsextremismus. Vereinsverbote haben die Szene tief verunsichert. Bei den rechtsextremen Konzerten in Sachsen haben wir einen neuen erfreulichen Tiefstand erreicht.“

Ob das wirklich so ist, darf man bezweifeln. Kerstin Köditz gesteht den sächsischen Schlapphüten jedenfalls wenig Kompetenz zu, überhaupt zu erfassen, was sie erfassen sollen.

"Insgesamt ist zum vorliegenden Jahresbericht zu konstatieren, dass sich an der mangelhaften Analysefähigkeit des Landesamtes, die bereits zu Beginn der Aufklärung des NSU-Skandals eingeräumt wurde, noch immer nichts geändert hat. Besonders deutlich wird dies in dem Kapitel zur Instrumentalisierung des syrischen Bürgerkriegs 'durch Rechts- und Linksextremisten'", sagt sie. Das Kapitel erzählt nur davon, wie die Herren in grau brav am Straßenrand stehen und das Wort "Syrien" auf den mitgeführten Plakaten und Transparenten der diversen Demonstrationen zählen.

"Letztlich wird dadurch nur die Dringlichkeit der Gewinnung sozialwissenschaftlichen Sachverstands für das Amt notwendig. Daran scheint es vor allem noch immer an der Spitze des Amtes zu mangeln", stellt Köditz fest. "Wenn der Präsident Gordian Meyer-Plath im Interview mit der 'Zeit' allen Ernstes von sich gibt: 'Nur mal angenommen, Sie finden eine Webseite mit lauter Gedichten von Ernst Niekisch. Da müssen Sie schon wissen, wer das war. Sonst finden Sie die Seite nicht verdächtig', aus einem faschistischen Theoretiker also kurz einmal ein Lyriker wird, wird diese Behauptung nachdrücklich belegt. Wenn der gleiche Präsident in einer öffentlichen Veranstaltung problematisiert, dass zwar die als kriminelle Vereinigung eingestufte rechte Band 'Landser' angeprangert werde, Kritik an der Rockband 'Die Ärzte' jedoch nicht erfolge, ist das an sich bereits äußerst fragwürdig. Wenn dann in der Antwort auf eine Kleine Anfrage (Drs. 5/13813) zwar eingeräumt wird, es lägen keine Anhaltspunkte für linksextremistische Bestrebungen der fraglichen Band vor, gleichzeitig jedoch darauf verwiesen wird, von dieser sei 'der offen gewaltbefürwortende Titel ‚BGS‘' bekannt, wird die Grenze zur zulässigen Dummheit überschritten. Der genannte Titel stammt nicht von der Band 'Die Ärzte'."

 

Was Ulbig als Neustrukturierung für den Sächsischen Verfassungsschutz feiert, ist nichts als ein Facelifting. Man hat die Außenfassade ein bisschen aufgehübscht - im Inneren ist die Behörde noch genauso orientierungslos wie 2011. Sie hat die Muster, die sie bedienen soll. So wie einige Leute Strümpfe haben, auf denen "links" steht und "rechts".

Und wenn die Polizei in Connewitz ihre Repression verstärkt - wie zum Beispiel bei den Silvesterfeiern - dann kommt jede registrierte Straftat ganz automatisch in die Schublade "linksextrem", auch wenn sie in den meisten Fällen eher in die Schublade "stinkbesoffen" gehört.

Die Folien, die das Innenministerium am Montag präsentiert hat, sind noch einen Zacken schärfer. Etwa wenn über Jahre der starke Anstieg der "Anzahl der Linksextremisten in der Bundesrepublik Deutschland und im Freistaat Sachsen" aufgemalt wird. Dass der Verfassungsschutz unter "Linksextremisten" nicht nur die 340 Autonomen in Dresden und Leipzig zählt, sondern auch 250 Mitglieder diverser winziger linker Splitterparteien und 160 Mitglieder in der Kommunistischen Plattform der Partei Die Linke, macht die Sache nicht besser. Und verwischt vor allem die Verhältnisse. Zu den 2.500 "Rechtsextremisten" zählen zwar auch 1.200 NPD-Mitglieder - aber fast genauso viele Mitglieder der diversen Kameradschaften im Freistaat, deren Gewalttaten in der Regel eben nicht aus Demonstrationsverstößen bestehen - da geben sie sich immer sehr brav. Ihre Opfer überfallen sie lieber daheim in ihrem Kiez - Andersdenkende, Ausländer usw.

Und auch die Grünen sprechen Sachsens Geheimdienst die nötige Professionalität ab, so einen Bericht fundiert zu erstellen.

Miro Jennerjahn, demokratiepolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: "Einen 'Philosophiewechsel' beim Verfassungsschutz erreicht man nicht dadurch, dass man nur davon redet. Diese Veränderung muss sichtbar werden, Herr Innenminister. Der Verfassungsschutzbericht 2013 unterscheidet sich nicht nennenswert von den Berichten der Vorjahre. Insbesondere über die angeblichen 'Neuerungen' nach den Vorschlägen der Harmskommission im vergangenen Jahr findet sich im Bericht keine Zeile. Das gehört nach meinem Verständnis zur Aufklärung der Versäumnisse des Verfassungsschutzes im Zusammenhang mit den Verbrechen des NSU aber zwingend in einen solchen öffentlichen Bericht. Wir vermuten daher, dass der von der Harmskommission vorgeschlagene Philosphiewechsel nicht zu grundsätzlichen Änderungen in der Arbeit des Verfassungsschutzes führt. So fehlt nach wie vor eine grundlegende, verständliche Analyse der Gefahrenlage durch Rechtsextreme."

"Mit Blick auf die aktuelle Diskussion um die Zahlen zu Straftaten mit extremistischem Hintergrund offenbart der Verfassungsschutzbericht eine weitere - seit Jahr und Tag bestehende - analytische Schwäche", stellt Jennerjahn fest. "Anstatt die Zahlen der polizeilichen Kriminalitätsstatistik zu analysieren und zu gewichten - also insbesondere die Fälle von Sitzblockaden aus den Statistiken herauszunehmen - arbeitet der Verfassungsschutz pauschal weiter mit dem Begriff 'Straftaten mit extremistischen Hintergrund'. Auch hier hält man also an altbewährten Arbeitsweisen und Klischees fest."

 

Und Martin Dulig, Vorsitzender der SPD-Fraktion: "Wenn der Staat aber eben diese Zivilgesellschaft unter linksextremistischen Generalverdacht stellt, ist dies ein fatales Signal. Es darf nicht sein, dass Bürger als Linksextremisten eingestuft werden, wenn sie sich friedlich an Blockaden rechtsextremistischer Veranstaltungen oder an Gegendemonstrationen beteiligt haben. - Ich verwahre mich aber gegen eine Kriminalisierung aller Demonstranten."

In diesem Sinne müsse auch der Themenfeldkatalog für politische Straftaten dringend überarbeitet werden, damit nicht jede Sitzblockade in den Statistiken als Straftat mit linksextremistischem Hintergrund gewertet werde. Dulig: „Denn Zivilcourage hat nichts mit Linksextremismus zu tun.“

Der Bericht ist also, wie jeder Vorgängerbericht, eine große, auf 250 Seiten aufgeblasene Augenwischerei. Und eine Nebelbombe, die auch kaschieren soll, wie unprofessionell das LfV weiterhin arbeitet.

Jennerjahns Fazit: "Die Grüne-Fraktion hat anlässlich der Entdeckung der Terrortaten des NSU gefordert, das Landesamt für Verfassungsschutz aufzulösen. Die Vorstellung des Jahresberichts gibt dazu erneut Anlass."