Rechtsextremismus
Die NPD galt lange als Sammelbecken der Neonazis und Skinheads. Doch andere Parteien wie Pro NRW oder "Die Rechten" machen der Partei Konkurrenz. Das zeigte sich auch bei den Aufmärschen am 1. Mai.
Von Stefan Laurin
Die Parolen der Neonazis hallen durch die Straßen des Dortmunder Stadtteils Westerfilde: "Nationaler Sozialismus jetzt", "BRD heißt Kapitulation", "Ali, Mehmet, Mustafa, geht zurück nach Ankara". Und immer wieder: "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus." An den Straßenrändern stehen Anwohner, viele davon Einwanderer, sie protestieren gegen die Rechtsradikalen und betrachteten die Schar der oftmals kahl geschorenen und im Gesicht tätowierten Demonstranten mit einer Mischung aus Wut, Abscheu und Ekel. "Westerfilde hat Probleme, aber diese Nazi-Scheiße wollen wir hier nicht haben", sagt ein Anwohner.
Nach Polizeiangaben waren es 490 Neonazis, die am 1. Mai dem Aufruf der Partei "Die Rechte" gefolgt und durch Dortmund gezogen sind. Im Vorfeld war die Polizei mit dem Versuch, den Aufmarsch zu verbieten, gescheitert. Auch anderswo im Ruhrgebiet hielten rechtsextreme Parteien Mai-Kundgebungen ab. Auch wenn die meisten davon nur mäßig besucht waren, so zeigt es doch, dass das Ruhrgebiet für die Szene eine bedeutende Kampfzone ist.
Nur ein paar Kilometer westlich von der Veranstaltung der "Rechten" hatte die NPD, die bislang unangefochten wichtigste Partei im rechtsextremen Lager, ebenfalls zu einer Demonstration aufgerufen. Doch obwohl zwei prominente Parteigrößen als Hauptredner aufgeboten wurden (der Parteivorsitzende Udo Pastörs sowie der NRW-Landeschef Claus Cremer), bekam die NPD nur knapp hundert Anhänger auf die Straße und konnte ihre Kleindemonstration nur mit großer Verspätung beginnen.
Und während in Dortmund "Die Rechte" fast acht Stunden durch die Stadt ziehen konnte, schleppte sich in Duisburg ein müder Haufen von Nationaldemokraten unter dem Protest der Duisburger dem schnellen Ende seiner Kleindemonstration entgegen.
In Essen protestierte Pro NRW am frühen Nachmittag mit einer "Lichterkette" bei blauem Himmel und strahlendem Sonnenschein gegen Sinti und Roma – und zog damit gerade einmal 80 Anhänger an. Die mussten von der Partei in zwei halbleeren Bussen kostenlos aus dem übrigen Ruhrgebiet und dem Rheinland nach Essen gekarrt werden.
NPD auf dem absteigenden Ast?
So gelang es keiner der rechten Parteien, mit ihren Veranstaltungen eine nennenswerte Anzahl von Demonstranten zu mobilisieren, die nicht ohnehin zum Kreis der treuen Anhänger zählen. Eine Unterstützung durch die Bevölkerung gab es weder für die NPD noch für die Mitglieder von Pro NRW, die außer in Essen auch noch in Duisburg eine Kundgebung abhielten und am Abend vor dem Büro der Duisburger SPD gegen Zuwanderer hetzten. In Duisburg, wo seit Jahren der Konflikt um das sogenannte Problemhaus schwelt, ist diese Zurückhaltung der Bürger keine Selbstverständlichkeit. Noch im vorigen Jahr schlossen sich etliche Duisburger spontan einer Demonstration von Pro NRW an.
An diesem 1. Mai blieben die Rechtsextremisten aller Parteien also weitgehend unter sich. Bemerkenswert ist allerdings, dass zur Demonstration der "Rechten" in Dortmund Neonazis aus ganz Deutschland und aus dem benachbarten Ausland angereist waren. So marschierte ein Niederländer mit Hitlerbärtchen und Tirolerhut, eine holländische Fahne schwenkend, durch Dortmund-Westerfilde.
Der Eindruck einer zahlenmäßigen Überlegenheit der "Rechten", den man bei einem Vergleich der Mai-Kundgebungen im Ruhrgebiet gewinnen konnte, ist kein Zufall. Und wollte man die Mai-Kundgebungen als Barometer für die bevorstehenden Kommunal- und Europawahlen betrachten, so würde das bedeuten, dass sich die NPD auf dem absteigenden Ast befindet: Hundert Teilnehmer bei einer Mai-Kundgebung mit dem Parteivorsitzenden – das ist für eine Partei, die in zwei Landtagen vertreten ist, an Peinlichkeit kaum zu überbieten.
"Die Rechte" hingegen ist dabei, im Lager der Freien Kameradschaften, der Skinheads und militanten Neonazis Anhänger zu gewinnen, eine Klientel, die noch vor wenigen Jahren bei Demonstrationen das Fußvolk der NPD stellte.
SPD, CDU, FDP und Grüne sind kaum wahrnehmbar
Damit ist "Die Rechte" zumindest im Ruhrgebiet eine Gefahr, die von den bürgerlichen Parteien noch immer nicht ausreichend wahrgenommen wird. Es ist fast erschreckend, dass im Nordwesten Dortmunds, in Westerfilde und Teilen Bodelschwinghs, an Laternenmasten fast ausschließlich Wahlplakate der "Rechten" zu sehen sind. SPD, CDU, FDP und Grüne sind hier, wo die Rechtsradikalen ihren Wahlkampf konzentrieren, kaum wahrnehmbar. "Es kann doch nicht sein", sagte ein SPD-Anhängerin aus dem benachbarten Stadtteil Huckarde, die am 1. Mai in Westerfilde gegen Neonazis demonstrierte, "dass unsere Leute hier schon aufgegeben haben."
Immerhin hatten sich vor den Mai-Kundgebungen Grüne, Linkspartei und Piraten mit Gewerkschaftsvertretern und Antifa-Aktivisten zum Bündnis BlockaDo zusammengetan und zu einer Gegendemonstration aufgerufen. Rund tausend Menschen nahmen daran teil. Doch das Hauptziel, den Marsch der Neonazis ganz zu verhindern, hat das Bündnis verfehlt. Wenigstens gelang es, die Demonstration zu verzögern. Und von kleineren Rangeleien abgesehen, hielt das Bündnis auch sein Versprechen ein, friedlich zu protestieren.
Korrekt verlief auch der Polizeieinsatz. Gregor Lange, der Dortmunder Polizeipräsident, hatte vorab gesagt: "Auch Blockaden sind durch die Grundrechte geschützte Demonstrationen und wir werden diese Proteste schützen." Er hielt Wort. Die meisten der friedlichen Blockaden wurde von der Polizei geduldet und, nachdem sie angemeldet worden waren, wie normale Demonstrationen behandelt.
Polizeipräsident kündigte harte Gangart an
Lediglich spontane Blockaden kleinerer Gruppen wurden unterbunden – so auch einige Aktionen von Landtagsabgeordneten der Grünen und der Piraten. So setzte sich etwa die Abgeordnete Daniela Schneckenburger, Dortmunder OB-Kandidatin der Grünen, nach Beginn des Aufmarsches auf die Straße. Nach einem kurzen Gespräch mit der Polizei standen sie und ihre Mitstreiter wieder auf – freilich erst, nachdem Pressefotografen ihren Blockadeversuch dokumentiert hatten.
Gegenüber den Rechten hatte Polizeipräsident Lange eine harte Gangart angekündigt. Nachdem er mit seinem Verbotsversuch gescheitert war, sagte er: "Wir gestehen den Rechten zu, was wir rechtlich müssen. Keinen Millimeter mehr." Tatsächlich löste die Polizei am Vorabend zum 1. Mai eine Kundgebung auf, als dort "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" gerufen worden war, eine Parole, die den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt. Doch als dieselben Worte nur wenige Stunden später am 1. Mai dutzendfach gerufen wurden, schritt die Polizei nicht ein.
Auch beschimpften und beleidigten Neonazis immer wieder Anwohner, außerdem wurde ein Polizeibeamter von einer aus dem Aufmarsch geworfenen Flasche am Kopf getroffen. Offensichtlich schwer alkoholisierte Demonstrationsteilnehmer, die sich zwischendurch an Kiosken mit Bier versorgten, wurden ebenso geduldet wie an Hauswände urinierende Skinheads. Polizeipräsident Lange kündigte nach den Demonstrationen an, es werde Ermittlungen zu den Vorfällen geben.