Brunnen 6/7 ist bedroht

Brunnenstraße
Erstveröffentlicht: 
05.05.2014

Eigentümer verlangt von den Bewohnern des Hausprojekts in Mitte 15 Prozent mehr Miete. Es ist so etwas wie die letzte Trutzburg in der fast vollständig durchgentrifizierten Rosenthaler Vorstadt in Mitte: Doch jetzt soll auch das alternative Hausprojekt Brunnenstraße 6/7 weichen.

 

Das Plakat fällt auf. »Wir bleiben alle - gegen Zwangsräumung und Vertreibung« lautet der Slogan. Solche Aufrufe zu Protesten und Veranstaltungen gegen die Vertreibung von Mietern aus den Innenstadtteilen hängen zahlreich an den Wänden zum Eingang des alternativen Hausprojektes Brunnenstraße 6/7 in Mitte. Ab sofort können die Bewohner der Häuser allerdings selbst bestens Unterstützung gebrauchen. Denn die Gawehn Grundstücksverwaltung, der der Häuserkomplex in der Nähe des Rosenthaler Platzes gehört, hat allen Mietern des alternativen Wohnprojektes angekündigt, dass die Miete zum 1. Mai um 15 Prozent erhöht werden soll.

»Die Steigerung bewegt sich im gesetzlichen Rahmen«, sagt Moritz Heusinger dem »neuen deutschland«. Der Rechtsanwalt vertritt die Mieter der Brunnenstraße 6/7. Klein beigeben wollen die Bewohner des einst bundesweit bekannten Hausprojektes indes nicht. Vorerst zahlen die Bewohner der verschiedenen Hausflügel weiter die Miete in der bisherigen Höhe. Ob die Mietanhebung tatsächlich Bestand hat, hängt von der Auslegung des Vertrags ab, den die Gawehn Grundstücksverwaltung Ende der 1990er Jahre mit dem Verein zum Erhalt der Brunnenstraße 6/7 (VEB 7) geschlossen hat. Über den Verein koordinieren sich die verschiedenen Bewohner der Wohngemeinschaften und Hausflügel.

 

Das Projekt entstand während der Instandbesetzerbewegung in Ostberlin. Bereits 1991 schlossen die damaligen Bewohner Mietverträge mit der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM). Nach jahrelangen ungeklärten Eigentumsverhältnissen kaufte Gawehn den Komplex mit insgesamt neun Häusern für drei Millionen DM. Die Hoffnung des Käufers, die Mieter schnell vertreiben zu können, erfüllte sich allerdings nicht. Stattdessen folgten jahrelange juristische Aus- einandersetzungen. Häufiger kam es zu handfesten Reibereien: Vor 15 Jahren beispielsweise eskalierte der Konflikt zwischen Eigentümern und den Bewohnern schon einmal. Es gab mehrere Polizeieinsätze, einen Teil der Wohnungen und der Kneipen hatte Gawehn zumauern lassen. Nach der Räumung einiger Wohnungen durch Polizisten wurden die Mieter ausgesperrt und durften nur gegen Vorlage ihres Personalausweises in ihre Wohnungen zurückkehren. Zur Verhinderung weiterer Konflikte hatten Bezirkspolitiker damals Eigentümer und Bewohner zu einem Runden Tisch geladen, bei dem sich die Beteiligten auf einen für die Bewohner vorteilhaften Vertrag einigen konnten. »Die Übereinkunft war das Ergebnis eines Kompromisses. Der Hauseigentümer musste seine Profiterwartungen senken«, sagt ein Mitglied des VEB 7 heute.

 

Jetzt muss zunächst geklärt werden, ob der Vertrag, den die Gawehn Grundstücksverwaltung mit den Bewohnern geschlossen hat, die Mieterhöhung nur für zehn Jahre oder grundsätzlich ausschließt. »Die Formulierungen sind an dem Punkt unklar«, sagt Rechtsanwalt Heusinger. Der VEB 7 sieht in diesem Punkt auch eine politische Frage. Gawehn habe vom Senat unter der Bedingung Sanierungsgelder erhalten, sozialverträgliche Mieten und den Erhalt der Brunnenstraße als linkes Wohnprojekt zu ermöglichen. »Mit den Mieterhöhungsschreiben ist unser Projekt von einer kalten Räumung bedroht«, warnen die Bewohner. Sie fordern neue Gespräche mit den Eigentümern. Auf das Angebot haben sie bisher allerdings keine Antwort erhalten. Von »neues deutschland« auf die Mietererhöhungen angesprochen, wollte sich die Gawehn Grundstücks- verwaltung nicht äußern.

 

Die Bewohner sehen das Miet- erhöhungsschreiben als »bewusste Konfrontation«. Sie sagen, dass sie sich wehren wollen. »Wir haben uns damals nicht räumen lassen und werden auch heute nicht gehen!« Dabei setzt das Projekt auch auf die Solidarität in der linken Szene. Erste Reaktionen sind ermutigend: Denn nicht nur andere Hausprojekte, sondern auch Nachbarn signalisieren Unterstützung. Viele lehnen die weitere Umwandlung des einst alternativen Kiezes in eine touristische Eventzone ab. Das hat auch der Kampf um den Erhalt des Schokoladens gezeigt.

 

Unklar ist, ob die Bewohner wie noch vor 15 Jahren auf die Unterstützung des Bezirks rechnen können. Der zuständige Baustadtrat von Mitte, Carsten Spallek (CDU), erklärte auf »nd«-Anfrage, ihm sei der Konflikt nicht bekannt. Eine Vermittlung zwischen Mietern und Gawehn kann sich Spallek aber vorstellen, wenn auch der Eigentümer dazu bereit ist.