Propaganda ist der halbe Freispruch

Erstveröffentlicht: 
16.09.2009

Freispruch trotz Fingerabdrücken

Die Tumulte bei der Festnahme eines Graffiti-Sprayers vor mehr als drei Jahren beschäftigen immer noch die Justiz. Landfriedensbruch und versuchte Gefangenenbefreiung lautete die Anklage gegen einen 28 Jahre alten Mann vor dem Freiburger Amtsgericht: Er habe sich in der Nacht vom 27. auf den 28. Juli 2006 an der Blockade und Beschädigung eines Polizeiautos beteiligt, um den zuvor festgenommenen Mann zu befreien.

 

Gegen Mitternacht hatte damals eine Polizeistreife an der Unterführung nahe dem BZ-Haus in der Basler Straße einen Graffiti-Sprayer entdeckt. Der Mann ließ sich widerstandslos festnehmen, Handschellen anlegen und in einen Polizeiwagen setzen. Nach und nach kamen dann immer mehr Menschen aus Richtung des nahe gelegenen linksalternativen Zentrums KTS dazu, wo gerade ein Festival stattfand. Zunächst diskutierten Protestierer und Polizisten, dann eskalierte die Situation: Rund 100 Personen blockierten schließlich den Polizeiwagen, einige schaukelten ihn hin und her, andere warfen Flaschen. Ein Polizist, der zur Verstärkung erschienen war, wurde durch Scherben schwer am Auge verletzt.

Ob der Angeklagte an dieser Auseinandersetzung überhaupt beteiligt war, musste nun das Gericht klären. An der Heckklappe des Polizeiautos waren nach dem Einsatz Fingerabdrücke entdeckt worden, die die Polizei seiner rechten Hand zuordnete. Im Herbst 2008 hatte der Mann deshalb einen Strafbefehl erhalten, gegen den er Widerspruch einlegte. Im Frühjahr 2009 war es bereits zu einer ersten Verhandlung gekommen, deren Fortsetzung wegen des Mutterschutzes einer Zeugin und der Erkrankung des Angeklagten mehrmals verschoben werden musste. Weil inzwischen die Zuständigkeiten im Gericht gewechselt hatten, musste der Prozess nun mit einem neuen Richter von vorne beginnen.

Insgesamt 14 Zeugen waren geladen, um die unübersichtliche Auseinandersetzung vor mehr als drei Jahren zu rekonstruieren; den Angeklagten hatte bereits bei früheren Fotovergleichen keiner der geladenen Polizisten identifizieren können. Sie alle schilderten einen ähnlichen Verlauf des nächtlichen Einsatzes: Festnahme des Sprayers, Diskussionen, Gerangel, Blockade und Beschädigung des Autos, Flaschenwürfe.

Nach den sich gleichenden Aussagen von fünf Polizeibeamten verzichteten Richter, Staatsanwalt und Verteidiger darauf, die weiteren neun Zeugen auch noch zu hören. Der Angeklagte selbst äußerte sich nicht. Blieb also die Frage, ob die Fingerabdrücke für eine Verurteilung wegen Landfriedensbruch ausreichen würden – einer nicht einfach abzugrenzenden Tat, die die Teilnahme an Gewalttätigkeiten voraussetzt, die aus einer Menschenmenge heraus begangen werden.

Ja, sagte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer: Die Fingerabdrücke müssten an das Auto gekommen sein, als es vom Angeklagten blockiert und geschaukelt wurde. Er forderte eine Geldstrafe von 130 Tagessätzen à zehn Euro. Nein, argumentierte der Verteidiger: Die Abdrücke hätten auch vor den Gewalttätigkeiten, etwa während der Diskussion mit den Beamten, an das Auto gelangt sein können. Er plädierte auf Freispruch.

Dem schloss sich der Richter an. Die Angriffe auf die Polizisten seien zwar "eine Schweinerei" gewesen, und es erscheine plausibel, dass der Angeklagte dabei war. Eindeutig zuordnen könne man ihm das aber nicht: "Es gibt Restzweifel, und die sollten wir ernst nehmen – auch, um uns nicht dem Verdacht auszusetzen, politische Urteile zu fällen", erklärte der Richter zur Begründung des Urteils.