[S] Zwangsmedikation in der Psychiatrie

zwangsmedikation

In mehreren Entscheidungen beanstandete das Bundesverfassungsgericht Anwendung und Ausgestaltung der Zwangsbehandlung mit Psychopharmaka in forensischen Psychiatrien. Nunmehr hatte das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart Gelegenheit sich in mehreren Beschlüssen zur neuen Rechtslage zu äußern.

 

Worum geht es?

 

Der Fall des ehemaligen Psychiatrie-Insassen Gustl Mollath machte einer breiten Öffentlichkeit bekannt, wie es in den forensischen Psychiatrien zugeht; wie dort, auch unter Anwendung von Zwang,gegen die InsassInnen vorgegangen wird. Ein besonders trauriges Kapitel ist die zwangsweise Verabreichung von Psychopharmaka, z.B. hoch potenten Neuroleptika, deren Anwendung teilweise mit starken Nebenwirkungen einher gehen (u.a. Störungen im Bewegungsablauf, Müdigkeit, Krampfanfälle, Sprach-, Gedächtnis- und Schlafstörungen, um nur wenige zu nennen).


Das Bundesverfassungsgericht erklärte, auf Beschwerden von PatientInnen hin, mehrere Landesregelungen zur Zwangsmedikation für verfassungswidrig;mit Beschluss vom 12.10.2010 auch die Regelungen in Baden-Württemberg. Die Grün/Rote-Landesregierung verabschiedete am 20.06.2013 eine Neuregelung, da man weiterhin an dieser “bewährten“ Methode der “Behandlung“von PatientInnen festhalten wolle.


Seitens des BVerfG wurde primär die ungenügende verfahrensrechtliche Sicherung beanstandet; sprich die Anstalten konnten bislang ohne weitergehende Kontrolle und eigenmächtig entscheiden, wem sie Psychopharmaka verabreichten – und es war dann Sache der PatientInnen hiergegen ggf. zu klagen. Allerdings erkannte das BVerfG auch eine“Freiheit zur Krankheit“an;d.h. es zähle zu den Rechten eines/einer PantientIn, auf Heilung zielende Eingriffe abzulehnen, selbst wenn diese nach dem Stand des medizinischen Wissens dringend angezeigt wären.

 

Die Neuregelung

 

Mit der erwähnten Neuregelung für Baden-Württemberg wurde in § 8 UBG (Unterbringungsgesetz BW) festgelegt, unter welchen Voraussetzungen künftig Zwangsbehandlungen zulässig sein sollen. Insbesondere wurde beschlossen, dass die Psychiatrien im Vorfeld die Zustimmung eines Gerichts einzuholen hätten; im übrigen die Zwangsbehandlung stets nur “Ultima Ratio“ (d.h. allerletztes Mittel) sein dürfe, wenn keinerlei mildere Maßnahmen in Betracht kämen.

 

Die Praxis der Anwendung

 

Nimmt man die bislang veröffentlichte Rechtssprechung der Obergerichte, scheint bei den unteren Instanzen, insbesondere den Landgerichten, wie auch den Psychiatrien, die Entscheidung des BVerfG auf taube Ohren zu stoßen.

 

Beispiel 1

 

Mit Beschluss vom 10.10.2013 (Az.4a Ws 207/13(V) ) musste das OLG Stuttgart, dem örtlich zuständigen Landgericht einiges in dessen Stammbuch schreiben: zum einen hatte das Landgericht eine falsche Rechtsmittelbelehrung erteilt. Das ist deshalb von Bedeutung, weil so dem Patienten unmöglich gemacht worden war, rechtzeitig und insbesondere formal korrekt die Entscheidung des Landgerichts, wonach er für die nächsten drei Monate mit Medikamenten zwangsbehandelt werden dürfe, anzufechten.

Und unter Verstoß gegen eine eindeutige gesetzliche Regelung,war dem Patienten kein Verfahrenspfleger beigeordnet worden. Durch die entsprechende Regelung soll nämlich sichergestellt werden, so das OLG, dass dem besonderen Schutzbedürfnis der PatientInnen Rechnung getragen werde - und zwar durch Personen außerhalb der Einrichtung selbst.

 

Beispiel 2

 

Geradezu renitent zeigte sich das selbe Landgericht in dem vom OLG Stuttgart am 21.10.2013 (Az.4a Ws 211/13(V)) entschiedenen Fall. Dort billigte die Strafvollstreckungskammer die Zwangsbehandlung für sechs Monate, obwohl das Gesetz unzweideutig vorschreibt, dass die Anordnung maximal für sechs Wochen gültig sein dürfe. Ferner hatte die Kammer kein Sachverständigengutachten eingeholt, obwohl auch dies das Gesetz zwingend vorschreibt. Geradezu eindringlich,wie wenn ein/e LehrerIn mit einem/einer verstockten SchülerIn spricht, wies das OLG die untere Instanz des weiteren darauf hin, dass es ein verfassungsrechtlich abgesichertes recht der “Freiheit zur Krankheit“ gebe; d.h. wer sich in freier Selbstbestimmung gegen die Zwangsmedikation entscheide, dürfe nicht zwangsbehandelt werden.

Auch sei die Zwangsbehandlung nicht dazu da, den Arbeitsalltag des Psychatriepersonals zu erleichtern. Ferner müsse immer im Vorfeld versucht werden, die Zustimmung der PatientInnen zur Behandlung zu erhalten. Das Gericht sei ferner verpflichtet, den Sachverhalt umfassend zu ermitteln, sowie in seinem Beschluss darzustellen.Alldem werde das Landgericht nicht gerecht,weshalb der die Zwangsbehandlung billigende Beschluss aufzuheben sei.

Der Senat des OLG merkte anschließend an, man gehe davon aus, dass angesichts der verfahrens- und verfassungsrechtlichen Anforderungen, die Messlatte tatsächlich sehr hoch liege und in Zukunft Fälle von Zwangsbehandlung zurückdränge.Dies entspreche der verfassungsrechtlichen Lage und sei von den Gerichten zu akzeptieren.

 

Bewertung der OLG-Entscheidungen

 

Vorauszuschicken ist, dass im erstgenannten Fall der Beschwerdeführer anwaltlich gar nicht vertreten war und er schlicht Glück hatte, da er sich selbst zu artikulieren vermochte.

Was aber ist mit jenen zwangsbehandelten PatientInnen, die weder anwaltlich vertreten, noch dazu in der Lage sind, sich selbst zu wehren? Die also schlicht untergehen und dann, man kann es nicht anders sagen, sabbernd, medikamentös ruhig gestellt und betäubt, in ihren Klinikbetten vor sich hin vegetieren?

 

Es gibt eine sehr engagierte Anti-Psychiatriebewegung, welche sich mit guten Gründen gegen jede Form der Zwangsmedikation ausspricht. Die aktuelle Rechtssprechung des OLG gibt einen Einblick in den Psychiatrie-Alltag, die die Forderungen der Anti-Psychiatriebewegung um so begründeter erscheinen lassen, denn zumindest in den unteren Instanzen, also in den Psychiatrien vor Ort und zumindest den Landgerichten, scheinen selbst Entscheidungen des BVerfG, wie auch des Gesetzgebers, völlig unbeachtet, so dass letztlich ein wirksamer Schutz der dem Psychiatriepersonals hilflos ausgelieferten PatientInnen nur gewährleistet ist, wenn Zwangsmedikation prinzipiell verboten wird.

 

 

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA (SV-Abtl., Hermann-Herder-Str.8, 79104 Freiburg

 

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