Tendenziöse Gutachten in Strafsachen?

Raus aus dem Knast!

Ob Angeklagte oder Verurteilte, beide sind in existenzieller Weise von psychiatrischen und psychologischen Sachverständigengutachten abhängig. Wie ist es um deren Unabhängigkeit bestellt? 

 

Wer kann als Sachverständige(r) vor Gericht auftreten?

 

Nach der Kommentarliteratur obliegt die Beurteilung eines Angeklagten auf dessen Schuldfähigkeit hin im wesentlichen den Psychiatern, und nur ausnahmsweise soll hier ein Psychologe tätig werden dürfen (Tondorf/Tondorf, „Psychologische und psychiatrische Sachverständige in Strafverfahren“, Rz. 222, 3. Auflage). In diese Richtung tendiert auch die forensische Psychiatrie, z.B. in Gestalt eines ihres prominentesten Vertreters, Professor Dr. Kröber. Offener ist man im Bereich der Beurteilung der Kriminalprognose, wenn es also darum geht zu prüfen, ob es verantwortet werden kann, eine (n) PatientIn oder eine (n) Gefangene(n) auf Bewährung frei zu lassen. Hier hänge es, so Bundesverfassungsgericht und BGH von den Umständen des Einzelfalles ab, ob Psychologen oder Psychiater die Begutachtung übernehmen (a.a.O., Rz. 229). Auch die Literatur ist hier neutraler als im Bereich der Beurteilung der Schuldfähigkeit (a.a.O., Rz. 230).

 

Seit nunmehr 13 Jahren können PsychiaterInnen nach entsprechender Fortbildung das Zertifikat „Forensische Psychiatrie“ erwerben (Venzlaff/Foerster Hrsg., „Psychiatrische Begutachtung“, S. 12, 4. Auflage).

 

Wie unabhängig sind die Sachverständigen?

 

Venzlaff und Foerster, beide renommierte Vertreter ihres Fachs, thematisieren durchaus „Rollenkonflikte“ (Venzlaff/Foerster, a.a.O., Seite 11), die auftreten können. Sei es, dass man sich überidentifiziert mit dem Probanden, oder aber mit dem Ankläger oder dem Gericht. D.h. es scheint durchaus ein Problembewusstsein vorhanden zu sein.

Eine aktuelle Studie (vorgestellt in: „Deutsches Ärzteblatt“, Heft 6/2014, Seite A 210 – A 212) des Doktoranden Benedikt Jordan und Frau Prof. Dr. med Ursula Gresser von der Ludwig-Maximilian-Universität München, lässt jedoch den Verdacht aufkommen, dass tendenziöse Gutachtenerstattung zumindest kein Randphänomen ist.

 

Jordan und Gresser befragten rund 250 in Bayern tätige Sachverständige, darunter 48 PsychiaterInnen und 41 PsychologInnen. Immerhin über 80% der PsychiaterInnen erstatten mehr als 12 Gutachten pro Jahr vor Gericht. Bei 30% der PsychiaterInnen und 48% der PsychologInnen machen die durch die Gutachten erzielten Honorare über die Hälfte des Einkommens aus.

 

Während immerhin rund 30% PsychiaterInnen in Einzelfällen bei einem Gutachten die gewünschte Tendenz des Gutachtens signalisiert wurde, ist dies bei PsychologInnen in über 42% der Fall. Und immerhin 34% der PsychiaterInnen gaben an, in Einzelfällen oder häufig aus dem Kollegenkreis gehört zu haben, das eine Tendenz oder Vorgabe erfolgt sei; bei den PsychologInnen sogar über 57%.

 

Hieraus folgern Jordan/Gresser, dass die Neutralität gefährdet sei. Schon die „Signalisierung einer Tendenz“ gefährde die Neutralität der Gutachtenerstattung; erst recht, wenn dann noch die wirtschaftliche Abhängigkeit hinzu trete, was zumindest dann gegeben sei, wenn der Anteil der Gutachtenhonorare mehr als 50% der Einnahmen ausmache.

 

Bewertung und Ausblick

 

Insbesondere bei Inhaftierten, aber mitunter auch bei deren VerteidigerInnen wird schon seit jeher gemutmaßt, dass es seitens Gerichten oder Staatsanwaltschaften Vorgaben an die Gutachter gebe. Hier wurde nun erstmals der entsprechende Nachweis geführt; und zu dem nun erforschten Hellfeld muss man sicher auch noch ein gewisses Dunkelfeld hinzu rechnen.

 

Wie oftmals einseitig auf (vermeintliche) Defizite von Gefangenen geschaut wird, weist sehr eindrücklich der Psychotherapeut Michael Stiels-Glenn („Die Würde des Strafgefangenen ist antastbar!“, in: „Die Würde des Menschen ist antastbar?“, Band 28 der Schriftreihe des Instituts für Konfliktforschung, Hrsg. Rode/Kammeier/Leipert) nach. Ein Maßregelpatient frug, nachdem er von einer offenen in eine geschlossene Abteilung zurück verlegt wurde, nach einem halben Jahr mehrfach, wann er wieder in die offene Abteilung komme. Dies, so Stiels-Glenn, habe dann die Klinik pathologisiert und dem Patienten vorgeworfen, er habe keine Geduld.

 

Ein wegen eines Tötungsdelikts einsitzender Gefangener habe mehrfach geäußert, er wolle „am liebsten jemanden in die Fresse hauen“, was dann, so Stiels-Glenn die JVA für einen weiteren Beweis seiner Gefährlichkeit halte, anstatt zu sehen, dass der Gefangene sich hier öffne und lediglich darüber rede, was er tun könne, aber gerade nicht umsetze.

 

Diese beiden kurzen Beispiele sollen illustrieren, wie ein und die selbe Verhaltensweise ganz unterschiedlich bewertet werden kann, so dass dann auch in der Situation der Begutachtung der/die Sachverständige keine größeren Schwierigkeiten haben wird, das gewünschte Ergebnis entsprechend begründen zu können.

 

In seiner Dissertation wies Michael Alex („Nachträgliche Sicherungsverwahrung – ein rechtsstaatliches und kriminalpolitisches Debakel“, Diss. 2009 an der Ruhr-Universität), anhand von aus Rechtsgründen aus der Haft entlassenen Kandidaten für die nachträgliche Sicherungsverwahrung, nach, dass von 46 durch Sachverständige als extrem gefährlich beurteilte Gefangene, immerhin 30 bis zum Zeitpunkt der Untersuchung durch den Promoventen nicht erneut straffällig geworden sind. Für seine Publikation, dies nur nebenbei, musste sich der Doktorand dann 2008, als er erste Ergebnisse publizierte, in den Medien beschimpfen lassen.

 

Angesichts des aktuellen kriminalpolitischen Klimas, so möchte die CDU/SPD-Koalition laut Koalitionsvertrag die nachträgliche Therapieunterbringung (als Ersatz für die konventionswidrige nachträgliche Sicherungsverwahrung) ausbauen, ist freilich nicht zu erwarten, dass Ergebnisse wie die aus München, oder die von Dr. Alex auf allzu viel Beachtung stoßen werden.

 

Da ist es dann ein fast schon zynisch anmutender Streich, den das Schicksal spielt, wenn der Bayrische Rundfunk davon berichtet, dass ein forensischer Psychiater, der regelmäßig dafür sorgte, dass Menschen dauerhaft in Psychiatrien und Gefängnissen eingewiesen wurden, nun selbst im Verdacht stehe, ein psychisch kranker Straftäter zu sein (http://www.br.de/nachrichten/unterfranken/gutachter-aschaffenburg-kindesentzug-100.html), vgl. auch: http://www.main-netz.de/nachrichten/politik/politik/art4204,2933708.

 

 

Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV-Abtlg.), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg

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