Angriff auf Antifaschisten: Notwehr mit Vollgas?

Landgericht in Freiburg: Plädoyers im Fall Florian S.
Erstveröffentlicht: 
29.01.2014

Handelte Neonazi Florian S. aus Notwehr, als er mit seinem Auto in eine Gruppe Linksaktivisten fuhr? Sein Verteidiger fordert einen Freispruch, Staatsanwalt und Nebenklage eine Verurteilung. Nun muss das Landgericht Freiburg den Fall entscheiden - zum zweiten Mal.

 

Von Benjamin Schulz

 

Fuhr Florian S. mit seinem Auto in eine Menschengruppe, um politische Gegner zu verletzen? Oder versuchte er in Notwehr panisch, sich mit dem Wagen vor einem Angriff zu schützen? Diese Fragen beschäftigen das Landgericht Freiburg, das am Freitag eine Entscheidung verkünden will.

 

Wesentlich für das Urteil dürfte sein, ob S. sich mit seinem Wagen tatsächlich verteidigen wollte. Wie sehr seine rechte Gesinnung bei der Beantwortung dieser Frage gewürdigt werden muss - darüber gehen die Meinungen auseinander.

 

Der Fall beschäftigt die Justiz schon seit Jahren. Am 1. Oktober 2011 saß S., damals Mitglied der "Kameradschaft Südsturm Baden", in seinem Auto auf einem Parkplatz nahe der Autobahn 5. Die Kameradschaft hatte zu einer Party geladen, dorthin sollte S. Gleichgesinnte lotsen. Linksaktivisten hatten von dem Treffen erfahren. Vermummt, mit Quarzsand-Handschuhen und Reizgas ausgerüstet, liefen sie auf das Auto von S. zu, um ihn anzugreifen. S. gab Vollgas. Der Wagen erfasste einen Aktivisten, der ein Schädel-Hirn-Trauma erlitt und bis heute an den Folgen leidet.

 

S. habe aus Notwehr gehandelt, sagte Pflichtverteidiger Ulf Köpcke in seinem Schlussplädoyer. Er fordert einen Freispruch, wie ein Gerichtssprecher mitteilte. Köpcke selbst war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Sein Mandant hatte den ganzen Prozess über zu den Vorwürfen geschwiegen.

 

Nebenklage kritisiert schlampige Ermittlungen


"Das Verhalten des Angeklagten war haarscharf an der Grenze zur Notwehr, aber ein bisschen darüber hinaus", sagt Staatsanwalt Florian Rink. Er forderte eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung. Zudem solle S. der Führerschein entzogen werden; ob er ihn zurückerhält, soll frühestens nach sechs Monaten geprüft werden können.

 

Die Vertreter der Nebenklage plädierten darauf, S. wegen versuchter Tötung zu verurteilen, nannten aber kein spezifisches Strafmaß. Anwalt Jens Janssen, der auch den bei der Tat verletzten jungen Mann vertritt, kritisierte unter anderem die schlampige Arbeit der Ermittler, vor allem der Polizei.

 

Janssen appellierte in seinem Plädoyer an das Gericht, die Motivation des Angeklagten bei der Tat und dessen gesellschaftliche Auffassungen zu berücksichtigen. Alles andere sei ein Kunstfehler, den das Landgericht schon einmal begangen habe.

 

Damit spielte Janssen darauf an, dass der Fall schon zum zweiten Mal vor dem Landgericht verhandelt wird. In einem ersten Verfahren sprachen die Richter S. im Juli 2012 frei. Er habe sich auf dem Parkplatz in einer Notwehrsituation befunden.

 

Statt die Parkplatzausfahrt nach rechts zu nehmen, wo niemand stand, sei S. zwar auf die linke Ausfahrt zugerast, in Richtung der Antifa-Gruppe. Eine für Notwehr erforderliche Verteidigungshandlung konnte das Landgericht darin zwar nicht erkennen. Als Rettung für S. erwies sich damals aber Paragraf 33 des Strafgesetzbuches: "Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft." Es sei nicht auszuschließen, dass S. beim Anblick der Vermummten in Panik geraten sei, so die Freiburger Richter. "Im Zweifel für den Angeklagten" habe auch für Neonazis zu gelten - deshalb der Freispruch.

 

Bundesgerichtshof hob Freispruch auf


Nebenklage und die Staatsanwaltschaft gingen in Revision. Der Bundesgerichtshof (BGH) kippte das Urteil im April 2013. Die Bundesrichter befanden, das Landgericht hätte angesichts der Vorgeschichte des Angeklagten die Frage nach dem "erforderlichen Verteidigungswillen" erörtern müssen. Der BGH verwies das Verfahren an eine andere Kammer des Landgerichts zurück, seit November wird erneut verhandelt.

 

Tatsächlich fällt es schwer, die Tat isoliert von der Vorgeschichte zu betrachten. S. ist ehemaliger Landtagskandidat der NPD, wurde wegen Volksverhetzung und Zeigens von Nazi-Symbolen verurteilt. Und wenige Tage vor der Tat schrieb S. auf Facebook: "Ich warte ja nur drauf, dass einer mal angreift! dann kann ich ihn endlich mal die Klinge fressen lassen!" Und, wenig später: "das schöne daran, es wäre sogar notwehr!"

 

Für juristische Verhältnisse ist die BGH-Entscheidung eine ziemlich deutliche Ansage. Nebenklageanwalt Janssen sieht darin eine Mahnung an die Freiburger Richter: "Die Vorgeschichte und die Tat sind keine zwei Paar Stiefel."

 

Janssen ärgert, dass die Staatsanwaltschaft im Vergleich zum ersten Verfahren eine mildere Strafe forderte - damals wollten die Ankläger für S. eine Freiheitsstrafe von drei Jahren. "Das ist von der Staatsanwaltschaft ein Salto rückwärts", sagt Janssen.

 

Staatsanwalt Rink begründet seine neue Forderung mit den "maßgeblichen rechtlichen Vorgaben des BGH". Das Verhalten von S. nach der Tat lässt sich demnach vereinfacht gesagt so deuten, dass er sich bemüht hat, den Tod des Opfers zu verhindern. S. hatte kurz nach der Tat Kontakt zur Polizei aufgenommen und darauf hingewiesen. So kann der Parkplatz-Vorfall nicht als versuchter Totschlag, sondern als gefährliche Körperverletzung gewertet werden - und dafür liegt der Strafrahmen niedriger.

 

Wie auch immer die Entscheidung des Landgerichts am Freitag ausfällt, die Nebenkläger werden sie nicht direkt mitbekommen: Sie wollen der Urteilsverkündung fernbleiben. In einer persönlichen Erklärung hieß es, als Antifaschisten hätten sie von der Justiz und dem Gericht nichts zu erwarten.