Geisterstunde

Erstveröffentlicht: 
01.01.2014

In Hamburg-Wilhelmsburg soll die erste komplett aus öffentlichen Mitteln finanzierte Waldorfschule entstehen. Von Christoph Horst.

 

Waldorfpädagogik hat es sich zum Auftrag gemacht, Kinder zur intuitiven Erkenntnis höherer kosmischer Weisheiten zu befähigen. Dabei wendet sie Methoden des mittelalterlichen Okkultismus an, etwa die Trennung der Kinder nach Temperamenten (sanguinisch, phlegmatisch und so weiter) und die Beurteilung der Schüler nach dem in einem früheren Leben Erfahrenen. Der Bund der Freien Waldorfschulen schreibt vom »Einblick in die Beziehung des Menschen zu vorgeburtlichen und nachtodlichen Daseinsformen sowie dem Gang durch aufeinanderfolgende Erdenleben (Reinkarnation und Schicksal)«.

 

Wer will, kann Tausende Seiten okkultistischer Literatur des Begründers der Waldorfschulen, Rudolf Steiner (1861–1925), lesen, um den Wahnsinn dieser, nun ja: Lehre kennenzulernen. Man kann sich aber auch mit irgendeiner nach dem Zufallsprinzip gefundenen Aussage Steiners begnügen, um das Wesen der Anthroposophie als dem Fundament der Waldorfpädagogik zu erfassen. Beispielsweise aus Steiners Allgemeiner Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik: »Wir wollen uns bewußt werden, daß das physische Dasein hier die Fortsetzung des Geistigen ist, daß wir durch Erziehung fortzusetzen haben dasjenige, was ohne unser Zutun besorgt worden ist von höheren Wesen … Dieses Gefühl aufnehmen, daß man in aller Erziehung eine Art Fortsetzung der vorgeburtlichen übersinnlichen Tätigkeit bewirkt, dies gibt allem Erziehen die nötige Weihe, und ohne diese Weihe kann man überhaupt nicht erziehen.« Oder, noch ein wenig gruseliger, etwas aus dem Biologieunterricht: »Undinen oder Wassergeister sind Elementarwesen, die als Abschnürung aus der Hierarchie der Erzengel hervorgegangen sind … Normalerweise sind sie ganz eingeschlossen in den Bereich des Blatthaften. Sie können aber auch über diese Grenzen hinauswachsen, streben eigentlich immer danach, und dadurch wachsen sie sich zu riesenhafter Gestalt aus und werden dann zu Nebelriesen.«

 

Sowas glauben Anthroposophen feinstofflich-meditativ erkennen zu können. Steiners Seherei ist für Waldorflehrer unumstößliche Wahrheit, weil mystisch gewonnen. Man hätte, bei weiterführendem Interesse, zum Beispiel im Sommer am Institut für Waldorfpädagogik, Witten/Annen, den Vortrag der Anthroposophin Cornelia Klose hören können, die Waldorflehrern Anregungen zur Kommunikation mit Naturgeistern und Elementarwesen gab. Es handelt sich bei derlei also um eine hochesoterische Ideologie, die man je nach Einstellung lächerlich oder gefährlich finden kann.

 

Das wissen auch der Grundschullehrer André Sebastiani und seine Mitstreiter von der verdienstvollen Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP), die gegen einen geplanten Schulversuch in Hamburg- Wilhelmsburg protestieren. Dort soll im Schuljahr 2014/15 eine vollständig aus öffentlichen Mitteln finanzierte Waldorfschule entstehen.

 

Elf aus allgemeinen Steuern teilfinanzierte Waldorfschulen hat Hamburg bereits. Die durchweg esoterikfreundliche »Taz« sieht in dem Vorhaben nicht weniger als das »Zukunftsmodell für das Bildungswesen«, für Sebastiani hingegen ist es ein »Angriff auf die Wissenschaft«.

 

Natürlich ist es sinnvoll, sich gegen den Waldorfwahn zu wehren und ein weiteres Mal über den irrationalen Geistertanz dieser Pädagogik aufzuklären. Allerdings interessieren kritische Hinweise potentielle Waldorfeltern, die mit ihrem Anmeldeverhalten über Sein oder Nichtsein einer Schulform entscheiden, wenig. Waldorfeltern geben ihr Kind nicht in spirituelle Hände, weil sie aus ihnen Heilsbringer oder erfahrene Mystiker machen wollen, sondern schlicht, weil dort ein elitäres Bürgertum viel Schulgeld bezahlt, um den eigenen Nachwuchs vor nicht so wohlhabenden Kindern aus sogenannten bildungsfernen Schichten fernzuhalten. Im Interview mit dem »Deutschlandradio« verriet Hamburgs Landesschulrat Norbert Rosenboom, der selber an einer öffentlichen Schule unterrichtet hat, daß er die öffentliche Waldorfschule propagiert hat, weil der Stadtteil Wilhelmsburg dieses finanzstarke Publikum »braucht«, womit er gleich auch zu erkennen gab, wen er dort nicht so gern haben möchte.

 

Rosenboom schwebt eine Lightversion von Waldorf vor, pragmatisch und entideologisiert. Wichtig ist ihm vor allem der werbewirksame Name. Der wird vom Bund der Waldorfschulen vergeben, für den Waldorf und Anthroposophie konsequenterweise wesensmäßig zusammengehören. Die Gestaltung von Details wird derzeit in einer Arbeitsgruppe ausgelotet. Denn wenn Hamburg nun die volle Finanzierung einer solchen Einrichtung übernimmt und nicht, wie bisher an Waldorfschulen der Fall, nur einen Teil der Kosten trägt, müßte nach Schulgesetz der Zugang für alle Schüler ermöglicht werden. Damit aber hätte die Waldorfschule ihr stärkstes Argument – Absonderung kommender Führungskräfte von denen, die nicht nur Hamburg nicht zu brauchen glaubt – verspielt. Die grünen Besserverdienenden und Stiftungsvorstandsvorsitzenden müßten nach einer Alternative für ihren Nachwuchs suchen.

 

 Waldorfbefürworter würden sich mit dieser Schule also keinen Gefallen tun – auch weil sinkende Schülerzahlen an Anthroposophenschulen ein Schritt hin zu dem wären, was Sebastiani und Co. mit einem offenen Brief »Gegen die geplante staatliche Waldorfschule in Hamburg« an Bildungssenator Ties Rabe auf »change.org« anstreben: »eine Schulbildung, in der die Vielfalt der wissenschaftlichen Erkenntnis vermittelt wird, anstatt sich mit der Wiedergabe alter Mythen und Märchen zufriedenzugeben«. Fast 2.000 Sympathisanten haben sich der Unterschriftenliste bis Anfang Dezember angeschlossen, darunter Ursula Caberta, die ehemalige Sektenbeauftragte der Hamburger Innenbehörde. Die Kommentierungen der Petition zeigen, daß die Unterzeichner/innen sich offensiv für ein wissenschaftlich fundiertes Schulwesen und gegen pädagogischen Irrationalismus einsetzen. Mit ihrer Unterschrift tragen sie allerdings dazu bei, eine Chance zu verhindern, den Spuk an seinem eigenen Wachstum scheitern zu lassen.

 

Um abschließend das häufigste Mißverständnis rund um Waldorf auszuschließen: Wer gegen okkultistische Schulen ist, muß kein unkritischer Befürworter des öffentlichen Schulwesens sein. Die Fehler von A sind nicht automatisch ein Argument für B. Aber das erkläre man mal einem Jünger Steiners, der aus dessen Schriften an geistreiche Propaganda gegen das öffentliche Schulwesen gewöhnt ist: »Unser Zeitalter wünscht, unbewußt natürlich, die Kinder so zu erziehen, daß Ahriman (bei den Anthroposophen ein ›Fürst der Finsternis‹, Chr. H.) möglichst stark in der Menschenseele kultiviert werden kann. Und wenn wir heute die gangbaren Erziehungsmethoden durchnehmen, so sagen wir uns als Okkultisten: Diese Leute, die diese Erziehungsmethoden vertreten, sind nur Stümper.«

 

Christoph Horst schrieb in KONKRET 8/13 über Hitlers Angst vor einer jüdischen Goldmedaille