Ein Dorf wehrt sich: Neonazis verbreiten in Söllingen Angst und Schrecken

Erstveröffentlicht: 
08.12.2013

Sie schienen verschwunden – doch seit diesem Jahr sind die Rechtsextremen wieder da. Ihre Konzerte und Treffen verbreiten bei Nachbarn im badischen Rheinmünster-Söllingen Angst und Schrecken.

 

Hubertus Stollmaier lehnt seine Leiter an die Straßenlaterne und klettert hinauf. In einer Hand hält der Sprecher der örtlichen Aktionsgemeinschaft gegen Nazis ein Plakat mit der Aufschrift: „Söllingen ist bunt statt braun“. Hinter dem Schriftzug sind ein farbiges Bild der Gemeinde Rheinmünster-Söllingen (Kreis Rastatt) und ein braunes Bild eines Gasthauses zu sehen. Das Plakat hängt Stollmaier an den Laternenmast. „Ich muss Flagge zeigen, solange die da sind“, sagt er. „Die“, das sind Neonazis aus ganz Deutschland, die nach zweijähriger Pause wieder regelmäßig Konzerte im örtlichen Gasthaus „Rössle“ veranstalten.

Fünf Konzerte rechtsextremer Bands gab es dort seit Juni. Zuletzt Mitte November, als die Partei „Die Rechte“ den Geburtstag eines Mitglieds feierte. Die Veranstaltungen möglich macht Günter Sick. Der Wirt des „Rössle“ sympathisiert offen mit den „Jungs“, wie er sie nennt. Zum Leidwesen des 1200-Einwohner-Ortes Söllingen, einem Stadtteil von Rheinmünster.

„Wenn die Rechten kommen, lassen wir die Rollläden herunter und verbarrikadieren uns im Haus. Die verbreiten hier nämlich Angst und Schrecken“, sagt ein Nachbar des „Rössle“, der anonym bleiben möchte.

Die Sorgen seiner Mitbürger kümmern den „Rössle“-Wirt wenig. Auch der Plakat-Protest vor seinem Gasthaus scheint ihm egal zu sein. Der 62-Jährige steht mit verschränkten Armen in seinem verwaisten Lokal und verfolgt mit einem Schulterzucken die Aktion. Viel mehr stören Sick die zersplitterten Fensterscheiben des Lokals. Unbekannte haben die Fenster eingeworfen. Auch die roten Flecken von Farbbeutelattacken und die Spuren von Brandsätzen an der Fassade des „Rössle“ zeugen von der Auseinandersetzung, die den Ort beschäftigt. Andere Gäste, das wird innen beim Rundgang deutlich, kommen schon lange nicht mehr in das Lokal.

Woher die Attacken kommen, weiß Sick nicht. „Vielleicht von Leuten, die mich hier nicht wollen“, sagt er trocken. „Dabei mache ich das mit den Rechten wegen der Kohle. Außerdem möchte ich Minderheiten unterstützen“, sagt der gelernte Koch. Die Nazis nimmt er in Schutz: „So schlecht sind die Kerle nicht.“

Bands wie „Kommando Skin“, „Faustrecht“ oder „Division Germania“ haben schon im „Rössle“ gespielt, sagt Sick. Sie gehören teilweise zum verbotenen Netzwerk „Blood and Honour“. Dennoch sind den Behörden zumeist die Hände gebunden. „Die Konzerte fallen unter das Grundrecht der Versammlungsfreiheit“, sagt Jörg Peter, Erster Landesbeamter im Landkreis Rastatt. Veranstaltungen wie die der Partei „Die Rechte“ genießen nach seinen Angaben das Parteienprivileg. Einfach verboten werden können sie nicht. Und von der Polizei müssen sie geschützt werden, wenn es beispielsweise Gegendemonstrationen gibt.

„Uns bleibt deshalb nichts anderes übrig, als die Augen nach Straftaten offen zu halten“, sagt Peter. Bei Konzerten gebe es Kontrollen vor Ort, um Straftaten und Ordnungswidrigkeiten aufzudecken. Doch die Rechtsextremen seien in der Regel rechtlich gut beraten. „Die meisten wissen, was sie dürfen und was nicht“, sagt Peter. Zuletzt wurde ein Springmesser bei einer Personenkontrolle sichergestellt. „Durch mehr Nadelstiche in Zukunft hoffen wir aber, dass sich die Szene deshalb irgendwann aus Söllingen zurückzieht.“ Ob sie das tun, dürfte auch von Gastwirt Sick abhängen. Doch der ist nach eigenen Aussagen hoch verschuldet und auf das Geld der Rechtsextremen angewiesen. Er habe mal Probleme mit Aktiengeschäften gehabt und „dadurch einen Haufen Geld verloren“, sagt Sick. Zudem liegt er seit Jahren im Streit mit der Gemeinde.

„Wir sind so gut wie machtlos gegen Sick und die Rechtsradikalen“, klagt Söllingens Ortsvorsteher Konrad Braun (CDU). Der Bürgermeister von Rheinmünster-Söllingen, Helmut Pautler (Freie Wähler), hat sich jüngst mit einem Brief an Innenminister Reinhold Gall (SPD) in Stuttgart gewandt und um Hilfe gebeten.