"Wille zum Verbrauch"

Erstveröffentlicht: 
29.11.2013

Wie die Deutschen mit der internationalen Kritik am hohen Überschuß ihrer Handelsbilanz umgehen. Von JustIn Monday.

 

Man kann in der Volkswirtschaft, ohne zu produzieren, kein Einkommen schaffen, aber man kann auch nicht produzieren, ohne konsumieren zu wollen; – es sei denn im Sklaventum oder in totalitären Systemen.« So äußerte sich Ludwig Erhard 1957 in jenem Buch, das seither wie kein anderes populärwissenschaftliches Werk der frühen Bundesrepublik zum Beleg für die sozialstaatliche Überlegenheit des »rheinischen Kapitalismus« über den vermeintlich reinen Manchesterkapitalismus in den USA stilisiert wurde. Wohlstand für alle war sein Titel. »Verführt Wohlstand zum Materialismus?« war die Überschrift des zugehörigen Kapitels, und die Antwort, die im Verlauf gegeben wurde, lautete »Nein«: »Erst dieser von mir oft angeschnittene Wille zum Verbrauch gestattet es, daß sich die Produktion ohne Störungen fortentwickeln kann und daß das Streben nach Rationalisierung und Leistungsverbesserung lebendig bleibt.« Was Erhard mit Passagen wie diesen betrieb, war die Anpassung des regressiv-antikapitalistischen deutschen Massenbewußtseins, das von nationaler Autarkie träumte, an die ökonomische Binnenrationalität des fordistischen Weltkapitals, in dem – ausgehend vom amerikanischen New Deal und dem Kriegskeynesianismus des Zweiten Weltkriegs – schrittweise die keynesianische Nachfragesteigerung zu einem systemischen Imperativ wurde.

 

Die Bewußtseinsformen der frühen Bundesrepublik waren nicht, wie oft behauptet wird, von einem »fordistischen Klassenkompromiß« geprägt, sondern von einer postfaschistischdialektischen Melange aus spätkapitalistischer Rationalität und rassenbiologischer Kraftmeierei, was an Erhards Begriffswahl und Gedankengang leicht zu erkennen ist. In nietzscheanischer Terminologie, das heißt orientiert am von den Nationalsozialisten faschistisch ausgelegten »Willen zur Macht«, baute er die aus dem Keynesianismus stammende Notwendigkeit des Konsums ein in die rassenbiologische Angst vor der Degeneration, nach der das Streben nach Rationalisierung und Leistungsverbesserung – in völkischer Terminologie »die Volkskraft« – von allzu leicht zugänglichem Reichtum untergraben wird und zur Verweichlichung führt. Letzteres zu wünschen ist hier die Bedeutung von »Materialismus«.

 

Inzwischen, unter den Bedingungen der aktuellen Krise, ist die rassenbiologische Kraftmeierei selbst technokratisch geworden und zerfällt gleichzeitig wieder in ihre Einzelteile: »Wir haben deshalb Überschüsse, weil wir so gut sind.« So reagierte Anton Börner, der Vorsitzende des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) auf einen Anlaß, der »Spiegel Online« folgenden Teaser wert war: »In einem Bericht nimmt das USFinanzministerium Deutschlands Rekordhandelsüberschuß aufs Korn. Die ungewöhnlich scharfe Kritik dürfte die ohnehin gestörten Beziehungen zwischen Washington und Berlin zusätzlich belasten. «

 

Was war geschehen? Hatte die Obama-Adminstration erkannt, daß die deutsche Sparwut und die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse eine bereits institutionalisierte Variante der finanzpolitischen Spinnereien der Tea Party ist, mit der er kurz zuvor einen heftigen Konflikt um die Erhöhung der Schuldengrenze ausgetragen hatte? Dürfen die Bevölkerungen der am stärksten von europäischen Haushaltssanierungen betroffenen Staaten nun hoffen, aus der Abwärtsspirale gerissen zu werden, weil Obama im Bündnis mit Teilen der Linkspartei einen ähnlich scharfen Kurs gegen die deutsche Politik einschlägt wie gegen die Tea Party?

 

Eher nicht. Bei dem Bericht, um den es hier geht, handelt es sich keineswegs um eine Stellungnahme, in der Deutschland im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht; oder in der es gar ausschließlich um die deutsche Finanz- und Wirtschaftspolitik geht. Die schärfste Kritik an der deutschen Politik im Papier dürfte diese Stelle sein: »Deutschlands kraftlose Gangart bei der Steigerung der Inlandsnachfrage und seine Abhängigkeit von Exporten haben die Ausbalancierung (vermutlich der Weltwirtschaft, J. M.) zu einem Zeitpunkt behindert, als sich viele andere Staaten des Euro-Raums unter ernstem Druck sahen, ihre Nachfrage zu zügeln und ihre Importe zu kürzen, um die Anpassung voranzutreiben. In der Nettobilanz ergab das eine deflationäre Schieflage sowohl für die Euro-Zone als auch für die Weltwirtschaft.« Auch wenn der IWF-Vize David Lipton die Diagnose offenbar unterstützt und Deutschland sogar zur Reduktion der Überschüsse verpflichten möchte: Nüchterner und zuvorkommender läßt sich eine wirtschaftspolitische Differenz kaum feststellen. Immerhin wird unterstellt, daß überhaupt Maßnahmen zur Steigerung der Inlandsnachfrage beschlossen worden sind. Ansonsten wird Deutschland hier einfach nur am systemischen Imperativ des Wachstumszwangs gemessen, den zur Geltung zu bringen der Job der Weltmacht ist.

 

Das deutsche Establishment reagierte trotzdem ausgesprochen gereizt. Nicht einmal die SPD wollte sich so ganz bestätigt sehen. Hubertus Heil ließ zwar vermelden: »Die Aufgabe, die wir national wahrnehmen müssen, ist die Binnennachfrage in Deutschland zu stärken. « Das, so wird er weiter zitiert, ändere aber nichts daran, daß man eine hohe Wettbewerbsfähigkeit für deutsche Produkte und Dienste halten wolle und müsse, um in der Welt erfolgreich zu sein. Wie der Interessenvertreter der exportorientierten Wirtschaft tut er so, als sei es zuviel verlangt, neben den Relationen in der Konkurrenz auch die Reproduktionsbedingungen des Weltkapitals im Auge zu behalten, um weiterhin zu garantieren, was vernünftige Menschen für Ausbeutung und scheinbar unvermeidbare Mühe, deutsch nationalisierte hingegen für den Sinn des Lebens halten. Denn »national« lassen sich wie auch immer geartete Probleme einer Außenhandelsbilanz bereits per Definition nicht lösen.

 

Die pampige deutsche Reaktion dürfte eher daran liegen, daß die Landsleute nicht verstehen, daß nicht nur diejenigen ihre bornierte Sicht der Dinge nicht teilen, die sie als faule südeuropäische Schmarotzer zu betrachten sich angewöhnt haben. Wenn so etwas von seiten der USA kommt, die zum marktradikalen Schreckbild stilisiert und als Weltmacht beneidet werden und somit ein erfolgreiches Modell repräsentieren, ruft das auch die dunkle Ahnung wach, daß es bei allem »Streben nach Rationalisierung und Leistungsverbesserung« vielleicht doch kein so gutes Konzept ist, ökonomisch dauerhaft davon abhängig zu sein, Ländern mit einer Arbeitslosigkeit wie der Spaniens die gewiß vorzüglichen Produkte des deutschen Maschinenbaus verkaufen zu wollen.

 

Gleichzeitig handelt es sich aber wohl um eine passiv-aggressive Reaktion auf die Hilfsund Perspektivlosigkeit der amerikanischen Position, denn ihr ist auch anzusehen, daß die fordistische Nachfragesteigerung keine Möglichkeit mehr darstellt, das Kapital in der Krise auf eine neue Stufenleiter zu heben. Durch sie wird es eine Krisenlösung nicht geben, aber als inzwischen systemischer Imperativ geht ohne sie gar nichts mehr. Auch die keynesianische Position hat mittlerweile ein regressives Moment, weil sie sich gegen die Überakkumulation nicht anders zu helfen weiß als mit der Forderung nach Beschränkungen der Produktivität. Daher haben die mythologischen Elemente der Erhardschen Melange im Verlauf dieser Krise hierzulande wieder die Oberhand gewonnen und kippen in eine Phantasiewelt, die an dieser Stelle mangels eines besseren Begriffs als Export-Autarkie bezeichnet werden soll.

 

JustIn Monday schrieb in KONKRET 8/13 ein Lob der Verschwendung