Neonazis in Berlin: Auf der Spur ungeklärter Tötungsdelikte

In Berlin werden 78 Tötungsdelikte auf rechtsextremistischen Hintergrund überprüft. Die Polizei befürchtet, dass es möglicherweise auch in der Hauptstadt zahlreiche Tötungsdelikte gab, die auf das Konto von Neonazis gehen. Von Andreas Kopietz.

 

Die von der Kriminalstatistik verbreitete Illusion, dass es in Berlin lange Zeit keine rechtsextremistisch motivierten Morde gab, ist dahin. Die Polizei geht dem Verdacht nach, dass es möglicherweise auch in der Hauptstadt zahlreiche Tötungsdelikte gab, die auf das Konto von Neonazis gehen. „Wir haben 78 Tötungsdelikte gemeldet, die auf einen rechtsextremistischen Hintergrund überprüft werden sollen“, sagte Polizeisprecher Stefan Redlich der Berliner Zeitung. Dabei handelt es sich laut Redlich nicht um NSU-Verdachtsfälle.

 

Schon kurz nach Bekanntwerden der Morde des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) Ende 2011 begann die Berliner Polizei, 63 ungeklärte Tötungsdelikte zu untersuchen. Eine eigens gegründete Informationsstelle der Abteilung Staatsschutz im Landeskriminalamt wertet alle offenen Fälle zwischen 1998 und 2011 aus. Sie will wissen, ob es Parallelen zu den Tathergängen der NSU-Morde gibt.

Ein Fall, der bis heute noch nicht geklärt ist, ist etwa der Mord an dem 51-jährigen Jugoslawen I. Der Imbissbesitzer aus Wedding wurde im März 2000 in seinem Laden erschossen. Nichts wurde geraubt. Die Motive der Tat blieben bis heute im Dunkeln. Auch ungeklärte Banküberfälle in Berlin werden auf Parallelen zu den NSU-Taten, mit denen sich die Terroristen Geld beschafften, überprüft. Zu den Ermittlungsergebnissen wurde bislang nichts bekannt.

 

Vor einem Jahr nahm dann das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) mit Sitz in Köln und Meckenheim seine Arbeit auf. Beteiligt sind unter anderem die Verfassungsschutzbehörden der Bundesländer, die Landespolizeien und das Bundeskriminalamt. Das GETZ rief eine „Arbeitsgemeinschaft Fallanalyse“ ins Leben, die einen sogenannten Indikatorenkatalog erstellte, welcher an die Länder versandt wurde. Nach diesem Katalog ließ man bundesweit 3 300 vollendete und versuchte Tötungsdelikte durch ein bestimmtes Raster laufen. Zu den Kriterien gehört die Frage, ob es sich bei einem Mordopfer um einen Ausländer handelt und ob der Täter etwas raubte.

 

68 Berliner Fälle passen in den Indikatorenkatalog. Zehn weitere Tötungsfälle meldeten die Berliner dem GETZ. „Sie sind zwar aufgeklärt, aber bei ihnen wird in der Öffentlichkeit diskutiert, ob ein rechtsextremistischer Hintergrund bestehen könnte“, begründete Stefan Redlich. „Bei allen wird geprüft, ob ein rechtsextremistischer Hintergrund übersehen wurde.“

 

Zu Tötungsdelikten, die bundesweit überprüft werden, zählen etwa Angriffe auf Obdachlose, wie es sie etwa in Bayern gab. So wurde 2006 in Plattling ein Obdachloser zusammengeschlagen, mit Spiritus übergossen und angezündet. Der Täter war ein Neonazi, der wegen Totschlags ins Gefängnis kam. In die Liste der Todesopfer rechter Gewalt wurde der Getöteten icht aufgenommen. 2008 wurde in Memmingen ein 40-Jähriger von einem Rechtsradikalen erstochen. Das Opfer hatte sich zuvor über die rechte Musik des Mannes beschwert. Auch sein Tod gilt nicht als rechtsmotivierte Tat.