Ein Reservist der Bundeswehr verkündet im Internet, die „German Defence League“ zu einer Miliz ausbilden zu wollen – und bekommt dennoch weniger Aufmerksamkeit als seine tanzenden und grölenden politischen Mitkämpfer. Antimuslimische Rassisten der „Génération Identitaire“ besetzten am Samstag medienwirksam das Dach einer Moschee im französischen Poitiers, nachdem zuvor österreichische „Identitäre“ mit einer rassistischen Tanzeinlage Wien schockierten.
Von Roland Sieber
Mit der offensiven Aktion schafften es die gerade einmal 60 aus ganz Frankreich zusammengetrommelten antimuslimischen Rassisten über die Landesgrenzen hinaus in die Presse. Am Samstagmorgen störten die Aktivisten der „Coordination Identitaire“ (Identitätskoordination) das Morgengebet der Gläubigen in dem Moscheeneubau. Mit Zelten und Stromgeneratoren ausgerüstet eroberten sie das Dach. Für Fernsehkameras und ihren YouTube-Kanal brüllten sie Parolen gegen die angebliche „Islamisierung“, präsentierten ihren schwarz-gelben Fronbanner und verbrannten rote Bengalos. Nach sechs Stunden gaben die meisten freiwillig auf. Die Verbliebenen wurden von der Polizei vom Dach geholt. Drei Personen wurden wegen Anstachelung zum Rassenhass und Sachbeschädigung festgenommen.
Der französische Regierungschef und der französische Rat der Moslems verurteilten die Besetzung aufs Schärfste: Es sei ein Angriff auf die Werte Frankreichs. Mit dem Ort der „Schlacht von Tours und Poitiers“ wollten die antimuslimischen Aktivisten an die Frontlinie des Kampfes vom Oktober 732 anknüpfen. Dort stoppte der fränkische Hausmeier Karl Martell den Vormarsch der muslimischen Araber blutig. Die rassistischen Kulturkrieger von heute gehen dabei der propagandistischen Überhöhung der Moderne auf den Leim, die Martell als Retter des Abendlandes darstellt.
Die aktionsorientierte Rechte, die sich im Sinne der „Neuen Rechte“ auf die eigene „Kultur“ und „Herkunft“ bezieht, sich dabei aber wie die alte Rechte durch die Abgrenzung zu den „Anderen“ definiert, geht in Frankreich auf die zwei Strömungen „Jeunesses Identitaires“ und „Bloc identitaire“ zurück, die den Kampf für eine angebliche „europäische Identität“ gegen einen vermeintlichen Islam führen. Die Aktivitäten im Exekutivkomitee des französischen „Bloc identitaire“ eines Oberleutnants der Schweizer Armee, führte Anfang diesen Monats zu einem Skandal.
Österreichischer Ableger
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Ortswechsel: Am 1. Oktober umzingelten etwa zehn mit Affen- und Schweinemasken vermummte „Identitäre“ den Caritas-Workshops „Tanz für Toleranz“ in Wien mit rassistischen Parolen. Das Menschen – die unerwartet von unbekannten maskierten Personen umtanzt werden – sich bedroht fühlen, gehört zum Kern der völkischen Variante der Aktionsform „Hardbass Mass-Attack“.
„Es dauerte nur drei Minuten, aber es kam mir wie eine halbe Ewigkeit vor, ich hatte Angst”,
schildert eine betroffene Frau die Situation, die von den „Identitären“ in einem mit Musik unterlegen YouTube-Video jugendgerecht mit dem Motto „100% Identität – 0% Rassismus“ verbreitet wird.
Nachdem sich bereits ein Video der französischen „Génération Identitaire“ via Altermedia, fsn-tv und PI-News auch in Deutschland verbreitet hatte, durften sich die Wiener in einem Interview mit dem neurechten Jugendmagazin „Blaue Narzisse“ erklären. Dort erschienen auch die Grundsatzpositionen der deutschen Identitären, wobei noch nicht klar ist, wohin die Reise hierzulande geht. So beanspruchen weitere Neurechte in Blogs wie „Diskuswerfer/Metapolitika“, „Der Funke“ und „mauerbluemchen“ Deutungshoheit und auch die „Europaeische Aktion“ meldet sich zu Wort. Bereits letztes Jahr wurden aus der Frankfurter und Geithainer Neonaziszene identitäre Gruppen gebildet.
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Begeistert mischt auch das antimuslimische Spektrum um PI und GDL mit. All diese sich punktuell widersprechenden Strömungen treffen sich auf der zentralen deutschen Facebookseite wieder und sind sich einig darin, die österreichischen und französischen Aktionsformen nach Deutschland holen zu wollen, streiten aber über ihre Positionierungen gegenüber den Juden, Israel und den USA sowie über ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus.
Mit besonderer Militanz
Kaum Beachtung außerhalb der Szene findet der mutmaßliche Hauptgefreite der Luftwaffe der Reserve und stellvertretende Vorsitzende des „Berliner Bezirksverbandes Ost“ der Splitterpartei „Die Freiheit“, Kay Nerstheimer, der die „German Defence League“ zu einer Miliz ausbauen will. So posiert er nicht nur mit Sturmgewehr und Uniform auf Facebook, sondern kommentierte auch auf dem Islamhassblog blu-News:
„Einen einzelnen Finger kan [sic!] man brechen, eine ganze Faust nicht! Ob das nun allen gefällt oder nicht ist dabei unerheblich. In einem Krieg sucht man sich die Seite aus, mit der man am meisten übereinstimmt und dann kämpft man so gut man eben kann. Das wir Krieg haben seit 9/11 steht wohl außer Frage und wer uns den Krieg erklärt hat wohl auch. Die GDL wird als Miliz aufgebaut und trainiert und wir werden allen islamkritischen Parteien zur Seite stehen. Wenn wir uns dabei gegenseitig unterstützen, werden wir ein gutes Stück des Weges voran kommen. Übrigens, wir sind keine Hooligans, aber wir sind alle Exsoldaten!“
(Quelle: hxxp://www.blu-news.org/2012/07/27/nebulose-bundnisse/)
Dies bekräftige er in seiner Funktion als „Division Leader“ der GDL-Division Berlin in einem „Politischen Bekenntnis“, das „kybeline“ auf dem rassistischen Blog „Europäische Werte“ veröffentlichte:
„Die Männer in meiner Division sind durchweg Reservisten der NVA, BW und Polizisten. Das ist nicht Bedingung, da wir in der Lage sind auch auszubilden.“
Solche Sätze führten offenbar dazu, dass Facebook die Berliner GDL-Seite am Wochenende offline nahm. Dort war vom Aufbau einer Schutzgruppe für Veranstaltungen von „patriotischen Kräften“ und „islamkritische Parteien“ mit militärischen Fähigkeiten – die vorläufige Festnahmen durchführt – die Rede.
Während die Öffentlichkeit also mit dem NSU beschäftigt, scheint hier eine neue rechtsterroristische Strömung heranzuwachsen.
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Siehe auch: Es distanziert sich, was zusammengehört, Neue Rechte formatiert sich neu, Filmabend für Kulturkrieger, Frei.Wild zwischen Deichkind und Beatsteaks
„Die frischen Patrioten“ auch in Deutschland
Neue Rechte: Eine Jugendbewegung will eine altbekannte Ideologie mit jugendlicher Protest- und Partykultur verbinden. Das wirkt unecht und verkrampft, könnte aber gelingen. Link zum vollständigen Text und Diskussion über diesen, hier: facebook.com/permalink.php?story_fbid=424115014319849&id=176046709120454