Pegida-Anhänger als "Helden"? Wilders Rede findet weniger Zuhörer als vermutet

Erstveröffentlicht: 
14.04.2015

Niederländischer Rechtspopulist lobt Islamkritiker in Dresden / Tausende protestieren gegen Kundgebung

 

Von Katharina Rögner und Christoph Springer


Dresden. Die lange geplante "Große Kundgebung" von Pegida im Dresdener Ostragehege war ein Reinfall. Weniger als ein Drittel der vollmundig von Pegida-Gründer Lutz Bachmann angekündigten 30000 Anhänger kamen, um ihn selbst, den niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders und Oberbürgermeister-Kandidatin Tatjana Festerling zu hören. Viele gingen lange vor dem Ende der Veranstaltung, bei der Bachmann außerdem ankündigte, dass am nächsten Montag kein Pegida-"Spaziergang" stattfinden wird.


Wilders lobte in seiner auf deutsch gehaltenen Rede unter anderem die Pegida-Anhänger als "Helden", weil sie mit ihrem Einsatz die abendländische Kultur verteidigten. Außerdem betonte der bekannte Islamkritiker, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. "Ich applaudiere Euch, weil nichts falsch daran ist, deutsche Patrioten zu sein." Wilders weiter: "Unsere eigene Kultur ist ja die beste Kultur, und Einwanderer müssen unsere Rechte annehmen und nicht andersherum."


Tausende Dresdner protestierten auf mehreren Veranstaltungen und Demonstrationen gegen den Auftritt des niederländischen Rechtspopulisten. Darunter waren unter anderem auch der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir und die Parteichefin der Linken, Katja Kipping. Laut Angaben der Dresdner Polizei nahmen bis zu 3000 Menschen an Gegenprotesten teil. Die Lage sei insgesamt sehr friedlich gewesen, so ein Polizeisprecher. Dennoch gab es einzelne Rangeleien - es folgten zwölf Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs, Beleidigung und Widerstand gegen Beamte. 1564 Polizisten waren im Einsatz, darunter Kräfte aus Brandenburg, Niedersachsen, Bayern und Nordrhein-Westfalen.


Die Gegendemonstranten beteiligten sich am Nachmittag bereits an einem Sternlauf mit drei Aufzügen unter dem Motto "Vielfalt vor Einheit" und anschließender Abschlusskundgebung in der Dresdner Innenstadt mit bis zu 2500 Menschen. Aufgerufen hatte dazu das Bündnis "Dresden für Alle". In der Dresdner Kreuzkirche fand ein Friedensgebet und im Anschluss auf dem Altmarkt eine Kundgebung für religiöse Vielfalt statt.


Das Dresdner Bündnis "Nazifrei" hatte im Vorfeld zu Blockaden der Zufahrtswege zum Pegida-Veranstaltungsgelände, der sogenannten Flutrinne im Ostragehege, aufgerufen. Diese seien aber unterbunden worden, sagte ein Polizeisprecher. Eine Demonstration des Dresdner Bündnisses "Nazifrei" in Hör- und Sichtweite der Pegida-Kundgebung wurde von der Stadt untersagt.


Das Bündnis "Nazifrei" hatte im Vorfeld davor gewarnt, dass Dresden das "Zentrum einer neuen Rechten" werden könnte. Die Vernetzung in ganz Europa sei längst im Gange.


Der Auftritt von Wilders stieß parteiübergreifend auf Kritik der Kandidaten für das Dresdner Oberbürgermeisteramt. Der Niederländer sei "ein Mensch, der Hass in sich trägt und spaltet", sagte der CDU-Kandidat und sächsische Innenminister Markus Ulbig. Die SPD-Politikerin und Wissenschaftsministerin Sachsens, Eva-Maria Stange, sagte, mit dem Auftritt sei "eine Toleranzgrenze überschritten". Man könne mit Blick auf Pegida nun endgültig "nicht mehr nur von Menschen mit Fragen und Problemen reden", sagte Stange. Der FDP-Politiker Dirk Hilbert (FDP), der nach dem Rückzug von Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) als Erster Bürgermeister die Amtsgeschäfte führt, betonte, Dresden habe durch Pegida "ein dramatisches Imageproblem".

 


 

Kommentar Von Dirk Birgel 

 

Pegida am Scheideweg


Deutschland sucht den Superstar, Bauer sucht Frau. Und Dresden? Dresden sucht Antworten. Antworten auf Pegida. Ein Gespenst, das seit Oktober 2014 in Sachsens Hauptstadt umgeht. Während die islamkritische Bewegung überall in Deutschland gescheitert ist, feiert sie in Dresden fröhliche Urständ. Auch wenn gestern "nicht einmal" 10000 Menschen kamen, um dem niederländischen Islamfeind Geert Wilders zu lauschen, bleibt Elbflorenz das Mekka der Rechtspopulisten in Deutschland, wenn nicht in Europa.


Die Pegida-Anhänger lauschten den Worten Wilders, der den Islam schlicht für eine Krankheit hält, und Tatjana Festerling, die für Pegida bei der Dresdner Oberbürgermeister-Wahl antritt und die Flüchtlinge beschuldigt, in intakten sächsischen Gemeinden für Unruhe, Kriminalität und Destabilisierung zu sorgen. Damit ist sie ganz nah dran an Pegida-Gründer Lutz Bachmann, der diese Menschen als "Dreckspack, Gesindel und Viehzeug" bezeichnet. Keine Frage, die Spitze der Bewegung ist stramm rechts und offen ausländerfeindlich.


Aber was ist mit den tausenden Anhängern? Sind das alles verkappte Nazis? Teilweise ja, und den anderen die "nur mal" ihrem Unmut Luft machen wollen, ist es egal, wem sie da folgen. Pegida hat einen Nerv getroffen, und aus dieser diffusen Stimmung, dass einiges in diesem Land in die falsche Richtung läuft, ist eine Bewegung entstanden, die einen politischen Diskurs entfacht hat. Etablierte Parteien, Medien und Wissenschaft arbeiten sich an diesem Phänomen seit Monaten ab. Das gilt insbesondere für die CDU, die als Partei eine klare Haltung vermissen lässt, auch wenn ihr Ministerpräsident Stanislaw Tillich hin und wieder deutliche Worte findet. Jüngstes Beispiel: Die Union verweigerte ihre Unterschrift unter eine gemeinsame Erklärung pro Weltoffenheit von SPD, FDP, Grünen und Linken. Klare Kante sieht anders aus, was in einer Stadt, die wie keine zweite im Osten von Wissenschaftlern und Künstlern aus aller Welt profitiert und geprägt wird, Unruhe verbreitet.


Pegida freilich ficht das nicht an. Die patriotischen Europäer nehmen an diesem Diskurs nicht teil. Spätestens seit gestern Abend aber steht die Frage im Raum, wo Pegida hin will. Der Protest hat seinen Zenit überschritten. Wilders würde nur allzu gern, seine "Partei für die Freiheit" ins große Nachbarland ausdehnen. Pegida ist dabei der ideale Andockpunkt - nicht so zahm wie die Schlaffis von der AfD, aber auch nicht mit dem Nazi-Etikett behaftet wie die NPD. Bachmann muss also überlegen, wohin er seine Bewegung steuert.


Dass er unter Wilders Flagge segelt, ist unwahrscheinlich. Aber den Weg in die Parlamente zu suchen, ist für Pegida unausweichlich. Denn auf der Straße läuft sich die Bewegung eines nicht mehr allzufernen Tages unweigerlich tot.
d.birgel@lvz.de