Niederländischer Rechtspopulist lobt Islamkritiker in Dresden / Tausende protestieren gegen Kundgebung
Von Katharina Rögner und Christoph Springer
Dresden. Die lange geplante "Große Kundgebung" von Pegida im
Dresdener Ostragehege war ein Reinfall. Weniger als ein Drittel der
vollmundig von Pegida-Gründer Lutz Bachmann angekündigten 30000 Anhänger
kamen, um ihn selbst, den niederländischen Rechtspopulisten Geert
Wilders und Oberbürgermeister-Kandidatin Tatjana Festerling zu hören.
Viele gingen lange vor dem Ende der Veranstaltung, bei der Bachmann
außerdem ankündigte, dass am nächsten Montag kein Pegida-"Spaziergang"
stattfinden wird.
Wilders lobte in seiner auf deutsch gehaltenen Rede unter anderem die
Pegida-Anhänger als "Helden", weil sie mit ihrem Einsatz die
abendländische Kultur verteidigten. Außerdem betonte der bekannte
Islamkritiker, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. "Ich applaudiere
Euch, weil nichts falsch daran ist, deutsche Patrioten zu sein." Wilders
weiter: "Unsere eigene Kultur ist ja die beste Kultur, und Einwanderer
müssen unsere Rechte annehmen und nicht andersherum."
Tausende Dresdner protestierten auf mehreren Veranstaltungen und
Demonstrationen gegen den Auftritt des niederländischen
Rechtspopulisten. Darunter waren unter anderem auch der
Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir und die Parteichefin der Linken, Katja
Kipping. Laut Angaben der Dresdner Polizei nahmen bis zu 3000 Menschen
an Gegenprotesten teil. Die Lage sei insgesamt sehr friedlich gewesen,
so ein Polizeisprecher. Dennoch gab es einzelne Rangeleien - es folgten
zwölf Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs, Beleidigung und
Widerstand gegen Beamte. 1564 Polizisten waren im Einsatz, darunter
Kräfte aus Brandenburg, Niedersachsen, Bayern und Nordrhein-Westfalen.
Die Gegendemonstranten beteiligten sich am Nachmittag bereits an einem
Sternlauf mit drei Aufzügen unter dem Motto "Vielfalt vor Einheit" und
anschließender Abschlusskundgebung in der Dresdner Innenstadt mit bis zu
2500 Menschen. Aufgerufen hatte dazu das Bündnis "Dresden für Alle". In
der Dresdner Kreuzkirche fand ein Friedensgebet und im Anschluss auf
dem Altmarkt eine Kundgebung für religiöse Vielfalt statt.
Das Dresdner Bündnis "Nazifrei" hatte im Vorfeld zu Blockaden der
Zufahrtswege zum Pegida-Veranstaltungsgelände, der sogenannten Flutrinne
im Ostragehege, aufgerufen. Diese seien aber unterbunden worden, sagte
ein Polizeisprecher. Eine Demonstration des Dresdner Bündnisses
"Nazifrei" in Hör- und Sichtweite der Pegida-Kundgebung wurde von der
Stadt untersagt.
Das Bündnis "Nazifrei" hatte im Vorfeld davor gewarnt, dass Dresden das
"Zentrum einer neuen Rechten" werden könnte. Die Vernetzung in ganz
Europa sei längst im Gange.
Der Auftritt von Wilders stieß parteiübergreifend auf Kritik der
Kandidaten für das Dresdner Oberbürgermeisteramt. Der Niederländer sei
"ein Mensch, der Hass in sich trägt und spaltet", sagte der CDU-Kandidat
und sächsische Innenminister Markus Ulbig. Die SPD-Politikerin und
Wissenschaftsministerin Sachsens, Eva-Maria Stange, sagte, mit dem
Auftritt sei "eine Toleranzgrenze überschritten". Man könne mit Blick
auf Pegida nun endgültig "nicht mehr nur von Menschen mit Fragen und
Problemen reden", sagte Stange. Der FDP-Politiker Dirk Hilbert (FDP),
der nach dem Rückzug von Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) als
Erster Bürgermeister die Amtsgeschäfte führt, betonte, Dresden habe
durch Pegida "ein dramatisches Imageproblem".
Kommentar Von Dirk Birgel
Pegida am Scheideweg
Deutschland sucht den Superstar, Bauer sucht Frau. Und Dresden? Dresden sucht Antworten. Antworten auf Pegida. Ein Gespenst, das seit Oktober 2014 in Sachsens Hauptstadt umgeht. Während die islamkritische Bewegung überall in Deutschland gescheitert ist, feiert sie in Dresden fröhliche Urständ. Auch wenn gestern "nicht einmal" 10000 Menschen kamen, um dem niederländischen Islamfeind Geert Wilders zu lauschen, bleibt Elbflorenz das Mekka der Rechtspopulisten in Deutschland, wenn nicht in Europa.
Die Pegida-Anhänger lauschten den Worten Wilders, der den Islam
schlicht für eine Krankheit hält, und Tatjana Festerling, die für Pegida
bei der Dresdner Oberbürgermeister-Wahl antritt und die Flüchtlinge
beschuldigt, in intakten sächsischen Gemeinden für Unruhe, Kriminalität
und Destabilisierung zu sorgen. Damit ist sie ganz nah dran an
Pegida-Gründer Lutz Bachmann, der diese Menschen als "Dreckspack,
Gesindel und Viehzeug" bezeichnet. Keine Frage, die Spitze der Bewegung
ist stramm rechts und offen ausländerfeindlich.
Aber was ist mit den tausenden Anhängern? Sind das alles verkappte
Nazis? Teilweise ja, und den anderen die "nur mal" ihrem Unmut Luft
machen wollen, ist es egal, wem sie da folgen. Pegida hat einen Nerv
getroffen, und aus dieser diffusen Stimmung, dass einiges in diesem Land
in die falsche Richtung läuft, ist eine Bewegung entstanden, die einen
politischen Diskurs entfacht hat. Etablierte Parteien, Medien und
Wissenschaft arbeiten sich an diesem Phänomen seit Monaten ab. Das gilt
insbesondere für die CDU, die als Partei eine klare Haltung vermissen
lässt, auch wenn ihr Ministerpräsident Stanislaw Tillich hin und wieder
deutliche Worte findet. Jüngstes Beispiel: Die Union verweigerte ihre
Unterschrift unter eine gemeinsame Erklärung pro Weltoffenheit von SPD,
FDP, Grünen und Linken. Klare Kante sieht anders aus, was in einer
Stadt, die wie keine zweite im Osten von Wissenschaftlern und Künstlern
aus aller Welt profitiert und geprägt wird, Unruhe verbreitet.
Pegida freilich ficht das nicht an. Die patriotischen Europäer nehmen an
diesem Diskurs nicht teil. Spätestens seit gestern Abend aber steht die
Frage im Raum, wo Pegida hin will. Der Protest hat seinen Zenit
überschritten. Wilders würde nur allzu gern, seine "Partei für die
Freiheit" ins große Nachbarland ausdehnen. Pegida ist dabei der ideale
Andockpunkt - nicht so zahm wie die Schlaffis von der AfD, aber auch
nicht mit dem Nazi-Etikett behaftet wie die NPD. Bachmann muss also
überlegen, wohin er seine Bewegung steuert.
Dass er unter Wilders Flagge segelt, ist unwahrscheinlich. Aber den Weg
in die Parlamente zu suchen, ist für Pegida unausweichlich. Denn auf der
Straße läuft sich die Bewegung eines nicht mehr allzufernen Tages
unweigerlich tot.
d.birgel@lvz.de