19.000 bei Gegendemonstration – Breites Bündnis stoppt Pegida in Hannover
Hannover setzt ein klares Zeichen gegen Ausländerfeindlichkeit, Gewalt und Terror: 19.000 Menschen protestieren am Montagabend gegen die Demo der islamfeindlichen Pegida. Zu gleicher Zeit muss die Polizei am Steintor zu Reizgas und Schlagstöcken greifen, um Befürworter und Gegner der Pegida zu trennen.
Hannover. Das Ungleichgewicht ist unübersehbar: Auf dem Steintorplatz standen am Ende knapp 200 Anhänger der islamfeindlichen Pegida etwa 2500 Gegendemonstranten gegenüber – der überwiegende Teil aus dem linksautonomen Spektrum. Die Polizei muss mehrfach einschreiten, um ein Aufeinandertreffen beider Gruppen zu verhindern. Doch der Tag stand nicht im Zeichen der aufgeheizten Stimmung auf dem Steintorplatz. Denn während dort eine chaotische Auseinandersetzung lief, setzten knapp 19.000 Menschen ein friedliches, klares Zeichen gegen Ausländerfeindlichkeit, Gewalt und Terror.
Tausende gedenken der Opfer von Paris
Tausende drängen sich zunächst lautstark auf dem Georgsplatz – doch als die Schweigeminute für die Opfer des Terroranschlags in Paris beginnt, wird es schlagartig still. Die Ruhe breitet sich mit großer Erhabenheit über den Platz. „So was habe ich seit den Lichterketten in den Neunzigern nicht mehr erlebt", flüstert ein Mann seiner Begleiterin zu. Es ist einer der vielen Gänsehautmomente bei der Demonstration gegen die Hagida-Kundgebung.
"Heute möchte ich ein Zeichen setzen"
Knapp 19.000 Menschen sind in die Stadt gekommen, um Flagge zu zeigen. „Wir sind Charlie“ steht auf Transparenten, „Solidarität mit Flüchtlingen" oder „Der Islam gehört zu Deutschland". Als der Protestzug von der Marktkirche durch die City zieht, erklingen vereinzelt Sprechchöre: „Grenzen auf, überall, Stacheldraht zu Altmetall". Über die Fassade der dunklen Oper flimmert ein Schriftzug: „Hannover für Solidarität".
Hier ist nicht die Klientel unterwegs, die regelmäßig bei Demonstrationen aufläuft. Hier ist das breiteste Bündnis unterwegs, das sich denken lässt: Wertkonservative Christen sind unter den Demonstranten ebenso wie gestandene Gewerkschafter. Flaggen der Linkspartei flattern einträchtig neben Flaggen der FDP. Familien mit Kindern sind gekommen, halbe Schulklassen, Rentner. „Ich gehe sonst nie zu Demonstrationen, aber heute möchte ich ein Zeichen setzen", sagt eine 79-Jährige. „Bunt statt braun" - die Schar der Demonstranten passt bestens zum Motto der Demonstration. Ein so vielfältiges Abbild der Stadtgesellschaft sieht man sonst höchstens beim Schützenausmarsch.
Ein Stück Selbstvergewisserung in unruhigen Zeiten
Dazu passt freilich auch, dass jeder seine eigenen Anliegen mitbringt zu dieser Demo: "Wir dürfen die Straße nicht den Rechtsextremisten überlassen" sagt Stefanie Bartels. Andere sind eher wegen der islamistischen Anschläge in Paris gekommen, sie wollen Flagge zeigen für die Pressefreiheit und sie wollen ihre Solidarität und Trauer bekunden. "Unsere Asylpolitik muss menschlicher werden", sagt eine Frau, und anderen geht es generell um die Verteidigung der multikulturellen Wirklichkeit im Lande. Dennoch gibt es einen kleinsten gemeinsamen Nenner: Hannover soll eine weltoffene und tolerante Stadt sein. Das ist ein Grundwert, ein Konsens, der hier beschworen wird, so wie Frankreich am Wochenende die Werte der Republik beschworen hat. Diese Demonstration ist auch ein Stück Selbstvergewisserung in unruhigen Zeiten.
"Das ist unser Land, hier gelten unsere Werte!"
Ein Dutzend Redner spricht auf dem Opernplatz: Oberbürgermeister Stefan Schostok kritisiert die Islamfeinde, ohne Hagida namentlich zu nennen: "Diese Art der politischen Auseinandersetzung ist von gestern", ruft er. Ministerpräsident Stephan Weil beschwört eine solidarische Gesellschaft: "Hier stehen Christen, Juden und Muslime zusammen", sagt er und lässt den Blick über die Menschenmassen schweifen: "Wir können sagen: ,Wir sind das Volk!'" Die Gewerkschaften stünden an der Seite derer, die für die Freiheit eintreten, sagt IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis: "Das ist unser Land, hier gelten unsere Werte!" Auch Bundestagsvizepräsidentin Edelgard Bulmahn beschwört "ein demokratisches Hannover".
Bündnis aller Religionen gegen Gewalt und Terror
Das vielleicht stärkste Signal senden die Vertreter der verschiedenen Religionen aus, die nacheinander ans Mikrofon treten: Es sei eine Falle zu glauben, dass Fremdes eine Bedrohung darstelle, sagt Landesbischof Ralf Meister. "Ich bin richtig stolz auf Euch", ruft Michael Fürst von der jüdischen Gemeinde den Demonstranten zu - und er bricht eine Lanze für die Muslime: "Islam ist nicht gleichbedeutend mit Islamismus." Avni Alter vom muslimischen Schura-Verband distanziert sich eindeutig von religiösen Fanatikern: Weder Salafisten noch Rechtsextremisten dürften die Gesellschaft spalten. Applaus brandet auf, als die Organisatoren die Teilnehmerzahl verkünden: Rund 17.000 Menschen sollen zu dieser Demonstration für ein weltoffenes Land gekommen sein - während "Hagida" nur wenige Hundert Anhänger mobilisieren konnte. "Eine Abstimmung mit den Füßen",sagt Ministerpräsident Weil zufrieden. Die Gegenveranstaltung ist die eigentliche Veranstaltung des Tages.
Polizei verhindert Krawall am Steintor
Während Tausende ein klares, friedliches Zeichen setzen, sieht die Lage am Steintor lange Zeit anders aus. Dort gerät die eigentliche Hagida-Demo zwar zu einem Randaspekt des Tages – doch beinahe wäre der Tag doch noch von Gewalt überschattet worden.
Ab 17 Uhr sammelten sich die Demonstranten der Hagida ("Hannoveraner gegen die Islamisierung des Abendlandes") zögerlich auf dem Steintorplatz. Etwa eine halbe Stunde später tauchten plötzlich die ersten Protestler gegen die Islamfeinde am Steintor auf. Sie blockierten die Weg vom Steintorplatz zur Georgstraße und versperrten so den Hagida-Anhängern, die eigentlich zum Opernplatz ziehen wollten, den Weg. Zusätzlich postierte sich eine größere Gruppe Linksautonomer auf dem Steintorplatz. Sie riefen Parolen wie "Kein Mensch ist illegal, Bleiberecht überall" und entrollten Transparente.
Die Polizei wirkte in dieser Phase überfordert. Die Beamten erweckten nicht den Eindruck, als könnten sie die beiden Gruppen voneinander trennen. Die Linksautonomen hatten ursprünglich zwei Kundgebungen gegen Hagida angemeldet, die Anmeldungen aber dann wieder zurück gezogen, um zur Blockade des Steintorplatzes aufzurufen. Der Aufmarsch der Gegendemonstranten war also nicht offiziell genehmigt. Dennoch ließ die Polizei die Gegendemonstranten zunächst gewähren.
Als die ersten Böller und Klopapierrollen auf die Teilnehmer der Hagida-Kundgebung flogen, trennten die Einsatzkräfte die beiden Lager mit einer Polizeikette. Wenig später spaltete sich aus der Gruppe der Islamfeinde eine etwa 30-köpfige Gruppe zum Teil vermummte Hooligans ab. Sie provozierten die Gegendemonstranten und griffen Journalisten an. Mindestens eine Kamera wurde beschädigt. Die Polizei musste mit massiver Gewalt einschreiten, um Schlimmeres zu verhindern. Vier Hagida-Teilnehmer wurden vorläufig festgenommen. Gegen sie wird wegen Zeigen des Hitlergrußes, Sachbeschädigung, versuchter Gefangenenbefreiung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ermittelt. Derweil blockierten die Anti-Hagida-Demonstranten den Weg der Islamfeinde. Als aus den Reihen der Linksautonomen Böller, Flaschen und Steine flogen, setzten die Beamten Schlagstöcke und Pfefferspray ein. Die Polizei versuchte mehrfach, den Hagida-Teilnehmern den Weg vom Steintorplatz zum Opernplatz frei zu halten. Doch immer wieder blockierten die Hagida-Gegner den Weg. Um kurz vor 19 Uhr erklärte die Polizei per Lautsprecherdurchsage, der Versammlungsleiter der Hagida habe die Versammlung soeben für beendet erklärt. Unter den Gegendemonstranten brach Jubel aus.