Dortmund: Paradigmenwechsel bei "Schmuddel"-Demo am 31.03.

Antifa-Demo 2010

Am 28. März 2005 wurde der Punk Thomas "Schmuddel" Schulz von dem damals 17-jährigen Neonazi Sven Kahlin ermordet, weil Thomas die rechten Sprüche des Naziskins nicht unkommentiert stehen lassen wollte. Kurz darauf demonstrierten mehr als 4.000 Antifaschist_innen in Dortmund gegen Neonazis. Dazu hatte ein breites Bündnis antifaschistischer Gruppen aufgerufen. Seither organisieren Dortmunder Antifaschist_innen jedes Jahr eine Demonstration in Gedenken an Thomas Schulz, an der regelmäßig mehrere Hundert Personen teilnehmen. Der alljährliche Aufzug zum Monatswechsel vom März zum April ist weitläufig auch als "Thomas-Schulz-Gedenkdemo" oder kurz "Schmuddel"-Demo bekannt.


Im Zuge der Nachbereitung der jährlichen Demonstrationen und der Reflexion unserer Erinnerungspolitik, wurde zunehmend eine Diskrepanz zwischen unseren Ansprüchen und Zielvorstellungen auf der einen Seite und der praktischen Entwicklung und öffentlichen Wahrnehmung der Demo, auf der anderen Seite wahrnehmbar. Wir wollen deshalb im Folgenden begründen, weshalb wir die kommende Demo im März 2012 nicht mehr als "Thomas-Schulz-Gedenkdemo" verstanden wissen wollen.

 

Um nicht missverstanden zu werden: Mit dieser Entscheidung, geht keinesfalls eine Entsolidarisierung mit Thomas Schulz einher. Wir wollen lediglich den Ergebnissen unserer Diskussionen Rechnung tragen, dass wir uns fortan vor allem in Bezug auf die öffentliche Wahrnehmung nicht mehr auf Thomas Schulz allein fokussieren wollen. Zwar ist der Jahrestag seiner Ermordung nach wie vor der ursprüngliche Anlass für diese Demonstration und wir werden auch weiterhin den rechten Mord, sowie diese und nachfolgende Gewalttaten seines Mörders thematisieren, allerdings wollen wir die theoretische Auseinandersetzung auf alle Formen und Betroffene von rechter Gewalt ausweiten. Denn zum einen beweisen nicht nur 182 Todesopfer rechter Gewalt, dass der Neonazismus und mit ihm verwandte bzw. in ihm eingeschriebene Ideologien mörderisch sein können. Zum anderen geben uns die rechten Gewalttaten speziell der Dortmunder Neonaziszene leider immer wieder Anlass, auf die Straße zu gehen. Beide hier angesprochenen Aspekte verdeutlichen damit zugleich auch die vielfältigen Artikulationsformen rechter Gewalt (Brandanschläge, Psycho-Terror, Übergriffe, Morde...) und machen klar, dass rechtsmotivierte Gewalt nicht nur durch Neonazis ausgeübt wird, sondern vor allem auch durch Angehörige der Mehrheitsgesellschaft. Wir erweitern in diesem Zusammenhang also lediglich unsere Theorie vom Begriff der rechten Gewalt.

Ein zweiter wichtiger Aspekt, den wir hier ansprechen wollen, ist die Tatsache, dass wir die anstehende Antifa-Demo nicht mehr nur nicht als "Gedenkdemo" bezeichnen wollen, sondern das auch zukünftig unserem Verständnis zuwider läuft. Wir sind unzufrieden mit den bisherigen Formen antifaschistischer Gedenkpraktiken: Diese orientieren sich - aus Ideen- oder vielleicht auch aus Perspektivlosigkeit von Gedenkritualen überhaupt - zumeist nur an christlich oder militärisch konnotierten Ritualen, wie Kranzniederlegungen oder Schweigeminuten. Wir finden diese Formen (die wir zum Teil selbst jahrelang praktiziert haben) nun eher weniger sinnvoll, weil sie unserer Einschätzung nach nicht das zum Ausdruck bringen können, was wir uns als Teil der radikalen Linken wünschen: nämlich kein stilles Gedenken, sondern eine Kritik und praktische Politik, die darauf abzielt, jene bestehenden Verhältnisse analytisch zu fassen und abzuschaffen, die neonazistische und rechte Gewalt überhaupt erst ermöglichen. Mit einem in sich gekehrten (auch kollektiven) Gedenken ist dies kaum möglich, zumindest wenn es lediglich auf individuelle Trauerprozesse gerichtet ist. Es geht uns natürlich nicht darum, diese jemandem abzusprechen, doch in Bezug auf unsere kommende Demo, erscheinen uns solche Gedenkrituale für unsere zukünftige Ausrichtung von Erinnerungspolitik nunmehr unpassend.

Die Demo am 31.03. soll also zumindest unseren Vorstellungen nach nicht mehr als "Thomas-Schulz-Gedenkdemo" bezeichnet und verstanden werden. Inwiefern sich dieser Paradigmenwechsel nun auch in der praktischen Umsetzung und der öffentlichen Wahrnehmung niederschlagen wird, bleibt abzuwarten. Man erkennt in diesem Text vielleicht die Schwierigkeiten, die wir bei der Formulierung dieses Textes haben, schließlich gab es nach unserem Kenntnisstand bisher keine öffentliche Diskussion über Sinn und Nutzen antifaschistischer Gedenkpraktiken.

Dieser Text spiegelt den bisherigen Stand unserer Diskussionen wieder und stellt somit kein absolutes und geschlossenes Kapitel dar. Wir sind gerne zur Diskussion über das Thema bereit und freuen uns auf konstruktive Beiträge und Kontaktaufnahmen. Abschließend bleibt zu sagen, dass wir mitten in der Planung für die antifaschistische Demonstration am 31.03. sind und euch bald über den Stand der Dinge informieren werden.

Neonazis und deutsche Zustände bekämpfen!
Kein Opfer rechter Gewalt wird von uns vergessen -
Keinem Täter wird vergeben!

Dortmunder Antifa-Bündnis,
Januar 2012

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sehr gute idee. da habt ihr meine volle unterstützung!

 

hoffe zu der demo kommen dieses jahr mal mehr leute. sollte doch möglich sein im ruhrgebiet 1000 leute auf die beine zu stellen.

(A)

"...  dieses Textes haben, schließlich gab es nach unserem Kenntnisstand bisher keine öffentliche Diskussion über Sinn und Nutzen antifaschistischer Gedenkpraktiken...." Ähem, bei Euch in Dortmund vielleicht.

Das was hier abgelassen wird ist derart flach, dass man schon ins fremdschämen kommt. Und das mal wieder ein "richtiges" und ein "falsches Gedenken" erfunden wird ist echt Dortmund-typisch!

Und das das mal wieder aus dem Anti-D Spektrum kommt, um antifaschistischen Widerstand für sich zu vereinnahmen. Ihr lernt es nie!

na dann wirf doch mal ein paar ideen ein!

 

es wurde nichts von "falschem" gedenken gesagt. nur, dass wir (jährliche teilnehmer der demo) mal was anderes probieren wollen. weg von dem bekannten und traditionellem.

 

was sollen die anti-d vorwürfe? in dortmund gibt es super viele antifaschistische gruppen und viele davon arbeiten im dortmunder antifa bündnis zusammen.

 

ich find die anti-d ideologie auch scheiße, aber ich bezeichne nich gleich alles als anti-d nur weils mir nich gefällt.

Wie langweilig. Außer mit Scheiße schmeißen kannst du wohl nicht viel, oder? Alles was aus Dortmund kommt und in Dortmund gemacht wird, ist natürlich irgendwie antideustch geprägt, gell? Dass du nach all den Jahren immer noch in so starren Kategorien denkst wundert mich allerdings nicht. Bei einer guten und notwendigen Kritik ist mir der Urheber fast egal, sofern er die Analyse fundiert ist und den richtigen Zielen dient.

Und wer oder was wird hier noch gleich vereinnahmt?

anstatt hier so altklug deine phrasen zu dreschen, könntest du dir doch mal drei minuten zeit nehmen und entweder einen der angeblich so zahlreichen texte und positionspapiere zum "Sinn und Nutzen antifaschistischer Gedenkpraktiken" der interesseierten indy-gemeinde zu verfügung stellen und uns damit eines besseren belehren und/oder du könntest mit ein paar mehr sinnvollen stichpunkten erklären, warum und in welchen punkten konkret du den text für flach hältst. man könnte ja den eidnruck gewinnen, dass es dir nur um den shitstorm gegen dortmunder strukturen geht. das war doch sicher nciht deine intention, oder?

 

ps: "antifaschistische[r] Widerstand" -> rofl. was für ein sprachduktus. aus welchem jahrhundert kommst du denn?

Danke für das Papier und den Anstoss einer Diskussion darüber!

Allerdings wirft es -was es vielleicht ja auch soll?- zunächst mehr Fragen auf, als dass es Antworten gibt. Zum Beispiel...

1) Einerseits wollt ihr neue Formen des Gedenkens entwickeln, andererseits die jährliche Demo zur (wichtigen!!!) Erinnerung an den Mord an T. Schulz nicht dafür nutzen, sondern lieber gleich die volle Gesellschaftskritik ansetzen? Warum das?

2) Welche "christlichen" oder "militärischen" Gedenkpraktiken meint ihr denn genau? Weder die Gedenkdemo für "Schmuddel", noch die Kundgebungen an der U-Kampstraße ließen sich als solche kategorisieren!

3) Wer sind denn bitte "Angehörige der Mehrheitsgesellschaft", von denen ihr meint dass sie "Brandanschläge, Psycho-Terror, Übergriffe, Morde..." verüben würen???? Ich als weisse Frau mit deutschem Pass oder mein Bruder vielleicht? Das kommt mir höchst dünnsinnig vor, ehrlich!

(Klar gibt es gesellschaftlichen Rassisimus. Klar muss auch der bekämpft werden. Aber das jetzt munter durcheinanderzumischen mit dem besonders in Dortmund exessiv ausgeübten Rechtsterrorismus (insbesondere übrigens gegen "Angehörige der Mehrheitsgesellschaft"!!!) geht gar nicht!!!)

4) Wen wollen wir denn für den antifaschistischen Kampf gewinnen, wenn wir uns gegen alle und jede_n abgrenzen? Recht haben und behalten kann ich auch alleine, kein Problem! Aus 3) würde ich schlussfolgern, dass wir uns mit allen Opfern rechter Gewalt solidarisieren müssen und nicht sagen a) "echte" Opfer und b) "eigentlich-selber-Täter"-Opfer! MIT den Menschen kann ich bei ihnen eine Entwicklung (im Kopf) anstoßen. NICHT GEGEN SIE! Wer mich beleidigt oder ausgrenzt, mit dem will ich keine Politik machen. Ganz nachvollziehbar. Dadurch haben sich solche Leute um die Chance gebracht, dass ich ihren Argumenten zuhöre und ihenn ggf. auch folge!

Werdet nicht solche Besserwisserantifas und bereitet keinen Boden für Spaltungen!

Danke.

zu 1.: Ich denke das der Gedanke dabei ist, das Augenmerk der Demo nicht mehr auf eine Einzelperson (Schmuddel) zu legen, sondern sich mit rechter Gewalt ansich zu beschäftigen und sich mit allen Betroffenen zu solidarisieren. Dabei soll versucht werden unsere Gesellschaft als nährboden dieser rechten gewallt zu kritisieren und nicht nur an einzelne Todesopfer oder Betroffene zu erinnern.

 

zu 2.: Mit Christlichen oder Militärischen Gedenkpraktiken sind wie im Text steht meines erachtens Schweigeminuten, Kranzniederlegung, Heldenehrungen ect. gemeint. Schweigeminuten und Blumen Niederlegungen haben sehr wohl auch in Dortmund stattgefunden.

 

zu 3.: Angehörige der Mehrheitsgesellschaft sind z.B. Politiker_innen von FDP, CDU, SPD, Grüne und alles was noch weiter rechts  zu findenist. Diese ebnen mit ihrer Relativierung rechter Gewalt, mit ihrem Extremismus gefasel, den Weg für rechte Schläger, Mord und Psychoterror. Die mMhrheitsgesellschaft schaut weg und interessiert sich nicht für die Probleme die Einzelne mit den Nazis haben. Falls du aus Dortmund kommst kann ich dir des weiteren nahe legen in die Ausstellung über Opfer rechter Gewalt zu gehn die momentan in der Petrikirche aufgebaut ist (bis zum 28.01. noch). Dort werden die 182 gezählten Opfer thematisiert. Es wird trauriger Weise auch deutlich das eine Masse an Morden eben nicht von Rechtsradikalen verübt wurden, sondern von "Angehörige der Mehrheitsgesellschaft", die dies mit rechten Motieven taten (z.B. Verachtung von Obdachlosen, Homosexuellen, ...). Die "Angehörige der Mehrheitsgesellschaft" verüben tatsächlich zum teil selber, andere Relativieren das Problem und setzen Betroffene und Täter teilweise auf eine Ebene. Selbstverständlich kann das nicht mit rechtsradikalen Tätern gleichgesetzt werden, thematisiert werden muss es dennoch!

 

zu 3.: Es wird sich nicht gegen alle und jede_n abgegrenzt. Es werden Denkanstöße bzw. der Stand der eigenen Diskusion der Antifas dargestellt. Kritik am bisherigen Verhalten sollte sich jede_r Mensch zu Herzen nehmen können ohne sich beleidigt zu fühlen. Das du als Mensch, die auf Antifademos geht und sich aktiv gegen rechte Gewallt äußert, nicht zur Mehrheitsgesellschaft gehörst, hättest du dir denken können, wenn du das obengelesene verstanden hättest. Das du das als eine Beleidigung gegen dich wertest weil du es nicht verstehst ist dümmlich. Eine einfache Bitte es dir zu erklären, die fFage was damit gemeint ist, vllt sogar einfach als Mail an die Verfasser_innen des Textes, wäre reflektierter gewesen.

Dümmlich finde ich deinen Begriff von "Mehrheitsgesellschaft". Dass weiße Leute (vor allem wenn sie Heten, nicht aus der powerty class, nicht-"behindert" usw. sind) hier nicht dazugehören, wenn sie zum Antifa-Klüngel zählen, ist ja echt mal ne einfache Art, sich von allererlei Privilegierungs- und Herrschaftsverhältnissen freizusprechen und mit moralischem Überlegenheitsgefühl anderen zu erklären, dass sie dümmlich sind, wenn sie dir in deinem "Antifas sind nicht böse, dafür aber alle anderen" nicht folgen.

Der Begriff suggeriert in alter antiimperialistischer Manier eine mögliche Trennung in Gut und Böse. Dort die böse Mehrheitsgesellschaft, die die armen Minderheiten unterdrückt und per se unglaublich privilegiert ist. Unermesslicher Reichtum auf der einen und grauenvolle Unterdrückung auf der anderen Seite.

 

Deutschland 2012 ist aber keine Sklavenhaltergesellschaft: Ist Barack Obama Teil der unterdrückten Minderheit? Was ist mit der schwarzen Professorin, die monatlich 4000 Euro verdient, um auf linken Veranstaltungen den vor sich hin knapsenden Studis zu empfehlen, doch mal über ihre Privilegien nachzudenken? Wird der türkische Unternehmensberater von der weißen alleinerziehenden Mutter so unheimlich unterdrückt?

 

Es reichen wenige Sekunden aus, um sich zu vergegenwärtigen, dass dieses ganze Gelaber von Mehrheitsgesellschaft, von Privilegien etc. keine analytische Kraft hat, weil Gesellschaft viel zu komplex für ein Schwarz-Weißbild ist und zu nicht viel mehr dient als bestimmten Leuten Fördergelder, Promotionsstipendien oder moralische Überlegenheit zu bescheren.

"Der Begriff suggeriert in alter antiimperialistischer Manier eine mögliche Trennung in Gut und Böse."

Quatsch. Hier geht's doch nicht um Moral, sondern um eine Gesellschaftsanalyse (die übrigens mit antiimperialistischen Theorien nichts zu tun hat).

Und dass in unserer Gesellschaft Leute leider unterschiedlich privilegiert sind, ist nun mal ne Tatsache.

Bleiben wir mal bei Deutschland. Hier hat auch niemand behauptet, dass es sich um eine Sklavenhaltergesellschaft handelt (wobei ich gerade für die Antike (traditions-)marxistische Gesellschaftsanalysen für schwach halte, aber offtopic). Denn neben dem Faktum, dass sich sowohl Schwarze Lohnarbeiterin als auch weiße Lohnarbeiter  als formell gleiche (sofern sie beide den deutschen Pass haben) gegenübertreten, gibt es in unserem schönen Deutschland noch immer vergeschlechtlichte und rassifizierende Diskriminierung. Die Folge daraus ist, dass die allermeisten Professor_innen bürgerliche, weiße Männer sind - mir fällt auch spontan keine einzige Schwarze Professorin ein (eine PoC, nämlich Nikita Dhawan). Aber das liegt wahrscheinlich sowohl in der Natur der Frau wie auch in der Natur von Schwarzen und PoCs, nicht wahr?

Dass der türkische Unternehmensberater nach wie vor die Ausnahme ist, ist für dich wahrscheinlich tatsächlich eine Überraschung. Zumindest gilt das für viele Antifas, die aus weißen bürgerlichen Vierteln kommen und ihre wilden Jahre im besten Fall in der Dortmunder Nordstadt ausleben, weil das ja irgendwie so rebellisch ist (Kontakt zu Ayse und Ali haben sie hier aber auch nicht wirklich, aber wayne).

Du heulst rum, dass "bestimmte Leute" besonders gefördert werden. Ist ja auch jammerschade, dass es nicht mehr wie damals ist, als man seiner Frau  noch sagen konnte, was sie zu tun und zu lassen hat. Jetzt soll strukturellem Ausschluss sogar entgegengewirkt werden. Patriarchat und Rassismus: Alles Sachen, die es in deiner Welt nicht zu geben scheint (Von Interdependenz oder Intersektionalität ganz zu schweigen, aber ist vllt zu wenig Schwarz-weiß Denken wenn ich mt sowas anfangen würde).

Ich fänd's ja auch cooler, wenn wir uns nur darum kümmern müssten, die Produktions- und Distributionsverhältnisse zu ändern. Habe aber leider meine Zweifel, dass damit auch all die "Nebenwidersprüche" (die du ja nicht mal als irgendwelche Widersprüche siehst) verschwinden würden.

 

Soo, zwei Minuten in Rage geschrieben und eigtl keine Lust mehr son rumgetrolle auch noch weiter zu kommentieren..

und genau da liegt das Problem: es geht den Schwaflern von Mehrheitsgesellschaft und Privilegien nicht darum, die Gesellschaft zu analysieren, um sie grundlegend ändern zu können, sondern darum, anhand einer simplen und an den Interessen von Lobby-Gruppen ausgerichteten Unterteilung der Gesellschaft in böse Mehrheitsgesellschaft und irgendwie unterdrückte Minderheit, pauschal ganze Gruppen von Menschen zu privilegieren, ob die einzelnen es wirklich nötig haben oder nicht, spielt hierfür keine Rolle.

Nicht mehr radikale Gesellschaftskritik, sondern liberale Umverteilungspolitik zwischen Interessengruppen ist Euer Ding. Dass man da auf einer linken Internetseite Widerspruch erntet, dürfte eigentlich nicht überraschen.

Okay. Du findest also, dass Kritik an Antisemitismus, Rassismus und (stukturellem) Patriarchat keine "radikale Gesellschaftskritik" ist, sondern nur liberales Geschwafel und Politik für "Interessengruppen". Diese Gruppen haben wohl irgendwie die politische Entscheidungsmacht an sich gerissen oder planen dies zumindest, steuern sie auf jeden Fall schon heute soweit, dass "liberale Umverteilungspolitik" in ihrem Sinne betrieben wird. 

Tatsächlich habe ich noch nicht ganz verstanden, was denn "linke" Politik für dich bedeutet und warum Antisexismus, Antirassismus und Vorgehen gegen andere strukturelle Unterdrückungssysteme und Wahnvorstellungen nicht zu linker, sondern ausschließlich liberaler Politik gehören. Klassenwiderspruch gibt's laut deiner Analyse wohl auch nicht, oder? (Zumindest, wenn du dich von antiimperialistischen Denkgebäuden los- und gegen Politik im Interesse von strukturell Ausgeschlosssenen aussprichst, oder habe ich dich da missverstanden?)

 

Aber ich will mal probieren Gemeinsamkeiten zu suchen: Ich gehe mal davon aus, dass wir zumindest ähnliches wollen (befreite Gesellschaft, also Kommunismus oder so). Grundlage dafür ist unsere Gesellschaftsanalyse und die (radikale Gesellschafts-)Kritik, die wir aus unseem Gesellschaftsverständnis entwickeln.

Aus einer hinsichtlich mancher Aspekte ähnlichen Gesellschaftsanalyse müssen aber nicht zwangsläufig die gleichen Schlussfolgerungen gezogen werden. Nur weil Linksliberale hinsichtlich Privilegierung und strukturellen Benachteiligungen bei Quoten stehenbleiben und keine radikal-emanzipatorischen Gegenforderungen aufstellen, liegen sie hinsichtlich der Diskriminierung nicht logischerweise daneben. Sie betreiben nur Realpolitik, wenn sie strukturellen Ausschluss bekämpfen, was ich auch niemandem verwehren mag, der_die von Diskriminierung betroffen ist. Auch wenn das Leuten, die Anfang 20, im Bachelor und ach so radikale Kommunist_innen sind, aber in ihrem Leben noch nie vor größeren Problemen standen, aufstoßen mag.

 

(Muss gestehen, dass ich grad nicht mehr meine Gedanken vernünftig ausformuliert bekomme, deswegen vllt morgen noch mehr dazu, würde mich über ne Antwort aber auch schon vorher freuen.)

 

Zum Schluss noch eine Parole: Für eine Interessenpolitik in meinem und unser aller Sinne, für den Kommunismus!

(Oi!)

Ob Kritik radikal ist bemisst sich daran, ob sie eine Oberflächenerscheinung kritisiert oder versucht an der Wurzel anzusetzen. Wer bei Rassismus nicht die nationalstaatliche Verfasstheit der Welt und damit die kapitalistische Verfasstheit in den Blick nimmt, sondern Rassismus zu einem individuellen, moralischen Problem (der Mehrheitsgesellschaft) degradiert, der formuliert eine Gesellschaftskritik, die nur hier und da die Chancen und Ressourcen etwas anders verteilen möchte und das ist klassisch (links-)liberal.

Mit anderen Worten, ich beziehe mich nicht auf die Themenwahl, sondern auf die Zielsetzungen, der Vertreter dieses Standpunktes. 

 

Auch würde ich nie behaupten, dass Menschen nicht strukturell benachteiligt sind. Mein Punkt ist die platte Pauschalisierung. Ein strukturelles Verhältnis, ist ein strukturelles und kein individuelles. Deshalb kann es eben sein, dass ein Barack Obama oder eine schwarze Professorin privilegierter sind, als die kleinen linken Studis, denen immer dieser ominöse bürgerliche Hintergrund unterstellt wird. "Privilegiert" ist eben auch keine analytische Kategorie, wer ist hier "privilegierter", wenn Du schon Interdependenz/Intersektionalität ansprichst: die schwarze gehbehinderte Stpendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung oder der weiße Pädophile, der seit 23 Jahren in der Psychatrie steckt? oder wie vergleicht man die Privilegien einer lesbischen, schwarzen Führungskraft mit denen des weißen, heterosexuellen Mannes, der mit seinem Lungenkarzinom noch drei Wochen zu leben hat? Gesellschaftskritik ist mit Grundschulmathematik nicht beizukommen.

 

Diese ganzen Begriffe wie Privilegien, Mehrheitsgesellschaft etc. sind Kategorien aus dem Anti-Diskriminierungsdiskurs, wo es um die Generierung von Gruppen geht, um sie dann mit Privilegien auszustatten und genau darauf will "fuy who doesn't care about 44" hinaus, wenn er bzw. sie schreibt "wenn sie Heten, nicht aus der powerty class, nicht-'behindert' usw. sind" (sic). Wer schon mal mit jemandem des gleichen Geschlechts ins Bett gesprungen ist, wer einen "Migrationshintergrund" hat etc. ist absolutiert, der wird unter Naturschutz gestellt und ist gegen jeden Vorwurf zu verteidigen. Man denke an die widerliche Parteinahme für islamische Unterdrückung durch "Feministen".

Die einzigen, die sich mal bitte politisch korrekter verhalten sollen, sind die Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft. Dass es aber niemanden zu einem besseren Menschen macht, weil man eine von der Norm abweichende Sexualität oder Hautfarbe hat, ist so banal, dass wenn ich niemanden, der so etwas behauptet, für bekloppt halten möchte dann von Interesse ausgehen muss. 

Ich habe Verständnis für jede Lobbygruppe dieser Welt, für jede minoritäre Gruppe, die versucht ein größeres Stück vom Kuchen abzuhaben, ich sehe es nur nicht als radikale, und damit auch nicht als meine, Gesellschaftskritik und verbitte mir einfach den moralischen Zeigefinger und die moralische Empörung.

Ein großer Teil der deutschen Antifas ist natürlich Teil der (weißen) deutschen Mehrheitsgesellschaft, hat oft einen gut (aus)gebildeten familiären und sozial abgesicherten familiären background etc. Dieser Privilegien sollte man sich bewusst sein. Nichtsdestotrotz ist ein großer Teil eben jener Mehrheitsgesellschaft für alltägliche Diskriminierungs- und Unterdrückungsmechanismen (mit)verantwortlich.

Als wenn diejenigen, die nicht Teil der "(weißen) deutschen Mehrheitsgesellschaft" sind, was auch immer das sein soll, genauso "für alltägliche Diskriminierungs- und Unterdrückungsmechanismen (mit)verantwortlich" sind.

aso, die leute sind also selbst für ihre eigene unterdrückung veratnwortlich? stupid. is ja noch schlimmer als diese "wenns dir schlecht geht, mach doch yoga"-ideologie..

ich will aber auch nicht sagen, dass privilegierte schuld für i-was sind - es geht hier verdammt noch mal nicht um moral. it's the system.

es geht darum, gemeinsam, aber unserer differenz bewusst, solidarisch für eine bessere gesellschaft einzutreten. wos allen gut geht un so.. bäm!

Was ich bei Deiner Argumentation nicht verstehe ist folgendes:

Zum einen verwahrst Du Dich dagegen, dass Menschen, die von Verhältnissen nicht profitieren, sie doch mittragen, also auch mitverantwortlich sind. Du bist Dir da sogar so sicher, dass Du jemanden, der da nicht Deiner Meinung ist als "stupid" bezeichnest. Dann sagst Du aber, dass es das System ist. 

Muss man sich da nicht entscheiden? Oder sind die migrantische Bundestagsabgeordnete, die für den "Asylkompromiss" stimmte oder der türkische Journalist nicht Teil des "Systems"? Warum festigt ein biodeutscher Vergewaltiger das patriarchale System, ein migrantischer aber nicht?

Es steht nicht in Frage, dass beispielsweise Frauen oder Migranten einen deutlich geringeren Einfluss auf das "System" haben als weiße Männer. Aber wie kommst Du darauf, dass sie nicht Teil des Systems sind?

Über eine erklärende Antwort würde ich mich freuen.

Bleibt doch mal konkret, Leute: es ging darum die Gedenkkultur zu hinterfragen.