[Moskau] Interview mit einem Anarchist zu den heutigen Protesten

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Am 4 Dezember fanden in Russland Parlamentswahlen statt. Wie es schon in der letze Jahrzehnt üblich geworden ist, waren sie durch eine massive Wahlbetrug im Sinne der Regierungspartei Einiges Russland geprägt. Diesmal hat es aber die größte Protestwelle seit mehreren Jahren ausgelöst. Und wie diese Tage viele Beobachter*innen berichten, sind auf die Straßen die Menschen gegangen, die früher nie politisch aktiv waren. Am 10. Dezember waren in vielen Städten protestaktionen angekündigt. Die größten davon fanden in Moskau statt. Trotz enormen Polizeiaufgebot nach unterschiedlichen Einschätzungen sind Heute in Moskau auf die straßen von 30 bis über 100 Tausend Menschen gegangen. Auch die Anarchist*innen haben am Protest teilgenommen.

 

Ihr werdet bestimmt Heute noch in Medien einiges von diesen Protesten mitkriegen.
Hier ist ein kurzes Interview mit einem Anarchist aus Moskau, der Heute dabei war.

 

- Die Ganze Woche hats gebrodelt. Einige haben von nichts Besonderem geredet, andere von einer Revolution. Was denkst du, wie ist die Stimmung in Moskau?

ich denke die Leute sind einfach müde, dass sie angelogen werden. Und sie wollen einfach etwas dagegen sagen.

- Wer ist auf die Straßen gegangen? Es wird berichtet, dass es viele junge Leute dabei waren?

Es waren wirklich viele Jugendliche, aber vor allem die mittlere Generation, die kein Bock mehr auf diese Verarschung hatten.

- Was denkst du, gehen sie wieder auf die Straße?

Ich denke, es werden noch ähnliche Kundgebungen und Demonstrationen geben und hoffe, dass noch mehr Menschen kommen.

- Wie war die Stimmung?

Ungerechtigkeit. Das Gefühl der Ungerechtigkeit war dominierend.

- Und wie entschlossen waren die Menschen?

Das die Leute auf die Straße gegangen sind und dieses banale Schweigen aufgehoben haben. Das ist schon was.

- Ist alles friedlich gelaufen? Sind die Menschen noch nicht richtig sauer geworden?

Es war friedlich, die die gekommen sind, waren die einfachen Stadtbewohner*innen, die kein Bock auf Schlägereien mit der gut bewaffneten und organisierten Polizei hatten.

- Und wie waren die Bullen drauf?

So wie ich verstanden hab, haben sie einen Befehl bekommen, keine Leute ohne grund festzunehmen.
 
- Ok. wie ist es gelaufen? Am Anfang habt ihr euch also auf dem Platz der Revolution versammelt?

Ja. Erst sind wir durch die Metalldetektoren durch. Haben uns versammelt und dann sind wir geschlossen auf den Bolotnaja Platz gegangen. In unserem Block waren ein Paar Hundert Leute.

- was ist mit trotzkistischen/stalinistischen Gruppen und anderen Sozialist*innen?

Wir wollten uns von den anderen klar abgrenzen. Eine Zeit lang waren die Rechten mit Imperiums- und "world wide white pride" Fahnen hinter uns. Sie wurden von uns ausgepfiffen und suchten deswegen einen anderen Ort, um Auseinandersetzungen zu vermeiden. Neben uns standen noch die Leute aus der "Linken Front".

- Wie haben die Menschen auf die Imperiums-Fahne und auf das keltische Kreuz reagiert?

ich hab nur verbale Auseinandersetzungen mitgekriegt, mehr nicht.

- und auf den Anarcho-Block? Haben die Leute eure Flyer angenommen?

Viele haben uns gefragt, wer wir sind, was unsere Fahnen bedeuten, Flyer wurden mitgenommen, auch einige Magazine gekauft. Aber wenn wir uns der Bühne näherten und unsere Parolen gerufen haben, wurden wir von einigen als Provokateure beschimpft. Ein Mann hat gefragt, wo er sein Auto parken muss, damit wir es nicht abfackeln. Wir haben ihm dann erklärt, dass wir sein Auto nicht abfackeln wollen. Er hat sich uns dann angeschlossen :)

- Was haben die Anarchist*innen erwartet?

Wir haben damit gerechnet dass wirklich viele Menschen kommen werden. Wir waren ruhig, aber haben auch mit allem gerechnet.

- Gab es eine Entscheidung im Vorfeld sich "ruhig" zu verhalten? Also, keine Nazis, Bullen oder irgendwelche Vitrinen da ein/zusammen zuschlagen?

Bei so einem riesigen Polizeiaufgebot war es selbstverständlich, dass sowas nicht geht. Es gab niemanden, der sowas machen wollte. Und in sozialen Netzwerken im Vorfeld gab es schon einige Aufrufe und Überlegungen, wie Menschen sich zu verhalten haben.

- Was meinst du, hat sich irgendwas für die Anarchist*innen nach diesem Tag geändert? Vielleicht die Stimmung?

Ich denke, es könnten mehr von uns da sein. Und ätzend ist, dass mich das Gefühl nicht verlässt, das wir wie Statist*innen für die liberale Opposition waren. Wir konnten leider nicht wirklich laut unsere Position an die Menschen herantragen.

- Ich denke, viele haben mitgekriegt, dass Anarchist*innen auch da waren. Und die Mehrheit hat eh nichts mit der liberalen Opposition am Hut, dann ist es auch ein guter Ort gewesen an die Menschen ranzukommen. Schließlich, es ist viel besser, als zu Hause zu sitzen.

Aber wir müssen auf die andere Ebene kommen. Mein Eindruck ist, dass wir nichts entscheiden, sondern nur eine neue Regiurung zur macht bringen, die aber nicht besser wird

- Ok. Und was ist die Meinung der anarchistischer Bewegung, was ist damit zu machen?

Ich kann für die Bewegung nicht sprechen. Meine Meinung ist, dass wir näher an den Menschen sein sollten und unsere Position in deutlicher Form und klarer Sprache an die Öffenlichkeit bringen müssen. So wie es Navalnyj[ein sehr bekannter Populist] macht, nur mit der Kritik der staatlichen Strukturen.

- Navalnyj ist aber ein (extrem)rechter Populist.

Das ist das was ich meine, dass ich nicht für ihn und andere Politiker*innen, die unser Blut trinken, ein Statist sein will. Wir brauchen eine starke Aufklärungskampagne, dass der Regierungswechsel prinzipiell nichts ändert.

- Wie wird sich die Situation weiter entwickeln? Kommt jetzt die Revolution, wenn auch eine seeehr kleine?

was für eine Revoluton? :)

- Vielleicht eine kleine weisse, slawische, winterrevolution [so wurden heutige Ereignisse schon von einigen Publizist*innen bezeichnet]. Vielleicht eine Schneerevolution? Gibt es überhaupt Schnee?

Heute ist grad Schnee gefallen und sich sofort in Matsche verwandelt. Sehr symbolisch.

- du guckst also eher pessimistisch in die Zukunft ?

Ich glaube eine freie Gesellschaft bricht morgen nicht aus.

- Na gut, aber vielleicht ist die Tatsache, dass so viele auf die straße gegangen sind, obwohl sie wussten, dass sie festgenommen und zusammengeschlagen werden können, ein Zeichen, dass sie auch etwas freier geworden sind?

Ja. Im Bewusstsein sind sie bestimmt etwas freier geworden und ich hoffe, dass sie ihre Meinung weiter auf diese Art Ausdrücken werden.