Leipzig: staatstragender Antifaschismus

Nazistrukturen zerschlagen

Gegen den geplanten Vortrag des Neonazis Karl-Heinz Hoffmann im Leipziger NPD-Büro in der Odermannstraße am kommenden Samstag wird es zwei Demonstrationen geben. An einer will sich der Oberbürgermeister der Stadt Leipzig beteiligen. Was hat es damit auf sich?

Nachdem bereits die antifaschistische Kampagne „Fence Off“ eine Demonstration für den kommenden Samstag angekündigt hat, will auch der Verein des Erich-Zeigner-Haus eine Demonstration durchführen. Wie die Stadtverwaltung am Montag mitteilte, hatte der Verein den Protestzug vom Lindenauer Markt durch die Odermannstraße angemeldet.
In der Presse heißt es weiter:

An der Demonstration will auch Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) teilnehmen. „Leipzig ist eine weltoffene und tolerante Stadt, in der Rassismus und Neonazismus keinen Platz haben“, sagte das Stadtoberhaupt. „Ich werde mich in den gewaltfreien Protest gegen die Veranstaltung im NPD-Zentrum in Lindenau am Samstag einreihen und hoffe sehr, dass viele Leipzigerinnen und Leipziger es mir gleichtun.“ Die Veranstalter gehen von etwa 100 Teilnehmern aus.


Kritische Anmerkungen

Wie beim so genannten "Aufstand der Anständigen" versuchen momentan viele Parteien und Initiativen ihr Image in der aktuellen Debatte um den geraden "entdeckten" rechten Terror aufzupolieren. Im Freistaat Sachsen ist gerade dieser Versuch mehr als ein Schlag ins Gesicht jener Initiativen die mit Repression und staatlicher Gängelung seit Jahren überzogen werden.

Auch in Leipzig sieht es da nicht besser aus, gerade die beiden oben erwähnten AkteurInnen (Verein und Oberbürgermeister) sind dabei durchaus in ihren "Engagement" zu hinterfragen. Der Verein Erich- Zeigner zum Beispiel meldete auch am 8.Mai diesen Jahres eine Demonstration durch die Odermannstraße an, die auch die Kampagne "Fence off" für unterstützenswert hielt. Als es jedoch zu einem verbalen Austausch zwischen DemonstrantInnen und Nazis vor dem Nazi-Zentrum kam, die sich davor aufgebaut hatten um die TeilnehmerInnen zu filmen und zu bedrohen, waren es Personen aus dem Erich-Zeigner Verein, die handgreiflich gegenüber den AntifaschistInnen wurden als diese sich eben nicht von den Nazis einschüchtern ließen.

Der am Samstag zu erwartende Auflauf von KommunalpolitikerInnen und der Stadtspitze ist bemerkenswert, leistet für eine Auseinandersetzung mit den Nazistrukturen und deren Ideologie allerdings gar nichts.

Der Pessimismus ist keine Unhöflichkeit, sondern hat gute Gründe: RepräsentantInnen der Stadt sollten sich zunächst fragen, warum ein Nazi-Zentrum ausgerechnet in Leipzig steht und warum gerade hier die Bedingungen gegeben sind, es über drei Jahre ohne größere Probleme zu betreiben. Eine Antwort darauf könnte sein, dass die Stadt manches beigetragen hat, dass sich die Klientel des Nazi-Zentrums – NPD, „Freie Kräfte“ und Lok-Hooligans – in Leipzig gut aufgehoben fühlt.

Ein Indiz dafür ist, dass die Stadt beispielsweise Anfang 2008 dem wortführenden und gewaltbereiten „Freien Netz“ einen Aufmarsch durch den Stadtteil Reudnitz dadurch ermöglichte, indem der Termin einfach geheim gehalten wurde. Als im Oktober 2009 wiederum das „Freie Netz“ zu einem Großaufmarsch nach Leipzig mobilisierte, konterten der Oberbürgermeister und die Fraktionsvorsitzenden im Stadtrat mit einem Aufruf, dem Aufmarsch der „nationalistischen Brunnenvergifter […] entgegenzutreten“.

Wer sich dieses antisemitischen Vokabulars bedient, setzt sich nicht kritisch mit rechten Ideologien auseinander, sondern ist schon auf sie hereingefallen und aus freien Stücken bereit, sie weiterzutragen. Zurückgenommen wurde dieser Satz übrigens nie. Gar nicht erst öffentlich geäußert hat sich der Oberbürgermeister zu der Ermordung des 19-jährigen Kamal K. im Oktober 2010 vor dem Leipziger Hauptbahnhof durch zwei bekennde Nazis – die Familie des Opfers hat von den am Samstag anwesenden Honoratioren nicht einmal ein Kondolenzschreiben erhalten. Ungleich größer war der Arbeitseifer der Stadtspitze, als zu dieser Zeit noch ernstlich diskutiert wurde, AsylbewerberInnen in Wohncontainern am Rande der Stadt einzupferchen.

Die Planungen der Stadt sahen damals vor, im Stadtteil Thekla ein neues Asylbewerber_innen-Heim einzurichten. Dessen Standort sollte – laut Stadtratsmehrheit – nach explizit rassistischen Gesichtspunkten ausgewählt werden: Die Bewohner_innen sollten fernab kultureller, sozialer und Bildungseinrichtungen, außerhalb von Wohngebieten und urbanen Zentren massenhaft in „Wohncontainern“ untergebracht werden. Dagegen regte sich Protest – der Plan scheiterte letztlich aber daran, dass der Stadt alle eingeholten Angebote zu teuer waren.

Auch das ist keine Provinzposse, sondern entspricht dem Trend der Bundespolitik, Migrant_innen nach ihrem „Nutzen“ für die Volkswirtschaft zu bewerten und damit umgekehrt ganze Bevölkerungsteile für minderwertig zu erklären, zu prinzipiell gescheiterten Existenzen, die man sich – zumal als Nationalist_in – vom völkischen Leib und daher aus Deutschland raus halten solle.

Der Umgang mit dem Nazi-Zentrum schließlich ist ein Lehrstück politischer Ignoranz. Als der Bauantrag vor fünf Jahren gestellt und bewilligt wurde, galt die einzige Sorge der Stadt dem Denkmalschutz. Die Tarnorganisation „Kulturverein Leipzig-West“, der ausschließlich aus Neonazis besteht und in der Odermannstraße 8 als Hauptmieter auftrat, beansprucht sogar Gemeinnützigkeit.

Erinnert sei auch daran, dass schon beim Vorgängerprojekt des NPD-„Bürgerbüros“, dem Grünauer „Kirschberghaus“, genauso taktiert und eine Lösung jahrelang hinausgezögert wurde. Der damals zuständige Jugend- und Sozialbeigeordnete der Stadt ist heute ihr Oberbürgermeister.

Reaktionären Kurs in Sachsen

Gefragt nach bekannt gewordenen Veranstaltungen in der Odermannstraße 8 hat Innenminister Markus Ulbig öffentlich gelogen und hält noch immer Informationen zurück, weil es sich um eine „Verschlußsache“ des Verfassungsschutzes handle. Vor einer Weile ist tatsächlich ein V-Mann im Polit-Umfeld des Nazi-Zentrums aufgeflogen – aber lieber hält man an einem quatschenden 21-jährigen Gohliser Neonazi-Nachwuchs fest, als mit offenen Karten zu spielen und sich klar zu positionieren.

Eine klare Positionierung gibt es stattdessen gegen Linke. Zum einen werden Zivilgesellschafts-Initiativen mit der „Extremismusklausel“ zum Kadavergehorsam gegenüber den autoritären Demokratie-Vorstellungen der Landesregierung verpflichtet und sollen demnächst jede Verlautbarung der Zensur unterwerfen. Zum anderen werden antifaschistische Projekte als „linksextremistisch“ kriminalisiert, mit Hausdurchsuchungen überzogen und zum Gegenstand von Ermittlungen nach dem Gesinnungsparagrafen 129 gemacht. – Unnötig zu erwähnen, dass solche Entwicklungen auch in der aktuellen Debatte nicht zum Thema des Protests gemacht werden.

Das verrät schon alles über den staatstragenden Antifaschismus, mit dem wir es gerade wieder zu tun haben: er betätigt autoritäre Hebel, entwaffnet die nötige Kritik rechter Ideologien und verzichtet auf die Auseinandersetzung mit den Bedingungen, ruft wieder nach verboten und fordert mehr Geld für die Repressionsorganen. Dagegen hilft nur eine klare Kante, und zwar: Konsequenter Antifaschismus!


Video zur Demo am Samstag in Leipzig:

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Jingle zur Demo:

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