Fatale Gleichsetzung von Links und Rechts

Erstveröffentlicht: 
19.11.2009

Hintergrund: Die Bundesregierung hält Rechtsextremismus, Linksradikalismus und Islamismus für ein und dasselbe Problem. Sie lenkt von der größten Bedrohung der ­parlamentarischen Demokratie ab: dem neoliberalen Kurs der Koalition.
Die »schwarz-gelbe« Bundesregierung setzt sowohl auf wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischem Gebiet neue Akzente, die bei genauerem Hinsehen altbekannt erscheinen, als auch im Umgang mit dem Rechtsextremismus, den sie offenbar als Rand(gruppen)phänomen begreift und kurzerhand mit dem Linksradikalismus und dem Islamismus gleichsetzt. Wenn der Koalitionsvertrag die »Aufarbeitung des NS-Terrors und der SED-Diktatur« im selben Atemzug nennt, fühlt man sich an die Gleichsetzung von Stalinismus und Hitlerfaschismus durch Totalitarismustheoretiker im Kalten Krieg erinnert. Daß die Bundesprogramme gegen den Rechtsextremismus (»Vielfalt tut gut. Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie« sowie »Kompetent für Demokratie – Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus«) mit einem Jahresbudget von 19 Millionen bzw. fünf Millionen Euro laut Koalitionsvertrag »unter Berücksichtigung der Bekämpfung linksextremistischer und islamistischer Bestrebungen« in Projekte gegen Extremismus ganz allgemein umgewandelt werden sollen, bedeutet einerseits, daß die Gefahr des Rechtsextremismus für die Demokratie im Sinne der Extremismustheorie relativiert wird, und andererseits, daß bei stabilem Mittelaufkommen weniger Aktivitäten dagegen finanziert werden.

Grundirrtümer

Als der Kalte Krieg während der 50er und frühen 60er Jahre seinen Gipfelpunkt erreichte, wurden in der Bundesrepublik alle geistig-politischen Kräfte im Kampf gegen den Kommunismus bzw. den Marxismus-Leninismus mobilisiert. Was lag näher, als diesen unter dem Oberbegriff »Totalitarismus« mit dem Nationalsozialismus bzw. Hitlerfaschismus mehr oder weniger explizit gleichzusetzen? Es gab keine für das deutsche Bürgertum geeignetere Konzeption, um seine kampflose Preisgabe der Weimarer Republik als das Resultat einer doppelten Frontstellung (gegenüber Rechts- und Linksextremisten) zu entschuldigen, die geistigen Berührungspunkte mit dem deutschen Faschismus zu verschleiern und die selbstkritische Aufarbeitung der NS-Zeit durch Neukonturierung des alten Feindbildes (Kommunisten/Sozialisten) überflüssig zu machen.

Vor allem die Politikwissenschaftler Uwe Backes und Eckhard Jesse versuchen bereits seit mehreren Jahrzehnten, die Extremismustheorie durch eine Vielzahl von Veröffentlichungen populär zu machen und ihr eine über den staatlichen Sicherheitsapparat, etablierte Bildungseinrichtungen und die bürgerlichen Parteien wie den sozialdemokratischen Regierungsflügel hinausreichende Akzeptanz zu verschaffen. Sie legten ihren Arbeiten die folgende Definition zugrunde: »Der Begriff des politischen Extremismus soll als Sammelbezeichnung für unterschiedliche politische Gesinnungen und Bestrebungen fungieren, die sich in der Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates und seiner fundamentalen Werte und Spielregeln einig wissen, sei es, daß das Prinzip menschlicher Fundamentalgleichheit negiert (Rechtsextremismus), sei es, daß der Gleichheitsgrundsatz auf alle Lebensbereiche ausgedehnt wird und die Idee der individuellen Freiheit überlagert (Kommunismus), sei es, daß jede Form von Staatlichkeit als ›repressiv‹ gilt (Anarchismus).« Wer den Verfassungsstaat – und gerade nicht die Verfassung selbst – als zentralen Bezugspunkt seiner Extremismusdefinition wählt, zeigt damit im Grunde nur, wie staatsfixiert er ist, was übrigens zu den Hauptkennzeichen des Rechtsextremismus in Deutschland, nicht aber des Linksradikalismus zählt.

Todfeinde wie Faschisten und Kommunisten befinden sich damit per definitionem »im selben Boot«, wohingegen ihrer Herkunft, ihren geistigen Wurzeln und ihrer Ideologie nach engverwandte Strömungen, etwa Deutschnationalismus, Nationalkonservatismus und Nationalsozialismus, unterschiedlichen Strukturkategorien zugeordnet werden. Grau- bzw. »Braunzonen«, ideologische Grenzgänger und inhaltliche Überschneidungen zwischen (National-)Konservatismus und Rechtsextremismus, wie sie beispielsweise bei den Themen »Zuwanderung«, »demographischer Wandel« und »Nationalbewußtsein« zutage treten, werden nicht mehr thematisiert, die tiefen Gräben zwischen Rechts- und Linksradikalismus zwar keineswegs ignoriert, ihrer Bedeutung nach jedoch stark relativiert.

Wer die Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates zum entscheidenden oder gar zum einzigen Bestimmungsmerkmal des »Extremismus« erklärt, ignoriert oder vernachlässigt die gesellschaftlichen Ursachen seines Untersuchungsgegenstandes. Extremismustheoretiker behandeln den Rechtsextremismus (ebenso wie den Linksradikalismus) primär als einen Gegner der bestehenden politischen bzw. Staatsordnung, nicht als ein soziales Phänomen, das mitten in der Gesellschaft wurzelt. Eckhard Jesse lehnt es sogar strikt ab, die Frage nach den geistigen Hinter- und Beweggründen für Unterdrückungsmaßnahmen eines totalitären Regimes überhaupt zu stellen: »Das Opfer totalitärer Mechanismen muß eine solche Differenzierung – Kommunismus als Deformation einer an sich guten Idee – als sophistisch, wenn nicht zynisch empfinden, ganz abgesehen davon, daß Ziele und Mittel vielfach ineinander übergehen.« Freilich ist die von Jesse verabsolutierte Opferperspektive wenig geeignet, ein sachliches und fachlich qualifiziertes Urteil zu fällen. Aus guten Gründen sitzen keine Gewaltopfer (bzw. deren Hinterbliebene), sondern unabhängige Richter und eben nicht unmittelbar betroffene Geschworene bzw. Schöffen über mutmaßliche Straftäter zu Gericht. Was aber im Strafprozeß selbstverständlich ist, nämlich die Herkunft und Motive eines Angeklagten zu würdigen, also nicht bloß das Resultat der inkriminierten Handlung, sollte auch eine Grundvoraussetzung für die wissenschaftliche Bewertung von Parteien, Bewegungen und Herrschaftssystemen sein.

Versuche von Autoren wie Backes und Jesse, den Extremismus gemäß der Verfassungsschutzargumentation als Kampfansage gegenüber einem demokratischen Verfassungsstaat zu definieren, konnten sich sogar unter den Rahmenbedingungen des Kalten Krieges nicht vollständig durchsetzen. Umso befremdlicher wirken sie nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation. So glaubt Jesse, eine Konvergenz zwischen der Linkspartei, die er als »weiche Spielart des Extremismus«, und der NPD, die er als »harte Variante des Extremismus« charakterisiert, in der Tatsache zu erkennen, daß beide Parteien die Systemfrage stellen. Ausgerechnet Lothar Bisky, früher Vorsitzender der PDS und heute – gemeinsam mit Oskar Lafontaine – von Die Linke, muß mit dem Ausspruch »Wir stellen die Systemfrage!« als Bürgerschreck herhalten, damit Jesse seine gewagte, wenn nicht eher peinlich wirkende Parallele zwischen Die Linke und NPD zu »belegen« vermag. Jesse übersieht oder unterschlägt allerdings, daß Linke und Rechte darunter etwas völlig Verschiedenes verstehen: Während die Linken mit dem »System« den Kapitalismus und mit dem Stellen der »Systemfrage« die Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien meinen, ging es Konzernherren wie Thyssen und Krupp nie besser als unter dem National»sozialismus«, der mit dem »System«, das er 1933 aus den Angeln gehoben hatte, die Weimarer Republik der »Novemberverbrecher« meinte. Dies verdeutlicht die ganze Absurdität der Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus: Während jemand durch Sozialisierungsmaßnahmen linker Revolutionäre aufhört, ein Mitglied der herrschenden Klasse zu sein, die sie bekämpfen, muß jemand, der für Rechtsextreme einer »falschen« Rasse angehört, vertrieben oder vergast, ausgebürgert oder »ausgemerzt« werden.

»Extremismus an der Macht«

Die Totalitarismustheorie ist, wenn man so will, das auf den »Extremismus an der Macht« bezogene Pendant zur Extremismustheorie. Sie war zwar kein Kind des Kalten Krieges – wie häufig behauptet –, sondern wurde schon in den 20er und 30er Jahren vor dem Hintergrund der Machtübernahme des italienischen Faschismus (Benito Mussolinis »Marsch auf Rom«) einerseits und der Stalinisierung Sowjetrußlands andererseits entwickelt, ihren Hauptwirkungszeitraum ­bildeten aber die 50er und frühen 60er Jahre, als die Beziehungen zwischen den westlichen Demokratien und dem »Ostblock« unter Führung der UdSSR einen Tiefpunkt erreichten.

Das genannte Theorem bot eine Möglichkeit, die Mitschuld einflußreicher Gesellschaftskreise an der »Machtergreifung« des Hitlerfaschismus, genauer: der Machtübergabe an die Nazis, zu relativieren. Die Weimarer Republik sei, so hieß es, am Zusammenspiel der Verfassungsfeinde links- und rechtsaußen zugrunde gegangen. Außerdem diente das Interpretationsmodell während der Ost-West-Konfrontation und der Restauration in der Bundesrepublik Deutschland als innenpolitische Waffe gegen die demokratische Linke, der unterstellt wurde, eine dem »Nationalsozialismus« und dem Stalinismus ähnliche Herrschaft errichten zu wollen (»Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau« – so ein gegen die SPD gerichtetes Wahlplakat der CDU aus dem Jahr 1953).

Die Extremismus-/Totalitarismustheorie klassifiziert zwar alles, erklärt aber nichts. Sie als »Theorie« zu bezeichnen, ist daher im Grunde ein pseudowissenschaftlicher Euphemismus. Wenn sie den Extremismus bzw. den Totalitarismus auf den Begriff zu bringen sucht, kommt statt einer Definition meist nur eine Addition von Merkmalen heraus. Politikwissenschaft reduziert sich damit auf bloße Deskription. Das eigentliche Dilemma der Totalitarismus- wie der Extremismustheorie besteht darin, um der Akzentuierung partieller Gemeinsamkeiten zwischen zwei Vergleichsgegenständen – Kommunismus einerseits und Faschismus/Nationalsozialismus andererseits – willen deren Wesensunterschiede eskamotieren zu müssen. Zwangsläufig kommen die zentralen Inhalte der beiden Ideologien gegenüber ihrer Wirkung, ihrem Absolutheitsanspruch und ihrer Allgegenwart viel zu kurz.

Gemeinsamkeiten zwischen beiden Regimen kann – im wahrsten Sinne des Wortes – jedes Kind erkennen: Man muß ihm nur Bilder von Massenaufmärschen und Militärparaden, die Insignien des Führerkults, Machtrituale oder Uniformen paramilitärischer Verbände zeigen. Um die wesentlichen Unterschiede zu erkennen, bedarf es hingegen wissenschaftlicher Methoden und analytischer Fähigkeiten. Den entscheidenden Unterschied zwischen Links- und Rechtsextremismus ignorieren Totalitarismus- bzw. Extremismustheorien: »Der Rechtsextremismus strebt die Beseitigung der Demokratie, der Sozialismus jedoch die Abschaffung des Kapitalismus an«, wie der Berliner Soziologe Richard Stöss bemerkt. Er schlußfolgert, daß der Rechtsextremismus prinzipiell, also von seiner Idee her und den Zielen nach antidemokratisch, der Sozialismus aber nur dann gegen die Demokratie gerichtet sei, wenn er (im Sinne einer »Diktatur des Proletariats« oder des Politbüros einer Kommunistischen Partei) mißbraucht oder pervertiert werde.

1989 – Beweis oder Widerlegung?

Zwar sahen die Vertreter der Totalitarismustheorie im Niedergang des osteuropäischen Staatssozialismus einen Triumph ihres Konzepts, das wegen seiner Übernahme durch sich aufgrund der veränderten Kräfteverhältnisse nach rechts wendender Linksintellektueller eine gewisse Aufwertung erfuhr. Gleichwohl erwiesen sich der Berliner Mauerfall und seine Folgen geradezu als Waterloo für die Extremismus- und Totalitarismustheorie, wurden diese durch den friedlichen Verlauf des Systemwechsels doch überzeugend widerlegt. Entgegen ihrer Kernbotschaft sind Kommunismus und Faschismus nicht nur ganz unterschiedlich – durch eine soziale Revolution in Rußland, aber die freiwillige Übergabe der Regierungsgeschäfte an Mussolini und Hitler in Deutschland bzw. Italien – an die Macht gelangt, sondern haben diese auch ganz unterschiedlich wieder verloren: Während die »rechte Spielart des Totalitarismus« 1945 ein durch ihren barbarischen Angriffs-, Eroberungs- und Vernichtungskrieg zerstörtes Europa hinterließ, trat die »linke Variante des Totalitarismus« 1989/90 trotz der Verfügung über ein riesiges (Atom-)Waffenpotential ab, ohne den geringsten militärischen Widerstand zu leisten, wenn man von Rumänien absieht.

Wer die DDR als »zweite deutsche Diktatur« bezeichnet, sie mehr oder weniger offen mit dem sogenannten Dritten Reich gleichsetzt und Erich Honecker in die Nähe Adolf Hitlers rückt, verharmlost damit nicht bloß den Wilhelminismus, sondern auch den deutschen Faschismus. Wiederum ist entlarvend, was da auf welche Art miteinander verglichen wird. Man kann unter dem Oberbegriff »Krankheiten« auch Hautkrebs und Hühneraugen miteinander vergleichen; dies wird aber kein seriöser Mediziner tun. Vergleiche, die formale Ähnlichkeiten von Herrschaftsregimen überbewerten und inhaltliche Gegensätze herunterspielen, sind interessengeleitet und tragen kaum etwas zur Klärung von wichtigen Sachverhalten und Zusammenhängen bei.

Nach der Zäsur 1989/90, welche die Totalitarismustheorie historisch falsifiziert und in der Praxis widerlegt hatte, erfuhr diese in neuem Gewand eine fragwürdige Wiederbelebung. Extremismus- und Totalitarismustheoretiker, deren wissenschaftliche Reputation damals aufgrund des schwindenden politischen Gebrauchswerts ihres Ansatzes gegen Null tendierte, entwickelten – begünstigt durch Erfolge rechtspopulistischer Gruppierungen und Terroranschläge islamistischer Fundamentalisten – die Populismus-, Fundamentalismus- und Terrorismustheorie quasi als politisches Substrat für die Extremismus- und Totalitarismustheorie, ohne ihr mehr inhaltliche Substanz zu verleihen. In der Terrorismushysterie nach den Anschlägen am 11. September 2001 lag es nahe und fiel es ihnen leicht, das Extremismus- bzw. Totalitarismuskonzept auf den islamischen Fundamentalismus anzuwenden. Während Eckhard Jesse seinerzeit eine »Übertragung auf ferne Kulturkreise« empfahl, um der Extremismus- und Totalitarismustheorie neues Leben einzuhauchen, erklärte Armin Pfahl-Traughber, damals wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundesamt für Verfassungsschutz, den Extremismus zur »politische(n) Variante des Fundamentalismus«, wodurch der terminologische Bezug zum Islamismus hergestellt und man wieder auf der Höhe der Zeit war.

Ruf nach starkem Staat

So wenig originell die Ideen von Backes, Jesse und Co. anmuten, so mächtig sind die hinter ihnen stehenden Interessen. Während sich das bürgerliche Lager mit ihrer Hilfe als »demokratische Mitte« über alle seine Widersacher fast nach Art einer Lichtgestalt erhebt und die staatlichen Sicherheitsorgane ihre fortdauernde Existenzberechtigung nachweisen und Personal- wie Sachmittelforderungen begründen können, werden linke Kritiker des kapitalistischen Wirtschafts- bzw. Gesellschaftssystems und undemokratischer Praktiken seines Staates in geradezu perfider Weise dadurch delegitimiert, daß man sie auf eine Stufe mit ihren Hauptgegnern, religiösen Fanatikern, Rechtsterroristen und Faschisten stellt.

Die beliebteste, aber leicht durchschaubare Schutzbehauptung der Extremismus- und Totalitarismustheoretiker lautet, man setze so unterschiedliche Systeme wie den Nationalsozialismus und den Kommunismus gar nicht gleich, sondern vergleiche sie nur, was schließlich erlaubt sein müsse. Natürlich darf man Äpfel mit Birnen vergleichen, denn es handelt sich hierbei um ganz ähnliches Obst. Aber wer den NPD-Vorsitzenden Udo Voigt mit dem Linkspartei-Vorsitzenden Lothar Bisky vergleicht, suggeriert zumindest unterschwellig, daß beide Politiker und Parteien gleichzusetzen seien, denn sonst müßte er auch mal Bisky mit dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel und den CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer mit Voigt vergleichen, was mit Sicherheit nie passiert

Was sich mit dem Titel »Totalitarismustheorie« schmückt, ist pure Ideologie, wenn sie das Ziel verfolgt, Sozialismus und Kommunismus durch Gleichsetzung mit dem (Hitler-)Faschismus zu diskreditieren. Dagegen entlastet sie den letzteren, indem ihm das negative Alleinstellungsmerkmal des politischen Verbrechertums genommen und seine Terrorherrschaft relativiert bzw. verharmlost wird. Völlig unbeachtet bleibt jener Wirtschaftstotalitarismus, den Neoliberalismus und Marktradikalismus implizieren, was man – wenngleich meines Erachtens nur sehr vage und mißverständlich – als »Extremismus der Mitte« charakterisieren kann.

Extremismus- und Totalitarismustheorien kaschieren, daß die parlamentarische Demokratie so gut wie nie von den politischen Rändern, sondern erheblich häufiger von Eliten bedroht wird, die ihre Privilegien durch Massenproteste gefährdet sehen und ihre Gegner als »Populisten«, »Fundamentalisten« und »Terroristen« beschimpfen, um sie bei unentschiedenen Dritten in Mißkredit zu bringen. Extremismus- und Totalitarismustheorien erklären absolut nichts, vernebeln vielmehr alles, was zu kennen wichtig ist, um die genannten Phänomene mit Erfolg bekämpfen zu können: die sozialökonomischen Entstehungsursachen, das Wesen und die Wurzeln von Rechtsextremismus, Faschismus und (gewalttätigem) Neonazismus. Selbst politische Ziele und Motive der Personen, die als »Extremisten« oder »Totalitaristen« etikettiert werden, bleiben vage, wenn vorrangig die Mittel, deren sie sich bedienen, für einen Vergleich herangezogen werden, der die Gleichsetzung ansonsten völlig unterschiedlicher, ja gegensätzlicher Akteursgruppen bezweckt. Entscheidend ist letztlich immer, warum eine politische Strömung entsteht, welche Interessen sie vertritt und wogegen sie angeht bzw. aufbegehrt. Wie sie ihre Ziele zu erreichen sucht, ist keineswegs irrelevant, wird aber maßgeblich davon beeinflußt.

So wenig die Extremismustheorie eine Analyse des Rechtsextremismus ermöglicht, so wenig verfügen ihre Vertreter über eine geeignete Strategie, ihn zu bekämpfen. Sie setzen im wesentlichen auf den Staat, genauer: einen starken Staat in Form einer »wehrhaften Demokratie«, die rechte und linke Extremisten nicht gleich ausschalten, aber aus dem politischen Machtzentrum der Gesellschaft heraushalten soll. Wer – wie es die Extremismustheorie verlangt – nach zwei Seiten zugleich schaut, haut nie gezielt und trifft keinen Gegner. Wer angeblich in gleicher Weise nach links- und rechtsaußen starrt, verliert die Entwicklung in der politischen Mitte als mögliche Hauptbedrohung für die Demokratie zwangsläufig aus dem Blick. Dies gilt besonders für Anhänger der Extremismustheorie, die zwar von einer »Gemeinsamkeit der Demokraten« sprechen, sie aber in der Praxis dadurch hintertreiben, daß sie Linke als potentielle Verbündete ausgrenzen.

Prof. Dr. Christoph Butterwegge lehrt Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Zuletzt sind von ihm die Bücher »Rechtspopulismus, Arbeitswelt und Armut« sowie »Armut in einem reichen Land« erschienen